150 Jahre Berliner Ringbahn: S 42, zurückblicken, bitte!
Die Berliner Ringbahn feiert am 17. Juli Geburtstag: Heutzutage eine Selbstverständlichkeit, war sie damals ein visionäres Verkehrsprojekt.
Heute fragt man sich, woher diese Weitsicht? 1838 erst verkehrte der erste Zug in Berlin – auf der Stammbahn zwischen Potsdam und Berlin. Peu à peu entwickelte sich dann das Schienennetz, aber eine Ringbahn? Warum das östliche Friedrichshain mit Prenzlauer Berg verbinden, die beide erst seit 1860 eingemeindet waren? Und warum die beiden mit Charlottenburg, das noch gar nicht zu Berlin gehörte? Lange, bevor Groß-Berlin 1920 gegründet wurde, hatte die Ringbahn schon ein Zeichen gesetzt.
Denn Berlin entwickelte sich rasant, die Industrialisierung hatte die Stadt in eine Wachstumseuphorie versetzt, die industrielle Reservearmee strömte aus allen Provinzen in die Metropole. Damit Berlin nicht im Chaos versank, brauchte es einen funktionierenden Nahverkehr. Und der schloss auch einen Eisenbahnring um das Zentrum mit ein. Nach der Öffnung für den Güterverkehr 1871 wurde die östliche Ringbahn zwischen Moabit und Schöneberg am 1. Januar 1872 für den Personenverkehr geöffnet. 1877 wurde der Ring dann geschlossen.
Schon 1895 verkehrten ab Bahnhof Westend 53 Züge, ab Stralau (nahe Ostkreuz) 49 Züge, und auf dem Südring legten 73 Züge die komplette Runde ab dem Potsdamer Ringbahnhof zurück. Die Stadtbahn zwischen Westkreuz und Ostkreuz wurde übrigens erst nach der Ringbahn im Jahr 1882 fertiggestellt.
Spätestens seit dieser Zeit war die Ringbahn auch legendär geworden. Liebespaare zogen sich in sie zurück, um stundenlang händchenhaltend um die Stadt zu fahren. Die Ringbahn wurde zu einem Symbol der schnellen Stadt und der Mobilität in einer europäischen Metropole.
Nach den Jahren der Teilung ist sie das heute wieder. Seit 2002 ist der S-Bahn-Ring wieder geschlossen, nur dass er heute mitten durch die Stadt führt und nicht einmal um die Stadt herum. Schon wird in Planungen die Frage laut, ob die wachsende Stadt nicht, wie vor 150 Jahren, weit nach vorne blicken und einen neuen Eisenbahnring um Berlin bauen müsse. Wenn es heute, wie damals, kein Auto gäbe, wäre die Entscheidung längst gefallen. Uwe Rada
Wie sehr die Ringbahn die Berliner*innen im Alltag begleiten würde, das war zur Zeit des Baubeginns vor 150 Jahren noch nicht abzusehen. Heute ist sie vieles: Grenze um die Innenstadt, Ort für Parties, Schulweg- und manchmal ist sie einfach anstrengend. Unsere Autor:innen sagen der Ringbahn zum Geburtstag herzlichen Glückwunsch.
Die imaginäre Grenze
Immer, wenn der Besuch aus Westdeutschland kam, habe ich ihn durch die Berliner Straßenschluchten geführt, erst in Neukölln, später dann in Prenzlauer Berg. Die Gründerzeitquartiere waren etwas, das keine andere Stadt hatte. Man konnte aufschauen auf die Mietskasernen und weit blicken in die Straßen hinein, das war mein Berlin. Etwas unwohl war mir deshalb schon, als ich 2007 nach fast 25 Jahren die Innenstadt verließ und über eine imaginäre Grenze zog.
Von Prenzlauer Berg ging es nach Pankow, das war zwar noch der gleiche Bezirk, lag aber außerhalb des S-Bahn-Rings. Das klang nach Vorstadt oder sogar nach Rand-Berlin. Ich gehörte nicht mehr dazu, es fühlte sich an wie eine Rückkehr in die Provinz. Heute weiß ich Pankow zu schätzen, die imaginäre Grenze aber existiert noch immer. Wer mit dem Auto an der Schönhauser den Graben der Ringbahn überfährt, braucht eine Umweltplakette. Und innerhalb des S-Bahn-Rings müssen mehr Wohnungen an Suchende mit WBS vermietet werden als außerhalb. Innenstadt und Stadtrand, das teilt die Ringbahn bis heute, 150 Jahre nach ihrer Teileröffnung. (wera)
Partyzug
Aufgeregt stehen wir an der letzten Tür in der Ringbahn, die gerade am S-Bahnhof Neukölln einfährt. Zwei von uns haben einen kleinen roten Teppich in der Hand, ein anderer den Knopf an der Musikbox, der Rest unserer etwa 15-köpfigen Gruppe ist mit Luftschlangen, Sektflaschen und Bechern ausgestattet.
Als der Zug zum Stehen kommt, öffnen wir die Tür, der Teppich wird auf den Bahnsteig gerollt – und dann sehen wir schon unseren Freund, den wir heute nach seinem Auslandsjahr in Berlin verabschieden wollen. Ungläubig stößt er zu uns in den Wagen – und unsere Ringbahnparty geht los.
„Die letzte Schlacht gewinnen wir“ von Ton Steine Scherben ist der erste Song, der durch das Abteil schallt, und bereits am Tretpower Park fühlt es sich an wie in einem Club. Im gedimmten Licht – das Deckenlicht haben wir mit Tüchern abgehängt – tanzen wir und auch zwei, drei andere Fahrgäste haben sich angeschlossen. Gestört scheint sich niemand zu fühlen an diesem Freitagabend, auch jene, die durch „unsere“ Tür dazusteigen, scheinen eher belustigt denn genervt. Als wir nach einer Stunde Feierei wieder Neukölln erreichen, können wir es kaum glauben, dass niemand unsere Party beendet hat. Wir fahren noch einige Stationen weiter, ehe der Drang, den Sekt auch wieder loszuwerden, das Spektakel beendet. (epe)
Mit dem Ring wachsen
Lange bestand die Ringbahn für mich nur aus den Stationen Westkreuz, Halensee, Hohenzollerndamm. Tagein, tagaus waren diese drei Stationen Teil meines Wegs zur Schule. Eine Fahrt, die in ihrer Kürze sogar Freundschaften begründete; wen man aus der Klasse oder Parallelklasse in der Bahn traf, mit der Person quatschte man. Mit dem Alter wuchs im Laufe der Jahre auch die Strecke der Ringbahn, die ich nutzte.
Auf den Schulweg folgten die Fahrten zu Clubs wie dem 2015 geschlossenen Stadtbad Wedding am S-Bahnhhof Wedding oder der Griessmühle am S-Bahnhof Sonnenallee. Fehlte nur noch der Nordosten des Rings, der sich mir durch eine WG nahe „S Prenzlauer Allee“ erschloss. Denn wie man hier auch aufwächst oder eine Weile lebt: Der Ring ist meist nicht weit. (cpm)
Die zersparte Bahn
Nach Jahren des Kaputtsparens ist die S-Bahn notorisch für ihre vielen Ausfälle. Ringbahnfahren ist auch immer ein Glückspiel. Wie oft stand ich am Gleis, ungewiss, ob „Zugverkehr heute unregelmäßig“ nun fünf Minuten oder eine Stunde bedeutet. Noch schlimmer ist der Halt auf freier Strecke. Ich erinnere mich noch gut an die Panik, die mich überkam, als eine S-Bahn an einen 40 Grad heißen Sommertag kurz vorm Südkreuz liegen blieb. In dem unklimatisierten Bahnwagon herrschten saunaartige Temperaturen, eine Mitfahrerin brach zusammen und musste mit Wasser versorgt werden. Doch zum Glück ging es bald weiter – Verspätung bloß eine halbe Stunde. (jowa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“