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15 Jahre Savvy Contemporary in BerlinEine Institution, die sich als Anti-Institution versteht

Innerhalb von 15 Jahren ist Savvy Contemporary zur Diskursplattform angewachsen. Sie verankert das Thema Dekolonialisierung in Berlins Kunstwelt.

Heben sich blinkend ab vom trüben Berliner Spätherbstwetter: Glitzerbuchstaben an der Fassadedes Savvy Contemporary Foto: Marvin Systermans

Von

Tom Mustroph aus Berlin

Nur selten sind Chic und Herzenswärme wohl derart symbiotisch vereint wie bei Savvy Contemporary. Draußen an der Fassade klebt in großen Glitzerbuchstaben der Name der Kunstinstitution, hebt sich blinkend ab vom trüben Berliner Spätherbstwetter. Innen drin hingegen herrscht arbeitsame Atmosphäre. Große Stellwände – mit prima Stauraum eigens gefertigt für den Kunstort – werden hin und hergeschoben, um die passenden Raumgrößen für die nächste Veranstaltung zu schaffen. Künstler und Techniker werkeln an Rechnern und Projektoren. In den Regalen der Bibliothek warten Werke über Performancekunst und Kolonialgeschichte nur darauf, herausgezogen und gelesen zu werden. Und aus der Küche weht aromatischer Duft herüber.

„Das Essen ist unsere Art Währung geworden. Wir sind ein Raum, der nicht über viel Geld verfügt. Und so haben wir uns gesagt, dann lasst uns zumindest ein warmes Essen miteinander teilen“, sagt Lynhan Balatbat-Hellbock, Kuratorin und Co-Leiterin von Savvy, zu taz. Und prompt geht es auch in die Küche, wo es noch in der Pfanne brutzelt und alle aufpassen, dass für die, die nebenan die neue Ausstellung aufbauen, auch noch etwas übrig bleibt.

Essen ist wichtig bei Savvy Contemporary, als Währung, wie es Balatbat-Hellbock beschreibt, aber auch Basis für ein Zusammenkommen, als sinnliche Form des Austauschs. Über die Jahre hat Savvy, 2010 als Projektraum in Neukölln vom jetzigen Leiter des Hauses der Kulturen der Welt, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, aus der Taufe gehoben, damit auch Berlins Kunstszene verändert.

„Savvybration. 15 Years of Becoming“:

Savvy Contemporary, Berlin. 1. November, ab 16 Uhr

„In einer der ersten Kritiken, die wir hatten, wurden wir als neu und frisch und interessant gelobt. In dem Artikel wurde aber auch darüber geklagt, dass der Geruch des Essens von der Kunst ablenke“, erinnert sich Anna Jäger, Kuratorin und Pressesprecherin. „Damals war es ein relativ neues Konzept für Berlin, dass ein Ausstellungsraum nach Essen riechen kann, und das nicht nur als eine Art Intervention, sondern als Essen, das dich auch satt macht“, fügt sie lachend hinzu.

„Wir intervenieren jetzt anders“

Was Savvy Contemporary in all den Jahren zwischen fröstelnden Abenden im ehemaligen Umspannwerk in der Neuköllner Richardstraße über die dritte Station im silent green bis zum Umzug in den jetzigen Standort, ein 1.000 Quadratmeter großes früheres Casino im Wedding, auch gelungen ist, ist das Bewusstsein über das Thema Dekolonialisierung dauerhaft in Berlin zu verankern. Dazu gehören das Langzeitprojekt „Colonial Neighbours“, bei dem Objekte und die mit ihnen verknüpften Geschichten deutscher Kolonialgeschichte gesammelt werden oder auch Interventionen im nahegelegenen Afrikanischen Viertel.

Ein ganz aktueller Erfolg: Der Platz gegenüber dem Kunstort wechselte im Oktober seinen Namen, vom preußischen Seefahrer und Obersteuermann auf einem Sklavenschiff, Joachim Nettelbeck, zu Martha Ndumbe, einer Afrodeutschen, die im KZ Ravensbrück umgebracht wurde. „Wir intervenieren jetzt anders in diesen Platz, mit viel mehr Freude“, sagt Billy Fowo, Autor und Kurator bei Savvy, der taz.

2014 schon thematisierte Savvy mit der Ausstellung und dem begleitenden Diskursprogramm „Wir sind alle Berliner“ die langen Schatten der Gewalt, die von der Aufteilung Afrikas auf der Berliner Afrikakonferenz 1884/85 bis heute ausgehen. Ungewöhnlich war dabei, dass eben nicht nur auf Afrika als eine Art „Opferkontinent“ geblickt wurde.

„Wir haben vielmehr historische Verbindungen hergestellt zwischen Gewaltakten, die gewöhnlich nicht zusammen gesehen werden, hatten Arbeiten zum NSU und zum Genozid an der indigenen Bevölkerung in Nordamerika. Wir verknüpften diese Dinge, um die langen Echos der Gewalt sichtbar zu machen, die sich auf ihre Art reimen und über ihre ganz eigene Grammatik verfügen“, betont Jäger.

Entwirren der kolonialen Fäden

Jetzt, mehr als zehn Jahre später, eröffnet am 13. November mit „Desacta“ erneut eine Ausstellung, die sich dem Entwirren der Fäden, die bis zur Afrikakonferenz zurückreichen, widmet. Gemeinsam mit Part­ne­r*in­nen in Guinea-Bissau wurde der Versuch unternommen, eine Art Gegenfluch zu erzeugen gegen die Konferenz vor mittlerweile 140 Jahren und deren Folgen, erzählt Fowo der taz.

Daher nehmen neben Künstler*innen, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Ak­ti­vis­t*in­nen auch Hei­le­r*in­nen und spirituelle Prak­ti­ke­r*in­nen an der Ausstellung teil. Auf die Frage, wer da der Patient ist, mit dem sich die Hei­le­r*in­nen konfrontieren sollen, meint Fowo nachdenklich: „Ich denke, wir alle tragen diese Krankheit in der einen oder anderen Form in uns. Und jenseits der Frage, wer hier wen heilt und was überhaupt geheilt werden kann, ist es für uns wichtig, Menschen zusammenzubringen und gemeinsam über Formen von Kuren zu reflektieren.“

Zwischen den Klängen wird gekocht, gegessen und geredet

Vorher allerdings, am 1. November, wird gefeiert. In der „Savvybration. 15 Years of Becoming“ wird einer Institution gedacht, die sich als Anti-Institution versteht. Eine Kinderdisco eröffnet den Abend, in der Nacht legen DJs auf. Und zwischen den Klängen wird gekocht, gegessen und geredet – ganz im Savvy Style eben.

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