14 Jahre nach dem Mord an Hrant Dink: Lebenslange Haft für Auftraggeber
In der Türkei werden drei Hintermänner für den Mord am armenischen Journalisten Hrant Dink im Jahr 2007 verurteilt. Waren sie die einzigen?
Drei Männer, alles ehemals hohe Polizeibeamte, wurde zu lebenslangen oder erschwert lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Die anderen der insgesamt 74 Angeklagten erhielten geringere Haftstrafen oder wurden freigesprochen, weil ihre Taten als verjährt gelten oder die Beweise nicht ausreichten. Die Verfahren gegen 13 weitere Angeklagte wurden abgetrennt.
Dass dieser Prozess überhaupt zustande kam, hat einerseits mit dem großen Kreis der sogenannten Freunde von Hrant Dink zu tun, die immer darauf drängten, die Hintermänner anzuklagen. Andererseits wurden die jetzigen Angeklagten vom Staat nicht mehr gedeckt, weil sie allesamt zur Fethullah-Gülen-Sekte gehören, mit der sich Staatschef Erdoğan 2014 überworfen hatte.
Der Hauptangeklagte, Ramazan Akyürek, war zum Zeitpunkt der Tat Chef des Nachrichtendienstes der Polizei. Zuvor war er Polizeichef von Trabzon, der Stadt, aus der der jugendliche Mörder von Hrant Dink stammte, der gemeinsam mit drei Freunden von Gendarmerieoffizieren in Trabzon zu der Tat angestiftet worden war. Auch die beiden anderen Angeklagten, die nun eine lebenslange Freiheitsstrafe erhielten, waren im Nachrichtendienst der Polizei oder Offiziere der Gendarmerie in Trabzon.
Hrant Dinks Ziel: Aufklärung über den Völkermord
Der eigentliche Mörder, der damals nicht einmal 18 Jahre alt war, war unmittelbar nach dem Mord festgenommen und später zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. Es war allerdings von Anfang an klar, dass er nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatte.
Der wesentliche Grund für den Mord an Hrant Dink war, dass dieser darauf gedrängt hatte, den Genozid an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges endlich auch in der Türkei öffentlich zu verhandeln. Mehrfach wurde er deshalb wegen Verächtlichmachung der Türkei angeklagt, die Rechten organisierten eine Hetzkampagne. Die Anhänger der Gülen-Sekte gehörten zu der Zeit zu den wichtigsten Unterstützern Erdoğans. Es ist möglich, dass sie im Hintergrund an dem Attentat mitwirkten, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Hauptantreiber waren.
Der Anwalt der Familie von Hrant Dink, Hakan Bakircioğlu, kritisierte nach dem Urteil denn auch, dass die wirklichen Drahtzieher noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien, man habe die ganze Geschichte nun der Gülen-Sekte in die Schuhe geschoben. Auch Mitglieder der „Freunde von Hrant Dink“ sagten anschließend, „wir warten immer noch auf Gerechtigkeit“.
Der zum Zeitpunkt seiner Ermordung 52-jährige armenische Journalist war Chefredakteur der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos und eine der wichtigsten Stimmen der armenischen Minderheit in der Türkei. Ihm ging es vor allem um Aufklärung über den Völkermord, er wollte Leute zum Reden bringen.
Deshalb kritisierte er gelegentlich auch die armenische Diaspora, der es hauptsächlich darum gehe, dass möglichst viele Länder die Türkei für den Genozid öffentlich verurteilen. Das erschwere aber die Aufarbeitung in der Türkei, sagte Hrant Dink mehrfach.
Ihr eigentliches Ziel, die Diskussion über den Völkermord in der Türkei zu stoppen, haben die Attentäter und ihre Hintermänner damals nicht erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus