13. Internationales Literaturfestival: Nach der Fatwa
25 Jahre nach Erscheinen der „Satanischen Verse“ möchte Salman Rushdie endlich aus dem Schatten der Fatwa treten – als Literat.
Mit der Fatwa hat er längst abgeschlossen. Auf die obligatorische Erkundigung nach seiner Sicherheit antwortet Salman Rushdie gern mit Gegenfragen: „Sollte ich mich in Berlin etwa unsicher fühlen?“ Nein, er möchte lieber über Literatur reden. Und über seine Autobiografie, „Joseph Anton“, die im vergangenen Jahr erschienen ist, die von den Fatwa-Jahren handelt und davon, wie „Die Satanischen Verse“ zum Spielball von Auseinandersetzungen wurden, die mit dem Buch selbst wenig zu tun hatten. Zum Abschluss des Literaturfestivals in Berlin trat Salman Rushdie dort als Stargast auf.
Der Andrang zu seinen Lesungen war groß, am Samstag gab er eigens eine Pressekonferenz. Für „Joseph Anton“ habe er noch einmal in seinen Tagebüchern gewühlt, die er damals zu führen begann, bekannte er. Dabei habe ihn überrascht, in was für einem schlechten Zustand die Person gewesen sei, die er war, und wie ihn seine Erinnerung manchmal getrogen habe. Nur wenig habe er aus seinen Aufzeichnungen direkt übernehmen können. Denn: „Es sollte wie einer meiner Romane werden, nicht einfach eine Beichte.“ Trotzdem habe schon damals auf seiner Schulter ein kleines Autorenselbst gesessen, das ihm gesagt habe: „Das ist eine wirklich gute Geschichte.“
Brandbomben auf Buchgeschäfte
Der Titel „Joseph Anton“ bezieht sich auf das Pseudonym, das Rushdie sich zulegen musste, um Wohnungen zu mieten, während er unter Polizeischutz stand. Der greise Ajatollah Chomeini hatte sich 1989 mit seiner Fatwa an die Spitze der Proteste gegen „Die Satanischen Verse“ gesetzt und damit eine Kettenreaktion bewirkt. Es folgten Brandbomben auf Buchgeschäfte, Übersetzer des Buchs wurden ermordet, auch islamische Geistliche, die zu Toleranz aufgerufen hatten. „Joseph Anton“ zeichnet lehrstückhaft nach, wie die Fronten damals nicht zwischen Ost und West verliefen, sondern zwischen Aufwieglern, Opportunisten und Feiglingen sowie mutigen Verteidigern der Meinungsfreiheit.
Leider ist das Buch aber auch unnötig langatmig und geschwätzig ausgefallen. Auf 700 Seiten lässt Rushdie fast keinen Prominenten aus, den er in dieser Zeit kennengelernt hat. Außerdem nutzt er die Gelegenheit, noch einmal mit seinen Gegnern von einst abzurechnen und ausgiebig schmutzige Wäsche zu waschen, was seine gescheiterten Ehen betrifft. Ein Lektor hätte das Buch um mindestens die Hälfte straffen müssen, um den Eindruck großer Eitelkeit zu tilgen.
Bei seiner Lesung am Samstag in Berlin zeigt sich Rushdie dafür von seiner besten Seite: unterhaltsam, humorvoll und auf den Punkt. 25 Jahre nach Erscheinen der „Satanischen Verse“ möchte er endlich ganz aus dem Schatten der Fatwa treten und wieder als Literat wahrgenommen werden. Er liest Auszüge aus „Mitternachtskinder“ von 1981 und „Des Mohren letzter Seufzer“ von 1995, beantwortet Fragen zu seinen Büchern, streut Bonmots und geschliffene Pointen ein.
„Ich war schon globalisiert, bevor er das Wort gab“, behauptet Rushdie, wenn er an seine Jugend im multikulturellen Bombay zurückdenkt. Das Land, in dem er lediglich die ersten 14 Jahre seines Lebens verbracht hat, nennt Rushdie nach wie vor seine eigentliche Inspirationsquelle: „Ohne Indien wäre ich nichts“, hatte er schon am Nachmittag bekannt, den Reichtum an Geschichten und die Vielfalt der Vorstellungswelten dort gepriesen. Auch bei seiner Lesung singt er ein Loblied auf die wimmelnde Vielfalt und Vielstimmigkeit seines Geburtslands: „Indien ist, was die EU nicht ist.“
Ein weiterer prägender Einfluss sei für ihn die Popkultur. Romane müssten solche Referenzen aufgreifen, denn sie seien den meisten Menschen geläufig. Jeder kenne doch die Beziehung zwischen Luke Skywalker und Meister Yoda! Trotzdem gab er sich verwundert, wie sehr der Trash von gestern die Hochkultur von heute geworden sei. Was ihn zu der Befürchtung brachte: „In fünfzig Jahren werden die Leute vermutlich nicht mich, sondern immer noch ’Fifty Shades of Grey‘ lesen.“
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