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107. Tag Kongo-KriegsverbrecherprozessMehrere Schüsse in die Vagina

In dem Kriegsverbrecherprozess gegen die Führer der ruandischen FDLR-Miliz kommt erstmals das Schicksal der Vergewaltigungsopfer zur Sprache.

Brutaler Konflikt: Ein FDLR-Kämpfer im ostkongolesischen Kriegsgebiet 2009. Bild: reuters

STUTTGART taz | „Die kongolesischen Frauen sind die mutigsten der Welt“, sagt Anneke van Woudenberg. Je länger die Kongo-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im Prozess gegen die beiden Führer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, aussagt, desto mehr rückt das Leid der Frauen in den FDLR-Gebieten im Ostkongo in den Mittelpunkt.

Zum ersten Mal sind sexuelle Kriegsverbrechen jetzt zentraler Gegenstand der Verhandlung geworden, nach fast anderthalb Jahren. Van Woudenberg hat unzählige Zeugenaussagen darüber gesammelt. Sie schätzt die Zahl der Vergewaltigungen in Kongos Kriegen auf mehrere Millionen – begangen von allen Kriegsparteien, von der FDLR bis zu Kongos Armee.

Die 43-Jährige müsste abgestumpft sein, aber sie ist es nicht. Aber „es gibt immer Zeugenaussagen, die einen verfolgen“, sagt sie am zweiten Tag ihrer Befragung am 17. Oktober. Zum Bespiel Karasi/Ciriba, wo die FDLR die Bevölkerung im Mai 2009 per Brief warnte, nicht mit Kongos Armee zusammenzuarbeiten, und ihren Warnungen Taten folgen ließ – durch die Vergewaltigung einer 14-Jährigen auf dem Weg zum Markt.

„Das 14-jährige Mädchen hat morgens eine Gruppe von FDLRlern getroffen und wurde von fünf Kämpfern vergewaltigt. Sie erinnerte sich an einen Namen, sie kannte ihn vom Dorf und vom Markt. Sie hatte wochenlang innere Blutungen, sie musste laut ihrer Mutter medizinisch versorgt werden, sie litt unter Fisteln, und eine Operation war notwendig. Aber die Mutter hatte kein Geld dafür. Ich sagte ihr, dass es in Bukavu ein Krankenhaus gibt mit kostenfreier Versorgung, ich weiß aber nicht, ob das Mädchen dorthin ging. Der Vater wollte, dass sie das Haus verlässt, da sie Schande über die Familie gebracht hat.“

Demütigungen der Bevölkerung

Es wird sehr still im Gerichtssaal, wenn van Woudenberg solche Geschichten erzählt. „Es ist schwer zu vergessen“, erklärt die HRW-Expertin. Es ist nicht nur die Vergewaltigung, die die kongolesischen Opfer trifft: „Sie sind gebrochene Leute.“ Sie erzählt von Demütigungen der Bevölkerung durch die FDLR, von Prügel und Vergewaltigungen vor versammelter Dorfgemeinschaft.

„Ein Augenzeuge hatte sich auf einem Baum versteckt“, erinnert sie sich an einen Fall im Dorf Busheke. „Die Vergewaltigung fand direkt unter diesem Baum statt. Der Zeuge war ein junger Mann und sehr verliebt in dieses Mädchen. Er konnte nicht glauben, wie sehr sich das Mädchen wehrte. Die FDLR war deswegen besonders brutal, fünf bis sechs Kämpfer vergewaltigten sie, sie wurde so sehr geschlagen, dass ihr die Zähne aus dem Mund fielen. Sie wurde getötet, indem ihr mehrfach in die Vagina geschossen wurde. Der junge Mann war so traumatisiert, er blieb zwei Tage auf dem Baum, bis jemand kam, der das Mädchen beerdigte.“

Die HRW-Expertin betont: „Wir vergessen oft, dass das wirkliche Geschichten sind. Die Menschen hatten Freunde, Familie. Der Mann wird nie wieder derselbe werden. Er war sehr emotional. Normalerweise versuchen Männer, tapfer zu sein, aber dieser weinte und zitterte, er sah immer wieder, wie ihre Zähne aus dem Gesicht fielen, er fragte: ’Warum? Warum?‘ Ich konnte ihm keine Antwort geben.“

„Das geht an keinem spurlos vorüber“, sagt van Woudenberg. „Meine Kollegen und ich waren emotional ausgedörrt. Die Verbrechen sind extrem, das bleibt für ewig. Wir haben auch extreme Brutalität bei anderen bewaffneten Gruppen dokumentiert, aber medizinisches Personal betonte, dass Vergewaltigungen bei der FDLR brutaler sind.“

„Schweigen ist keine Option“

Woher die Frauen den Mut nehmen, davon zu erzählen, fragt ein Richter. „Es geschieht etwas Außergewöhnliches im Kongo“, erklärt van Woudenberg. „Es wurden so viele vergewaltigt, dass Schweigen keine Option ist. In den letzten sieben bis acht Jahren entstand eine Frauenbewegung, die Frauen treffen sich, um zu sprechen, zu demonstrieren, zu schreien, etwas zu tun. Die Frauen werden mutiger.“

Die HRW-Frau lässt keinen Zweifel daran, dass die Verbrechen von FDLR-Kommandeuren angeordnet wurden, die wiederum „regelmäßigen Kontakt via Satellitentelefon“ mit dem in Stuttgart angeklagten FDLR-Präsidenten Murwanashyaka gehabt hätten. FDLR-Kämpfer, die 2009 von HRW dazu im Kongo befragt wurden, hätten stets auf ihren Präsidenten verwiesen, sich von ihm eine Genehmigung zum Treffen geholt oder es mangels Genehmigung verweigert.

Ein Kommandeur habe ihr gesagt, „alle Kontakte zu Human Rights Watch und alle Anweisungen gingen über Murwanashyaka“, berichtet van Woudenberg. „Wir kontaktierten Sprecher der FDLR. Sie konnten uns keine Antwort geben. Wir sollten uns an Murwanashyaka wenden.“

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12 Kommentare

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  • M
    magy

    Die Soldaten werden dazu gebracht mit Waffengewalt und weil es keinerlei Disziplin in den Gruppen gibt.

    Anton meint klingt wie im 30 jährig. Krieg mit den Waffen.....klingt nicht nur so, ist so.

    Susi, ja es muss so bildhaft sein, zeigt ja das es Sie im Schlaf verfolgt. Nur so kann man Menschen jenseits des Grauens zum Nachdenken bringen und evt. auch dazu zu helfen, das die Kinder wenigstens im Schutz von Organisationen aufwachsen dürfen und ihre Mütter natürlich auch. Um helfen zu können braucht es Leute die ein Herz haben und es braucht auch Geld dafür.

  • BH
    Brigitte Haskar

    Es wäre auch interessant zu wissen, ob der Zeugin von Human Rights Watch eher geglaubt wird als einer Betroffenen, die hier Asyl oder wenigstens einen kleineren Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen beantragt. Ihre Gebärmutter fehlt, das trägt aber zu ihrer Glaubwürdigkeit nichts bei.

     

    Die Soldaten der FDLR sind Hutu aus Ruanda. Die Kinder der Völkermörder sozusagen, und Gegner der jetzigen ruandischen Regierung (und aller anderen, die sonst noch nicht ihrer Meinung und im Weg sind)

     

    Vergewaltigung ist eine Waffe und ein Mittel zur Demütigung des Gegners, wie in Jugoslawien auch. Übrigens betrifft Vergewaltigung immer auch Männer, wenn auch in geringerem Ausmaß.

    Auch abgelehnte Kosovaren von damals habe ich in der deutschen Abschiebehaft (Knast) besucht.

     

    Tja, Asylarbeit öffnet einem absolut die Augen gegenüber der DEUTSCHEN Politik und Justiz (macht einen auch manchmal parteiisch, je nachdem, welches Opfer man nun gerade trifft)

     

    LG BH

  • S
    Susi

    Ich finde es wichtig, dass der Artikel über diese unglaubliche Grausamkeiten berichtet. Aber hat es wirklich so bildhaft sein müssen? Mich verfolgen die Bilder die durch das Lesen in meinem Kopf entstanden noch Tage später.

     

    Eine kleine Warnung für Opfer von Gewalttaten wäre bei so einen Artikel am Anfang sicher nicht schlecht gewesen um Retraumatisierungen zu vermeiden.

    • @Susi:

      Nein, solche "bildhaften" Beschreibungen sind wichtig und richtig, weil viele Menschen eine ungenügende Vorstellung von dem Ausmaß haben. Und selbst die bildhafte Beschreibung kann niemals annähernd ein Abbild der Realität wiedergeben, denn die Wirklichkeit dieser Verbrechen ist in der Dimension ihrer Brutalität unvorstellbar. Wer damit Probleme hat, sollte solche Kriegsberichte nicht lesen. Man muß der taz dankbar sein, ungeschminkt darüber zu informieren.

  • M
    magy

    zu von kein kunde

    Wie werden die Soldaten der FDLR dazu gebracht so zu handeln

    perverses Phantasien, Macht über Menschen zu haben, den Frauen zeigen nichts wert zu sein, das Land im Mark zu treffen. So bricht alles auseinander dabei sind es einzig die Frauen die dort alles am Laufen halten. Die Frauen sind es welche die Felder bestellen, am Markt verkaufen, Haus und Kinder und ihre Männer versorgen.

    Dann verstoßen die Männer ihre Frauen nach Vergewaltigungen oder verstoßen ihre Kinder statt sie zu schützen oder Halt zu geben, wie abartig sind die drauf.

    Wenn man bedenkt wie lange der Prozess nun in Deutschland schon dauert, was der deutsche Steuerzahler zahlen muss. Ich würde kurzen Prozess machen mit diesen Ratten Menschen kann man sie nicht nennen.

  • R
    Roswitha

    „Es geschieht etwas Außergewöhnliches im Kongo“, erklärt van Woudenberg. „Es wurden so viele vergewaltigt, dass Schweigen keine Option ist. In den letzten sieben bis acht Jahren entstand eine Frauenbewegung, die Frauen treffen sich, um zu sprechen, zu demonstrieren, zu schreien, etwas zu tun. Die Frauen werden mutiger.“

     

     

    Erst durch diese Extreme finden die notwendigen Bewusstseinsveränderungen statt....traurig,aber wahr...:-((

    Ich hoffe,daß dieser Krieg und diese entsetzlichen Verbrechen zumindest den Stein für etwas ganz Grosses legen.Und nicht nur im Kongo.

  • T
    Thy

    "Denn es kann unterstellt werden, dass ein normaler Mann unter normalen Umständen nicht unbedingt zu solch grausamen Handlungen neigt, auch kein Afrikaner aus dem Busch. (Denn solches Denken klingt bei dem angeführten Satz durch)"

     

    Ach so, dass das so ankam war mir nicht bewusst. So meinte ich das nicht. Dass man normalerweise so etwas nicht macht, ist klar.

     

    Vielleicht hätte ich den letzten Satz so nicht schreiben sollen. Dass die Umstände schon wirklich extrem sein müssen, um so was zu tun, ist mir klar.

  • R
    rita

    "Dass sie überhaupt auf die Idee kommen sagt ja schon einiges über diese Männer aus."

     

    Irgendwie wird hier mal wieder etwas nicht so ganz begriffen. Es geht hier nicht um die schrecklich unmenschlichen Handlungen einzelner Männer. Es geht um einen Genozid, der mit schrecklichen Mitteln geführt wird. Und es geht um die Verantwortung für diese Handlungen. Ganz recht, "kein Kunde", es geht um die Frage: wie werden Männer zu solchen Handlungen gebracht?

    Denn es kann unterstellt werden, dass ein normaler Mann unter normalen Umständen nicht unbedingt zu solch grausamen Handlungen neigt, auch kein Afrikaner aus dem Busch. (Denn solches Denken klingt bei dem angeführten Satz durch)

     

    Will sagen: diese Darstellung ist nicht zu trennen von den Umständen, unter denen das Ereignis stattfand. Es sollte nicht gesehen werden als Statement "männlicher Grausamkeit" sondern im Zusammenhang mit der Gesamtsituation. Denn es geht darum, Verantwortlichkeiten zu benennen. Und diese Darstellung widerspricht z.B. doch offensichtlich der Darstellung der ehemaligen Kämpfer, dass die Zivilbevölkerung geschont wurde und keine Vergewaltigungen stattfanden, ja solches bestraft wurde. Nur darum geht es hier, nicht um das bestialische Verhalten einzelner Männer als solches.

  • T
    Thy

    Naja, ganz egal ist das nicht (bezieht sich auf den Kommentar von Humaniti). Ich mag mir nicht vorstellen, wie schmerzhaft es sein muss, überhaupt von Kugeln getroffen zu werden, aber einer Frau in die Vagina (!!) zu schießen, ist so unglaublich abartig, pervers, brutal, entwürdigend, demütigend... das ist ja keine Stelle wie jede andere. Das soll schon was sagen, was zeigen.

    Dass sie überhaupt auf die Idee kommen sagt ja schon einiges über diese Männer aus. Sagtest du ja selbst.

  • AG
    Anton Gorodezky

    Das klingt wie 30jähriger Krieg mit den Waffen des 20. Jahrhunderts.

  • H
    Humaniti

    "Mehrere Schüsse in die Vagina"

     

    Wenn man erschossen wird, ist es im Prinzip doch auch egal, wo, oder wie man getroffen wird. Exitus.

    Aber wie pervers müssen die Männer sein, um überhaupt auf diese Idee zu kommen. Menschen sind die schlimmsten und perversesten Raubtiere (eigentlich eine Beleidigung aller Tiere) die es gibt.

    Wehe, wenn sie losgelassen werden und keine Strafe für ihre Handlungen erwarten!!!

  • KK
    Kein Kunde

    Wie werden die Soldaten der FDLR dazu gebracht so zu handeln?