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100 Jahre OktoberrevolutionDer Tod der Revolution

Ist 100 Jahre nach 1917 ein gewaltsamer Umsturz möglich? Die globale Ungleichheit ist kaum geringer als damals. Und doch ist heute fast alles anders.

Ist das etwas Neues? Der linke US-Politiker Bernie Sanders 2017 Foto: Reuters

Die Revolution verlief unscheinbar. Die Straßenbahnen fuhren am 25. Oktober 1917 in Petersburg. In der Oper wurde „Don Carlos“ gegeben. Ein paar Tausend Bewaffnete eroberten, angeführt von Leo Trotzki, in dieser Nacht das Winterpalais, das vormals Stadtsitz des Zaren gewesen war und nun die wankende Regierung beherbergte. Die Bolschewiki hatten bis zum letzten Moment gezögert. Doch es ging alles wie von selbst. Die Regierung wurde fast ohne Widerstand verhaftet. Die Polizeiberichte verzeichneten keine besonderen Vorkommnisse.

Das Bild der Massenrevolution schuf Sergei Eisenstein 1927 in seinem Film „Oktober“. Da rauchte Pulverdampf, Soldaten und aufgebrachtes Volk stürmten Barrikaden. „Oktober“ entwarf eine historisch ziemlich inkorrekte Ikonografie der Machtergreifung, die nach der Vorlage des Sturms auf die Bastille 1789 zum Volksaufstand retuschiert wurde. „Um der Wahrhaftigkeit willen darf man sich erlauben, der Wahrheit die Stirn zu bieten“, so Eisensteins listige Erklärung.

Für das Faszinosum der Revolte gibt es in „Oktober“ ein knappes, präzises Bild. Ein Soldat mit groben Gesichtszügen, die Verkörperung des bäuerlichen, ewig drangsalierten Russland, läuft staunenden wie ein Kind durch die noblen Schlafgemächer des Zaren im Winterpalais. Beim Blick auf die edle Toilette des Zaren löst sich die Spannung im Gesicht des Soldaten in befreites Grinsen.

Der Bauer im Palast. Die scheinbar für die Ewigkeit gemachte Hierarchie steht auf dem Kopf. Wenn es ein Bild für die Strahlkraft der Oktoberrevolution gibt, dann ist es dieses: der Aufstand als karnevalistisches Fest. Tabula rasa. Am Ende dieser Revolution, die keine war, plündern Aufständische und Passanten den Weinkeller des Zaren und veranstalten ein Massenbesäufnis. (Was Eisenstein, so viel Wahrheitsliebe gab es dann doch, andeutete.)

Nicht Revolution, sondern Bürgerkrieg

Faktisch war der 25. Oktober (in unserem Kalender der 7. November) nicht der Sieg der Revolution, sondern der Beginn eines äußerst brutalen Bürgerkriegs. Die neuen Machthaber waren isoliert. Ihre Führung kam aus der Emigration, sie bekämpfte alle, die sich ihrem Machtanspruch widersetzten – Anarchisten und Bauern, Militärs und Sozialisten. So errichten die Bolschewiki eine mit Befreiungspathos begrünte Diktatur. Der Linkssozialist Karl Kautsky urteilte 1919, dass das „Erschießen das A und O der kommunistischen Regierungsweisheit geworden ist“.

Auch die von Lenin zentralistisch modellierte Partei wurde nach und nach kaltgestellt. Es kam so, wie es Trotzki schon 1903 befürchtet hatte: Die Partei wurde von Kadern regiert, die Kader vom ZK, das ZK von einem Diktator.

Ist von all dem hundert Jahre danach noch etwas brauchbar? War der 25. Oktober ein Irrtum, eine historische Sackgasse? Oder fehlt noch die Distanz für ein Urteil? So wie es das Bonmot des chinesischen Premiers Tschou En-lai nahelegt, der einst auf die Frage des US-Präsidenten Richard Nixon, was er von der Französischen Revolution halte, antwortete: „Es ist zu früh, um das zu sagen.“

Die Höhe der Leichenberge entscheidet nicht über die Zukunftsfähigkeit eines Systems

Der Terror, den Lenin begründete und Stalin in einem paranoiden System perfektionierte, ist kein Grund, warum der Real­sozialismus keine Zukunft haben könnte. Die Höhe der Leichenberge entscheidet nicht über die Zukunftsfähigkeit eines Systems. Dafür ist der Westen, der jahrhundertelang die restliche Welt versklavt und ausgebeutet hat, ein schlagendes Beispiel.

Doch der Realsozialismus wird im Museum bleiben, weil er, anders als die Revolution 1789 mit der Republik, keine brauchbare politische Form erfunden hat. Der Preis für Lenins kalte Machteroberung war, dass das Sowjetsystem zu einem Ebenbild des Zarismus wurde. Es herrschte ein „roter Zar“. Die neue Adelsklasse hieß Nomenklatura. Der sowjetische Feudalsozialismus war unfähig, eine produktive Wirtschaftsform zu kreieren.

Lenins Leichnam als Metapher

Weil in Diktaturen Bürger meist nur in der Rolle als Untertan, Claqueur oder subversive Gefahr auftreten können, liegt deren Kreativität brach. Diktaturen sind in der Regel unproduktiver und, schon wegen des Überwachungsapparats, kostspieliger als offene Gesellschaften. Lenins seit 93 Jahren einbalsamierter Leichnam ist insofern eine zutreffende Metapher für dieses System.

Doch der liberale Kapitalismus als Sieger der Geschichte war auch nur eine Seifenblase, die nach dem Mauerfall 1989 aufstieg und schnell zerplatzte. Der entgrenzte Kapitalismus schafft groteske Ungleichheiten. Die Oberschicht häuft unfassbare Reichtümer an, während die Mittelschicht verliert. Die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm ist, wie Thomas Piketty gezeigt hat, kein zufälliger, misslicher Defekt, sondern notwendige Konsequenz des unkontrollierten Kapitalismus.

Sollte man die Idee der Revolution, die das Unterste nach oben kehrt, wieder aus dem Museum holen? Ist es nur Mangel an Fantasie, dass wir uns nicht vorstellen können, dass irgendwann Massen von Empörten das Bundeskanzleramt oder die Downing Street belagern?

1917 kam einiges zusammen

Wenn man die historischen Revolutionen anschaut, spricht alles dagegen. Auch schauerlichste Ungerechtigkeiten bringen keineswegs automatisch revolutionäre Energien hervor. Gefährlich wird es für Regime erst, wenn, wie 1917, einiges zusammenkommt. Der Staat zerfällt, Soldaten desertieren, Banden treiben ungestraft ihr Unwesen und die Geschäfte sind leer. Solange in Berlin, Washington oder Paris die Busse pünktlich fahren und DHL-Boten Smartphones liefern, wird die Kapitalismuskritik weiterhin im Feuilleton stattfinden.

Noch etwas macht den kommenden Aufstand unwahrscheinlich. Welche Machtzitadellen wären denn zu stürmen, welche Weinkeller zu plündern? Im 20. Jahrhundert reichte es, Postamt und Zeitungsviertel zu besetzen und die Regierung zu verhaften. In dem fein­nervigen globalen Kapitalismus lassen sich die Machtzentren nicht mehr so leicht identifizieren.

Occupy Wall Street deutete schon mal zart an, dass die Macht nicht mehr unbedingt in den Regierungsgebäuden zu finden ist. Vielleicht ist die Face­book-­Zentrale ein geeigneteres Ziel als das Weiße Haus. Dahinter verbirgt sich ein fundamentales Problem. Unsere hoch differenzierten, extrem arbeitsteiligen Gesellschaften, die aus Subsystemen mit eigenen Regelwerken bestehen, sind zu komplex und verflochten für Tabula-rasa-Inszenierungen geworden.

Gesucht werden: Reformer mit revolutionärem Elan

Es gibt noch einen fundamentalen Einwand, der einen Aufstand in den westlichen Metropolen wenig wahrscheinlich erscheinen lässt. Wer soll diese Revolte machen? Die Kerntruppe jeder Revolution bilden junge, entschlossene Männer, denen das Ancien Régime keine Perspektive mehr bietet. So war es jedenfalls in der Geschichte. Diese Gruppe wird in den westlichen Zentren, wenn die demografischen Prognosen nicht falsch liegen, auf den Arbeitsmärkten ein stark nachgefragtes Gut sein, das Interesse an Umstürzen daher überschaubar. Alternde Gesellschaften sind für Revolten, die stets von der Idee einer greifbar nahen, lichten Zukunft angetrieben werden, unempfänglich. Wer unter Arthrose oder, schlimmer noch, Altersmelancholie leidet, ist gegen solche Versprechen immun.

Aber wie sieht es an den ausgebeuteten Rändern des globalen Kapitalismus aus? Ein paar Dutzend Superreiche besitzen weltweit mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – dreieinhalb Milliarden Menschen. Die Ungleichheit in dem globalen Dorf dürfte heute kaum geringer sein als im feudalen Russland vor 1917. Der Westen lagert, wie der Soziologe Stephan Lessenich gezeigt hat, Ökoschäden und Ausbeutung in den globalen Süden aus. Es gibt dort Failed States, auch zornige junge Leute, die sich überflüssig fühlen.

Obwohl der Leidensdruck im globalen Süden weit größer ist als im Rust Belt der USA oder im Ruhrgebiet, fehlt es zur Revolte an dem Entscheidenden: der Überzeugung, dass radikaler Umsturz hilft. Denn Autarkie, die rigide Abkopplung vom Weltmarkt, die die russische und die chinesische Revolution kennzeichneten, ist trotz der krassen Ungerechtigkeiten des Weltmarkts kein lohnendes Ziel. Der Preis, vom globalen Fortschritt abgekoppelt zu werden, ist im 21. Jahrhundert hoch, Nordkorea das abschreckende Beispiel.

Und nun?

In den westlichen Zentren wäre eine mit revolutionärem Elan ausgestattete, aber strikt auf Reform und Demokratie bedachte Bewegung nötig. Die müsste sowohl global als auch in Metropolen die explodierenden Ungleichheiten bekämpfen. Aber ohne wie 1917 die Freiheit scheinbarer Gleichheit zu opfern.

Eigentlich gab es diese Bewegung schon. Die internationale Sozialdemokratie, deren Spaltung die bolschewistische Machtübernahme besiegelte. Doch derzeit steckt diese Sozialdemokratie in einer tiefen Krise. Ihr Elan scheint verbraucht, für scharfe Verteilungskämpfe und entschlossene Besteuerung der Reichen ist sie zu schläfrig und zahm geworden.

Oder sind Jeremy Corbyn und Bernie Sanders erst der Anfang von etwas Neuem?

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20 Kommentare

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  • Die Reichtumspüolarisierung in Deutschland wird noch durch die Polarisierung innerhalb der EU überboten und es gibt einen Finanzkapitalismus, der vor wenigen Jahren aus den Fugen geriet und seither nicht reguliert wurde, sondern nur mit einer Reihe von Maßnahmen eingedämmt wurde. Die hohe Arbeitslosigkeit innerhalb der EU und das sich überall abzeichnende Aufkommen von autoritären Orientoerierungen hat m.M. genug, um für Umbruchssituationen zu sorgen. Gerade die EU mit ihrer Haltungslosigkeit und andererseits mit ihrer Unterdrückungsmaschinerie biett genug Raum für Krisen: Griechenland hat eine Krise durchlaufen wie in einem Krieg, warum? Weil das Land verschuldet ist und die Strukturen nicht ausreichend gewesen sind, um diese Schulden zu bedienen. Ich fürchte, dass wie auch immer geartete Umbrüche uns bald wieder erreichen können. 1914 schreibe auch jemand, dass ein massiver Krieg in Europa gar nicht möglich sei, dazu hingen die Staaten wirtschaftlich viel zu stark voneinander ab. Ja, das taten sie, aber das verhinderte nicht, was danach alles geschah.

  • "Die Höhe der Leichenberge entscheidet nicht über die Zukunftsfähigkeit eines Systems."

    So eine schwachsinnige Aussage kann nur von einem kompletten Zyniker oder vernagelten Ideologen stammen.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Saccharomyces cerevisiae:

      Lassen Sie sich nicht vom Gestank der Kadaver abschrecken, der Mann hat Recht. Wie bitteschön wollen Sie denn die Machtverhältnisse ändern? Denken Sie an Chile, wo eine rechtmässig gewählte revolutionäre Regierung einfach liquidiert wurde, wo tausende friedliebende Menschen gefoltert und ermordet wurden. Und der gesamte demokratische friedliebende Westen stand hinter Pinochet.

  • "Aber ohne wie 1917 die Freiheit scheinbarer Gleichheit zu opfern."

     

    Zur G e w a l t f r a g e

     

    von Clara Zetkin

     

    Gegen den Pazifismus (Auszug)

     

    “Der Pazifismus ist seinem Wesen nach bürgerliche Sozialreform, ist eine spezifische Form der bürgerlichen Sozialreform und ebenso ohnmächtig wie diese, die Widersprüche, Gegensätze und Übel des Kapitalismus zu überwinden.“

     

    “Um sich von der Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien, muss die Arbeiterklasse der Bourgeoisie nicht bloß die Produktionsmittel des Lebens entreißen, sondern auch die Produktionsmittel des Todes. Gewalt lässt sich nicht wegdisputieren und nicht wegbeten. Gewalt kann nur durch Gewalt gebrochen werden. Das sprechen wir Kommunisten offen aus, nicht weil wir ‘Anbeter der Gewalt’ sind, wie sanfte bürgerliche und sozialdemokratische pazifistische Gemüter uns beschuldigen. Nein, wir beten die Gewalt nicht an, jedoch wir rechnen mit ihr, weil wir mit ihr rechnen müssen. Sie ist da und spielt ihre geschichtliche Rolle, ob wir wollen oder nicht.

     

    Es fragt sich nur, ob wir sie widerstandslos erdulden oder ob wir sie kämpfend überwinden wollen.“

     

    Quelle: Clara Zetkin, Gegen den Pazifismus. Aus der

    “Kommunistischen Fraueninternationale“ 1922, S. 13/14.

  • Nachtrag:

     

    Die deutschen Idealisten unter den w/m Taz.-Lesern und gewaltfreien Gutmenschen, sie mögen nachfolgende Familien davon überzeugen, auf ihre (moralisch) gebeugten und unrechtmäßigen Kapital und Vermögensverhältnisse, die sie zum Teil in Jahrhunderten durch Raub- und Ausbeutung erworben haben, freiwillig zu verzichten:

     

    Deutschlands Geld- und Machtelite:

     

    • Arenberg, Herzöge u. Prinzen von

    Großgrundbesitzer (NRW), Schwiegersohn: Karl Theod. Frh, v. u. zu Guttenberg

     

    • Baden, Markgrafen von

    Großgrundbesitzer, Maschinenfabr.

     

    • Bassus, Freiherren von

    Großgrundbesitzer (BY)

     

    • Baudissin, Grafen von

    Großgrundbesitzer (Sch. H.)

     

    • Bayer, Gründerfamilie der Farbenfabriken Bayer, Leverkusen

     

    • Bayern, Herzöge u. Prinzen ...

    Großgrundbesitzer, Bay. Vereinsbank, Brauhaus, Sanatorium ...

     

    • Bismarck, Fürsten und Grafen von

    Großgrundbesitzer (SchH Nähe Hamburg) ...

     

    • Blohm

    Blohm & Voss, Messerschmitt-Bölkow-Blohm

     

    • Brenninkmeyer

    C. & A., Großgrundbesitz ...

     

    • Finck, von

    Bankhaus, Großgrundbesitz,, Industriebeteiligungen ...

     

    {...}

     

    Info.-Empfehlung:

     

    Das Reich zerfiel, die Reichen blieben

    Deutschlands Geld- und Machtelite

    Von Bernt Engelmann / dtv, Hoffmann und Campe Verlag

  • “Gesucht werden: Reformer mit revolutionärem Elan“?

     

    Glaubt der Autor, Stefan Reinecke, man könnte die privaten Kapital-, Eigentums-, Besitz- und Verfügungsverhältnisse, mit “Reformer mit revolutionären Elan“, so wie es die deutsche und europäische Sozialdemokratie seit 100 Jahren versprochen hatte und niemals in der gesellschaftlichen Praxis einlöste, überwinden und aufheben?

     

    Wer von den w/m Taz-Lesern und User-Kommentatoren, glaubt denn ernsthaft, die großen privaten Eigentümer und Groß- und Hauptaktionäre, an gesellschaftlichen Produktionsmitteln, würden freiwillig und ohne organisierten gewaltsamen Widerstand, auf ihre persönlich leistungslosen Multimillionen und Milliardenvermögen an Kapital und Raub-Vermögen verzichten?

     

    Wie wollen Sie friedlich die Finanz- und Monopolbourgeoisie überzeugen, diejenigen aus DAX-Konzernen, der Rohstoff-, Nuklear- und Rüstungsindustrie überzeugen, freiwillig auf ihre ökonomische Verfügungsgewalt über die materielle Produktion, Wert- und Mehrwertschöpfung, zu verzichten? Und damit das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen einzuleiten? (!)

     

    Der weltweite Finanz- und Monopolkapitalismus, der staatsmonopolistische Kapitalismus und Imperialismus, beruht auf materieller und massenpsychologischer Gewalt. Das ist die Basis seiner Existenz. Dafür ist er auch bei Strafe seines Untergangs dazu bereit, alle zur Verfügung stehenden Gewaltmittel einzusetzen, einschließlich eines (begrenzten) Nuklearkrieges, um seine Existenzgrundlage zu sichern und auszuweiten.

     

    Um auch letzteres zu verhindern, die allgemeine Vernichtung von Mensch, Umwelt und Natur, bedarf es auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, die Beseitigung des Kapitalismus und damit die Aufhebung der (differenzierten) Schichten und Klassen der Bourgeoisien. Damit die Aufhebung der sozioökonomischen Klassengesellschaften und die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung der Gleichheit, unabhängig von der Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe.

     

    I. v. II.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."So, wie es die BRD größtenteils und seit Jahrzehnten erfolgreich vormacht."

    Nur zur Information: 40 % der Menschen in Deutschland verdienen weniger, also noch vor 20 Jahren.

  • Wettbewerb ist einer der stärksten Motivationsfaktoren für den Menschen.

     

    Dass unbegrenzter Wettbewerb problematisch und auch manchmal schädlich für die Gesellschaft ist, setze ich als bekannt voraus. Wettbewerb ist also entsprechend einzuhegen und in produktive Bahnen zu lenken.

     

    Ein Wirtschaftssystem alledrings, das Wettbewerb generell verteufelt und als Fundamentalproblem abschaffen will kann ohne Repression nicht funktionieren, weil es der Natur des Menschen widerspricht.

     

    Die Lösung der Verteilungsgerechtigkeit sollte eher über direkte Demokratie und stärkere direkte Kontrolle von politisch Mächtigen durch Bürger erfolgen.

    • @Grisch:

      Klar, die Natur des Menschen bzw die göttliche Ordnung ist immer gut um die Zustände im Sinne der Herrschenden zu konservieren.

      Wenn Mangel an Wettbewerb das Problem wäre, stünde um das System sehr schlimm, da die Kapitaleigner in Zeitalter von Hochfrequenzhandel etc nicht mehr miteinander konkurrieren, sondern nur noch die Lohnabhängigen gegeneinander antreten lassen.

  • "Doch der Realsozialismus wird im Museum bleiben, weil er, anders als die Revolution 1789 mit der Republik, keine brauchbare politische Form erfunden hat."

     

    Nun, das demnächst reichste (https://www.weforum.org/agenda/2016/12/the-world-s-top-economy-the-us-vs-china-in-five-charts/) LAnd der Erde hat sich dieses politischen Systems bedient, erfolgreich mit dem Kapitalismus verheiratet und mittlerweile dem auch so sonst demokratiepingeligen Westen als erfolgreichen "my way" erklärt.

    Alles die Frage des wirtschaftlichen Erfolgs. Der gerechtfertigt anscheinend auch Leichenberge.

  • Können Sie auch nur ein Land nennen, dessen Realsozialismus nicht in einer Diktatur und/oder im wirtschaftlichen Ruin gelandet wäre?

     

    Die gleichen Fehler immer und immer wieder zu machen - das ist doch irrational.

     

    Der Kapitalismus hat entscheidende Schwächen, aber er ist besser als sein Ruf.

     

    Unser Ziel muss es sein, marktwirtschaftliche Prinzipien mit sozialem Anspruch zu vereinen.

     

    So, wie es die BRD größtenteils und seit Jahrzehnten erfolgreich vormacht.

  • Möglich ist im Prinzip alles, wenn nicht jetzt, dann in der Zukunft.

     

    Die genannten Faktoren wie Brachliegen von Kreativität, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit, Altersmelancholie, historisches Wissen über Leichenberge etc., dazu Dinge wie politische Entscheidungen, Kriege, Wanderungsbewegungen etc., Einflüsse wie Klimawandel, Seuchen, Umweltkatastrophen etc., usw. usf. spielen natürlich eine Rolle, vorhersagen oder quantifizieren lassen sie sich nicht.

     

    Fazit: Niemand kann in die Zukunft sehen. Ein rundes Jubiläum wie das der Oktoberrevolution ändert daran nichts.

  • Der Autor übersieht einen entscheidenden Unterschied. Zu Marx Zeiten machte es Sinn die Arbeiter aller Länder zur Vereinigung aufzurufen. Ungleichheit verteilte sich weitgehend entlang von Standesgrenzen und das über Landesgrenzen hinweg. Heute ist es umgekehrt. Global betrachtet ist hierzulande jede reich. Westlichen neonationalismus kann man dementsprechend auch als Aufstand der global reichen lesen, die ihre Pfründe vor den global Armen schützen wollen.

     

    Vor diesem Hintergrund wird die Frage überdringend, wem die Solidarität linker Utopien heute gelten soll.

    • @Janz Schlau:

      Vorlage für identitäre Barbarei, die natürlich manch einem Triebabfuhr verheißt. Auch dem Bangladeshi oder Nigerianer ist klar, dass der Hartzer das verachtete Ende der hiesigen Gesellschaft darstellt. Und der Vergleich des Lebensstandarts ist irrelevant, da sich Menschen immer nur in ihrem Umfeld vergleichen.

       

      Aber schließlich geht es bei der linken Grundidee nicht um Solidarität mit diesem oder jenem, sondern um die dialektische Verbesserung des Menschen. Wenn aus der sozialen Frage jetzt aber eine ethnische bzw rassistische gemacht werden soll hat sich das mit den Linken sowieso erledigt.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Der Terror, den Lenin begründete und Stalin in einem paranoiden System perfektionierte, ist kein Grund, warum der Realsozialismus keine Zukunft haben könnte. Die Höhe der Leichenberge entscheidet nicht über die Zukunftsfähigkeit eines Systems."

     

    Ersetzen Sie Lenin und Stalin in diesem Text mal durch Hitler und Realsozialismus durch Nationalismus. Dann haben Sie einen Satz da stehen, der bislang nichtmal von der AfD zu hören.

     

    Würden Sie bei einem solchen Satz auch wohlwollenden nicken?

    • @80576 (Profil gelöscht):

      oder durch das Morden während der französischen Revolution, die Sklaverei in der jungen demokratischen USA, die Hungertoten durch Nahrungsmittelspekulationen...

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Sie können doch nicht einen polemischen Text gegen den Autor wenden, das ist doch unfair. Dann funktioniert die Salonrhetorik des Klassenkampfes nicht mehr.

  • Bemerkungen.

     

    Die Geschichte ist die Summe aller gesellschaftlichen Akteure und Bewegungen.

     

    Teil II.

     

    In Ostdeutschland übernahm eine Minderheit nach 1945/1946, angeführt von Kommunisten, unter Anleitung der (politischen) sowjetischen Administration, zusammen mit freiwillig und unfreiwillig gebeugten Sozialdemokraten und den Vertretern kleinerer bürgerlicher Parteien, die übertragene administrative politische Macht. Eine vorgebliche Massenbasis wurde auf allen ostdeutschen Medien propagiert, insbesondere unter der Arbeiterklasse und den werktätigen Genossenschafts-Bauern der DDR, aber in Wahrheit niemals erreicht. Was auch den wenigen marxistischen Genossen der Basis, hier, ohne die idealistischen oder opportunistischen Scheuklappen, durchaus bewusst war. {...}

     

    [- unvollständig.]

  • Bemerkungen.

     

    Die Geschichte lässt sich nicht auf Persönlichkeiten reduzieren, weder auf Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao. Sie ist die Summe aller gesellschaftlichen Akteure und Bewegungen.

     

    Die marxistische Aneignung der Welt war im wesentlichen ein ideologisches Elitenprojekt. In allen nationalen Befreiungsbewegungen war der Nationalismus als treibende Kraft der Volksmassen führend. Aber auch die Eliten sozialer Revolutionen wurden maßgeblich von idealistischen Vorstellungen getragen. // Blicken wir auf die deutsche Geschichte nach 1945. Hier vor allem auf Ostdeutschland. So wie auch in Westdeutschland, so auch in Ostdeutschland. Die Befreiung vom Faschismus erfolgte nicht durch die werktätigen Volksmassen. Insbesondere auch nicht durch die Arbeiterklasse. Die gesamtdeutsche Arbeiterklasse war frühestens nach den Olympischen Spielen 1936 und spätestens in den imperialistischen Erfolgsjahren des Krieges, September 1939, bis Frühjahr/Sommer 1942, in ihrer großen Mehrheit an der Seite der NS-Kapitalfaschisten. Nicht zuletzt auch in Erwartung auf materielle Beute und einen Anteil bei der Verteilung. Diese materielle Erwartung der werktätigen Volksgemeinschaft, der unteren sozialen Schichten und Klassen, konnte am ehesten in den ersten Erfolgsjahren gegen Frankreich massenpsychologisch erfüllt werden. Die Volksgemeinschaft der Großbourgeoisie und Agrarwirtschaft sah ihre Zukunft in der Übernahme osteuropäischer Rohstoffvorkommen und fruchtbarer Ländereien. Dabei aber vor allem auch in der Erwartung billiger Arbeitskräfte, die vom Herrenvolk und von heimischen m/w Kollaborateuren unter Kontrolle gehalten werden. // All diese Erwartungen der gesamtdeutschen Volksgemeinschaft wurden nicht erfüllt. // In Ostdeutschland übernahm eine Minderheit nach 1945/1946, angeführt von Kommunisten, unter Anleitung der (politischen) sowjetischen Administration, zusammen mit freiwillig und unfreiwillig gebeugten Sozialdemokraten und den Vertretern {...}

     

    Fortsetzung Teil II. von II.

  • Ist 100 Jahre nach 1917 ein gewaltsamer Umsturz möglich? Die globale Ungleichheit ist kaum geringer als damals.

     

    Lenin hat mit Milch auf Papier geschrieben und seine Botschaften weiter verteilt. Seine Gegner und Unterdrücker der Bevölkerung konnten seine Ansprachen an das Volk nicht sehen. Die mit Milch beschriebene Blätter musste man gegen Lampenlicht länger halten, damit die Worte erscheinen.

     

    Heute gibt es Computern und Internet. Bessere Möglichkeiten und andere Dimensionen. Aber die Bevölkerung Russlands ist sehr arm und die Bildung ist mangelhaft. Die mangelhafte Bildung ist wegen der Armut. Sehr viele Menschen wissen nicht was passiert. Sehr viele Menschen wissen nicht, dass die Armut nicht in Ordnung ist. Sehr viele Menschen wissen nicht, welche Rechte sie haben. Vergleichsweise wenig Menschen haben einen Internetzugang und können mit Computern überhaupt umgehen.

     

    Noch ist ein Umsturz nicht möglich, jedoch künftig wohl unausweichlich, wenn Herr Putin nicht Vieles verändert.