100 Jahre Neues Bauen in Berlin: Das Welterbe an der Wasserplansche

Der Schillerpark ist die erste der Siedlungen der Moderne, die mit Mitteln der Hauszinssteuer gebaut wurde. Bis heute gehört sie einer Genossenschaft.

Hundert Jahre und dennoch noch putzmunter: Tauts Siedlung im Schillerpark Foto: Paul Langrock

BERLIN taz | Vielleicht ist Bruno Tauts Siedlung am Schillerpark die unscheinbarste der sechs Berliner Siedlungen der Moderne, die 2008 mit dem Welterbetitel geadelt wurden. Sie hat nicht den großstädtischen Gestus der Weißen Stadt in Reinickendorf oder der Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg. Auch fehlt ihr eine exzentrische Figur wie bei der Hufeisensiedlung in Britz.

Dafür ist der im Norden des Weddings in der Bristolstraße gelegene Schillerpark die erste moderne Wohnanlage, deren Bau 1924 mit Mitteln der Hauszinssteuer begonnen wurde. Und noch etwas zeichnet Tauts Backsteinsiedlung mit den weiß geputzten horizontalen Fensterbändern aus: Das Soziale wurde hier groß geschrieben.

Bauherrin der 1930 fertiggestellten Siedlung am Schillerpark war mit dem „Berliner Spar- und Bauverein“ eine Genossenschaft. Zunächst wurden 303 Wohnungen errichtet. Um eine Förderung aus Mitteln der Hauszinssteuer zu bekommen, musste Taut Mindeststandards einhalten. So durfte eine Wohnung nicht kleiner als 45 Quadratmeter sein.

Eine Besonderheit sind auch die sogenannten Trockengeschosse. Die zwei Meter hohen Geschosse unter dem Dach boten Platz zum Wäscheaufhängen und wurden bald zu einem Wahrzeichen der Bauten von Bruno Taut. Zwischen den Baukörpern war umso mehr Platz zum spielen.

Gleichzeitig wurde im Wedding mit einer Berliner Tradition gebrochen. Denn der Schillerpark ist die erste Siedlung der Stadt mit Flachdächern gewesen. Es war sozusagen der vorgezogene Auftakt für den später erbittert ausgetragenen „Dächerstreit“ in der Weimarer Republik. Vertreter des Neuen Bauens und Traditionalisten standen sich unversöhnlich gegenüber.

Wedding als Vorreiter

Sozial war auch die Umgebung. Im namensgebenden Schillerpark befand sich Berlins erste Plansche. Erst vor Kurzem wurde der Wasserspielplatz saniert. Der Park war 1913, also noch vor dem Ersten Weltkrieg, nach den Entwürfen von Friedrich Bauer fertiggestellt worden und gilt als erster Berliner Volkspark. Der Wedding als Vorreiter, wann hat es das zuletzt gegeben?

Allerdings blieb das Ziel, Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zu schaffen, nicht selten mehr Anspruch als Wirklichkeit. Im dritten Bauabschnitt war die Mehrzahl der Wohnungen Gewerkschaftsfunktionären vorbehalten. Schon zuvor war die Siedlung wegen des hohen Anteils von SPD- und KPD-Funktionären auch „Rote Bonzenburg“ genannt worden. An der Plansche fand 1927 das Jahrestreffen des Rotfrontkämpferbundes statt.

Im Zweiten Weltkrieg durch Bomben beschädigt, wurde die Siedlung ab 1951 von Bruno Tauts Bruder Max wieder aufgebaut und von 1954 bis 1959 auf 570 Wohnungen erweitert.

Heute wird die Siedlung im Schillerpark von der „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ verwaltet. Die lange Tradition genossenschaftlichen Bauens und Wohnens spielte auch bei der Welterbeentscheidung von 2008 eine große Rolle. „Damit wird die Genossenschaftsidee als Modell der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung (…) weiterhin aktiv gelebt“, hieß es damals bei der Unesco.

Auch bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag im Juli spielte die besondere Geschichte des Schillerparks eine Rolle. Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) lobte dabei ausdrücklich den Genossenschaftsgedanken.

Die Genossenschaft selbst, die auch die vor dem Ersten Weltkrieg von Bruno Taut errichtete Gartenstadt Falkenberg – auch sie ist Welterbe der Unescco – bewirtschaftet, formuliert das so: „Durch die genossenschaftliche Rechtsform ist garantiert, dass die Welterbe-Siedlungen dauerhaft im Eigentum der Gemeinschaft verbleiben sowie jede Art von Spekulation oder Weiterverkauf ausgeschlossen ist.“

Mag Tauts Siedlung am Schillerpark auch unscheinbar sein. Was das Soziale angeht, ist sie auch 100 Jahre nach Baubeginn unschlagbar.

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