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100 Jahre DadaBum-Bum-Arthur

Arthur Cravan galt als Blender, auch weil er den besten Schwergewichtler seiner Zeit herausforderte. Dabei boxte der Dichter mit Erfolg.

Unscharf: War er Boxer oder Dichter? Oder beides? Arthur Cravan. Foto: Edition Nautilus

Vor 100 Jahren, am 23. April 1916, boxte Cravan gegen Jack Johnson. Auf ihn, den besten Schwergewichtler seiner Zeit, traf er in der Stierkampfarena Plaça de Braus de la Monumental in Barcelona. Dass der Amerikaner damals nicht mehr Champion oft the World war, lag einzig an einem rassistischen Komplott, das gegen ihn geschmiedet worden war.

„Exweltmeister Jack Johnson vs. Europameister Arthur Cravan“, so war der Kampf angekündigt worden. Natürlich war Cravan nie Europameister, aber das Boxen war damals noch nicht allzu verbreitet, Weltverbände gab es nicht. Geboxt wurde nach den sogenannten Queenberry-Regeln, die um 1865 der 9. Marquess of Queensberry entwickelt hatte.

Arthur Cravan, der 1887 als Fabian Avenarius Lloyd in Lausanne geboren wurde, war der Neffe des Schriftstellers Oscar Wilde. Einer der Söhne des besagten 9. Marquess of Queensbury, Lord Alfred „Bosie“ Douglas, war ein Lover von Wilde, und der 9. Marquess war es, der für das Bekanntwerden von Wildes Homosexualität sorgte – und letztlich den Ruin des Schriftstellers verursachte. Der amerikanische Publizist James Reich schreibt, indem sich Arthur Cravan als Dadaboxer inszenierte, „verhöhnte er Queensbury und rächte seinen Onkel“.

Bevor er gegen Johnson boxte, war Cravan schon als Dichter berühmt. Von 1912 bis 1915 hatte er in Paris die Zeitschrift Maintenant herausgegeben. Darin veröffentlichte er 1915 den Aufsatz „Poet und Boxer“.

K. o. in der 6. Runde

„Mein Kampf sollte etwas völlig Neues sein“, schrieb er da: „der tibetanische Kampf, der bekannteste wissenschaftliche, viel schrecklicher als Jiu-Jitsu.“ Das Blatt brachte Cravan die Bewunderung von Künstlern des Dadaismus wie dem Maler Marcel Duchamp und dem Dichter André Breton ein. Nur kein Geld.

Der Kampf gegen Johnson war Cravans erster Profikampf und keiner, der Boxhistoriker interessieren musste: Der Favorit dominierte und siegte durch K. o. in der 6. Runde. Johnson vermerkte später, dieser Cravan sei wohl völlig untrainiert angetreten.

Mein Kampf sollte etwas völligNeues sein”

Arthur Cravan

„Für Johnson war es ein recht ereignisarmer ‚Testkampf‘, wie er es selbst genannt hatte“, wie der Dada-Experte Francis M. Naumann meint. „Für Cravan blieb es das größte Ereignis seines tragisch kurzen Lebens.“ In Barcelona bestritt er noch einen weiteren Kampf, dann, noch im Juni 1916, schiffte er nach New York ein, um – wie vorher schon in Frankreich – dem Weltkrieg zu entkommen.

Mit auf der Passage war Leo Trotzki, der russische Revolutionär. In dessen Erinnerungen heißt es: „Ein Boxer, gleichzeitig auch belletristischer Schriftsteller, ein Vetter Oscar Wildes, gestand offen, er ziehe es vor, die Kiefer der Herren Yankees im edlen Sport zu zertrümmern, als seine Rippen von irgendeinem unbekannten Deutschen durchstechen zu lassen.“

Glaube an die Selbsterfindung

Bis heute dominiert ein Bild Cravans als großer Blender, der selbstverständlich nicht im bereits entwickelteren US-Boxen reüssieren konnte. Einer, der glaubte, er könne sich derart konsequent selbst erfinden, dass er sogar als Schwergewichtsweltmeister groß herauskommen könnte. Und scheiterte.

Doch der Niederländer Bastiaan van der Velden, der seit zehn Jahren privat Arthur-Cravan-Forschung betreibt, hat mit unglaublicher Materialfülle nachgewiesen, welch großen Stellenwert das Boxen in Cravans Leben schon ab 1909 hatte.

Da begann er in einer Pariser Boxschule mit dem Training, wie van der Velden im Nachwort des Buches „König der verkrachten Existenzen“ (Edition Nautilus) schreibt. 1910 wollte er bei „Les Championats Amateurs“ antreten, doch in seiner Gewichtsklasse war Cravan der Einzige.

Ein Sportjournalist war dennoch nach ein paar Schaukämpfen voll des Lobes: „Und ich frage mich, wer in der Kategorie der Halbschwergewichte dem wunderbaren Schwung des älteren Lloyd widerstehen könnte, dessen Körpergröße an die zwei Meter betragen muss und der, trotz eines kräftigen Oberkörpers, nur 77 Kilo wiegt.“

„Künstler bis in seine Seele“

Es folgten allerlei Kämpfe, nur nicht mehr um sportliche Ehren. Der Anarchist Emil Szittya berichtete: „Er boxte jeden nieder, der es auf der Straße wagte, auf die Automobilanarchisten zu schimpfen.“ (Besagte Anarchisten waren Bankräuber, die mit dem Auto vorzufahren pflegten.)

1913 und 1914 sind diverse Schaukämpfe in Pariser Revuen dokumentiert, einmal tatsächlich gegen einen Boxer Johnson – ein Jim Johnson, der als Neffe von Jack galt. Cravan blieb als Boxerpoet im Gespräch. Die Pariser Wochenzeitung L’Aéro schrieb: „Dieser Mann, der sich lieber Boxer nennt als Dichter, ist Künstler bis in seine Seele.“

1917 zog es Cravan nach Mexiko, wo er eine Boxschule gründete und mit Kämpfen seinen Lebensunterhalt bestritt. Um seinen Ruf aufzupeppen, behauptete er, er habe schon gegen „O’Mara, Champion of Canada“, geboxt – was natürlich nicht stimmte.

In Briefen an seine Freundin und spätere Frau, die Dichterin Mina Loy, erwähnte er, bald wolle Jack Johnson zu ihm nach Mexiko kommen, sogar von einer gemeinsamen Boxakademie war die Rede.

Auf großer Fahrt

Doch trotz Heirat und Erfolgen fehlte es Cravan im Juni 1918 wohl an Perspektiven. „Er sah sich in einer Sackgasse am teilnahmslosen Rand der Welt und kaufte mit einigen anderen Deserteuren ein Segelschiff“”, schreibt van der Velden.

Seither gilt Arthur Cravan als verschollen. Es gibt Gerüchte, die ihn für den mysteriösen Dichter B. Traven halten, aber am wahrscheinlichsten ist wohl, dass der Dadaboxer 1918 auf seiner Schiffsreise, die ihn von Mexiko nach Südamerika führen sollte, umkam, mit 31 Jahren.

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