100. Geburtstag von Artur Brauner: Erinnerer und Unterhalter
Der jüdische Filmemacher Artur Brauner blieb in Deutschland, obwohl er von den Nazis verfolgt wurde. Später produzierte er fast 300 Filme.
„Vielleicht hat er nur Marschieren gelernt und Singen und Schießen, vielleicht hat man ihm jedes Gefühl aus dem Herzen wegkommandiert …“ Was der von Josef Almas gespielte jüdische Arzt da über einen deutschen Wehrmachtsoldaten sagt, der von KZ-Flüchtlingen in ihrem Waldversteck gefangen gehalten wird, das war 1948 unerhört. Unerhört, weil es einer Einladung zur gedanklichen Vergebung gleichkam, weil es von Verständnis zeugte und damit von der Weigerung, den Deutschen eine Kollektivschuld zu attestieren.
„Morituri“, die Todgeweihten, hieß das Werk, das eigentlich Artur Brauners erster Film als Produzent werden sollte, aber wegen Finanzierungsschwierigkeiten zu seinem zweiten wurde: Keiner wollte die Geschichte bezuschussen, die auf Brauners eigenen Erinnerungen beruht und in der eine Gruppe aus Deutschen, Polen, Franzosen, Russen und Kanadiern, darunter auch Juden, sich gemeinsam vor den Nazis versteckt. Denn diese Art der Auseinandersetzung war in der Besatzungszeit und noch lange danach unerwünscht.
Brauner, der erst im September 1946 seine Produktionsgesellschaft CCC gegründet hatte, musste das visuell beeindruckend expressionistische Versöhnungswerk hintanstellen und das nötige Kapital durch eine weichgespülte Operetten-Komödie namens „Herzkönig“ auftreiben. Erst ein Jahr später wurde „Moritori“ unter abenteuerlichen Bedingungen mit Strom- und Versorgungsmangel im kalten brandenburgischen Winter vom Regisseur Eugen York inszeniert; die Uraufführung erfolgte 1948 im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig.
An den Kinokassen des Landes war dieser erste deutsche Film, der von Holocaust und Flucht erzählt und die Zuschauer mit selbstverständlicher, nicht untertitelter Mehrsprachigkeit und Vielschichtigkeit der Motive forderte, nicht nur ein absoluter Flop – etliche Kinos hatten sich sogar geweigert, ihn überhaupt zu zeigen.
Fast 300 Produktionen
Brauner hat das nie angefochten. Es scheint ihn eher angefeuert haben, weiterzumachen. Bis heute: Fast 300 Produktionen hat der rührige Neu-Centenarian verantwortet, seine Tochter Alice, eines seiner vier Kinder, führt eine der ältesten deutschen Produktionsgesellschaften weiter – momentan werden in den CCC Studios unter anderem Netflix-Serien gedreht.
1990 hatte das Frankfurter Filmmuseum dem aus Lodz stammenden Möglichmacher eine umfassende Ausstellung samt Werkschau gewidmet. Im dazugehörigen Katalog schreibt deren ehemalige Direktorin, die Filmwissenschaftlerin Claudia Dillmann: „Die Anekdoten, deren Gegenstand Artur Brauner seit Beginn der fünfziger Jahre war, zielten auf seine extreme Sparsamkeit, seine Cleverness, seine Wendigkeit, Zielstrebigkeit oder Härte – alles Tugenden auf der Werteskala der Ellenbogen-Gesellschaft der fünfziger Jahre.
Zehn Jahre früher hätte der offizielle wie der gesellschaftliche Sprachgebrauch dieselben Eigenschaften eines jüdischen Geschäftsmannes Geiz, Verschlagenheit, Habgier und Tierhaftigkeit genannt. Ungeschützt redete in den fünfziger Jahren keiner mehr so, das Zerrbild aber darf mitgedacht werden …“.
Doch Brauner, der in Interviews immer wieder sagt, er empfände „keinen Hass“ gegen die Deutschen, hatte sich längst entschieden, im Land der Täter zu bleiben, und nicht, wie die restlichen Überlebenden seiner Familie, nach Israel zu gehen. Wie er auf dem Weg aus Polen nach Berlin kurz nach dem Krieg einen Leichenberg im Wald entdeckte, der ihn, den Filmfan, darin bestärkte, die Geschichte von Deutschland und den Nazis weiterzuerzählen, zu fiktionalisieren, um die Opfer nicht vergessen zu machen, ist ein weiteres, oft von ihm kolportiertes und erschütterndes Ereignis.
Schlüpfrig-verklemmte Filmreihe
Und die Fluchterlebnisse seiner Frau Maria, die 2017 nach siebzig Jahren Ehe starb, werden ihn ebenfalls bestärkt haben, auch Themen durchzusetzen, die damals (und heute) nur wenige auf der Leinwand sehen wollten.
Brauner produzierte sogenannten „Mainstream“ mit gleich großem Interesse und Leidenschaft wie jene kompromisslosen Herzensprojekte, die er „meine jüdischen Filme“ nennt. Politische Werke wie „Die Flucht“ von 1963, in dem Edwin Zbonek Götz George als KZ-Insassen inszenierte, „Zeugin aus der Hölle“ von 1966 über eine durch den Prozess gegen einen Lagerarzt retraumatisierte Jüdin.
„Sie sind frei, Dr. Korczak“ von 1973 über Kinder des Warschauer Ghettos ging er genauso energetisch an wie Abenteuer-Monumentalfilme, Karl-May-Adaptionen oder die schlüpfrig-verklemmte Filmreihe „Erotik auf der Schulbank“, die den durch den Zeitgeist verkleideten Sexismus der 60er Jahre atmete.
1955 produzierte er das mutige Drama „Die Ratten“, in dem „Seelchen“ Maria Schell eine schwangere, mittellose Frau spielt, eine Verfilmung eines Gerhart-Hauptmann-Dramas. Regie-Legende Fritz Lang, dessen Brauner-Film „Der Tiger von Eschnapur“ aus allen finanziellen Rahmen zu kippen drohte, setzt er in einem geharnischten Brief per Luftpost/Eilboten unter Druck: „Der Film muss am 9. Januar 1959 herauskommen – und daran ist nicht zu rütteln!“
Markenzeichen: Bärtchen
Lang gehorchte, und der Prunk-und-Kitsch-Schinken wurde ein Hit. 1990 ehrte man Brauners Drama „Hitlerjunge Salomon“ mit einem Golden Globe – ins Oscar-Rennen hatte das deutsche Auswahlgremium ihn allerdings nicht schicken wollen.
Auf einem Spiegel-Cover von 1957 sieht man einen damals noch Halbglatzenträger mit dichten Augenbrauen und amüsiertem Lächeln unter dem Signature-Bärtchen. Die Unterzeile lautet, in Anspielung auf sein eigenhändig geschaffenes Imperium, „Der Allein-Unterhalter“. Dabei arbeitet Brauner, dem Curd Jürgens einst den Spitznamen „Atze“ verpasste, vor allem für die Gemeinschaft. Für eine vielfältige Gemeinschaft, die – mithilfe von Filmen – vielleicht verzeiht. Aber nie vergisst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter