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10 Jahre taz2Beleidigend, boshaft, belanglos

Mode, Porno und Computerspiele: taz2 wäre gern vergnüglicher Luxus und intellektueller Überfluss. Ist aber nur Tand und Ramsch.

Eine Informationsquelle von taz2: Das Frauenklo Bild: dpa

Manchmal verweist das Zahlwort „zwei“ auf Ausschweifung und Sinnenfreude. Auf Dinge, die man nicht zum Überleben braucht, die aber das Leben schöner machen: der Zweitsitz, der Zweitwagen, die Zweitfrau. In anderen Fällen ist dieses Zahlwort bloß ein Euphemismus für fehlende Qualität: zweite Wahl, zweite Klasse, Zweite Liga.

Der sogenannte Gesellschaftsteil dieser Zeitung wäre gerne das eine, ist aber das andere. taz2 wäre gern vergnüglicher Luxus und intellektueller Überfluss, ist aber geschwätziger Tand und gefährlicher Schund. Nicht das Arkadien dieser Zeitung, sondern eine Stadt der Blinden, in der der Einäugige nicht König ist, sondern Schreibverbot hat.

Allein in dieser Hinsicht ist es von Bedeutung, dass taz2 eine Zahl im Namen trägt. Ansonsten sind dieser Abteilung Daten und Fakten egal. Zahlen zählen nicht, es gilt das Primat der Meinung, und je absonderlicher eine Behauptung ist, umso willkommener darf sie sich hier fühlen. Verpönt ist die nüchterne Sachlichkeit wie die konstruktive Kritik, geschätzt die billige Polemik und die plumpe Verallgemeinerung, und jeder noch so alberne Manierismus gilt aus Ausdruck originellen Stils.

taz2 heißt Nachrichten aus zweiter Hand, kredenzt mit einem großen Klatsch Meinungssenf. Recherchiert wird nicht, die wesentlichen Informationsquellen sind der Videotext von RTL, die Nachrichtenseite von GMX und das Frauenklo. Die Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist Kalkül, nicht Unfall, die Geschäftsgrundlage ist das Triple-B aus Beleidigung, Boshaftigkeit, Belanglosigkeit. Bild-Niveau unterhalb des Bild-Niveaus, Spiegel Online ohne Online.

Der Verrat als Prinzip

taz2 in Bildern

Bekanntlich klaffen Selbst- und Fremdwahrnehmung ja oft auseinander. Wie taz2 sich sieht – und gesehen wird: hier in Bildern.

Der Verrat an der Diskurslinie ist Prinzip. Doch was sich als „provokative andere“ Meinung tarnt, ist meist bloß die Meinung der anderen. taz2 ist das Einfallstor für neokonservative, neoliberale und neoprivatistische Ideologie. In ihrem Gefolge marschieren die Ausdünstungen kleinbürgerlicher Ideologie: Eskapismus und Formalismus, Verbalradikalismus und Optimismus, Hedonismus und Nihilismus, schwarz-grüne Fantasien und rotzblaue Hirngespinste.

Zwar erscheinen auf taz2 gelegentlich pädagogisch wertvolle Artikel. Doch die sind nur Feigenblätter, um zweifelhafte Ansichten hoffähig zu machen und das langfristige Ziel, nämlich die Entpolitisierung der Politik und die Verramschung der Kultur, zu verbergen. Beliebigkeit ist Programm. Die Wahrheit ist nicht länger die Wahrheit, sondern bloß eine Meinung unter vielen; die Gesellschaftskritik nicht mehr Zweck allen Tuns, sondern nur eine Rubrik neben anderen. Alles kann, nichts muss.

Nicht nur durch den zweiten Aufguss rechter Ideologie richtet taz2 immense Schäden an. Der informationsbedürftige Leser wird zudem verwirrt, verblendet und berieselt mit Themen, die ein kritisches Feuilleton ned amoi ignorieren würde, mit Unrat aus dem Internet, kostenloser Werbung für kapitalistische Waren oder seitenlangen und entsetzlich öden Interviews mit zweitklassigen Berühmtheiten aus Funk und Fernsehen, bei denen sich der lesende Arbeiter fragt, worüber er sich mehr wundern soll: das Geschwätz der Interviewten oder den Stolz der Interviewer, einem leibhaftigen deutschen Fernsehkommissar gegenüberzusitzen?

Für andere Zwecke verlassen die Mitarbeiter von taz2 die Redaktion nur selten. Dann suchen sie eine Pressevorführung auf, über die sie unter dem Rubrum „Ortstermin“ einen Artikel schreiben, in dem sie sich hauptsächlich über das Catering beschweren. Exquisite, üppige und selbstredend kostenlose Verpflegung gilt taz2-Redakteuren als oberstes Gebot der Pressefreiheit.

Schwule und Ausländer, schwule Ausländer und ausländische Schwule

Weitere Themen sind Mode und Computerspiele, Pornografie und Popmusik, Schwule und Ausländer, schwule Ausländer und ausländische Schwule – jeder Schnickschnack stößt auf hirnrissige Begeisterung, zumindest aber auf große Beachtung, allen voran der Schnickschnack ums Schnackseln: Wer, wie, mit wem, warum nicht oder doch? Mit diesem Unsinn füllt taz2 kostbare Zeitungsseiten, für die unschuldige Bäume sterben mussten.

Der so verschwendete Platz fehlt an anderer Stelle, um über die wirklich wichtigen Themen zu berichten. Oder können die Macher von taz2 darüber Auskunft geben, welchen Beitrag die „Gesellschaftsseiten“ in den zehn Jahren ihres Bestehens zur Lösung der drängenden Fragen unserer Zeit – Krieg und Frieden, Euro und Armut, Israel, Bildung und Wetter – geleistet haben? Sie können nicht.

Denn um sich mit solch ernsthaften Fragen zu beschäftigen, braucht es etwas, das taz2-Journalisten so scheuen wie seriöse Journalisten die falsche Tatsachenbehauptung: Es braucht Ernsthaftigkeit. Bei taz2 hingegen herrschen Gute-Laune-Terror und Humorwahn. Schon die vermeintlich lustigen Rubrikentitel („Alte Spinner“, „Das belanglose Detail“, „Mitreden, obwohl ich keine Ahnung habe“) zeigen an, dass man hier nichts ernst nehmen muss, weil nichts ernst gemeint ist – außer natürlich der Hohn und der Spott, den man kübelweise über emanzipatorische, linke und konsumbewusste Stimmen vergießt.

Dass Ironie und Humor das neue Opium des Volkes sind, haben diese Redakteure noch nie gehört. Und wenn sie es hören würden, würde ihnen dazu nur eines einfallen: „Opium? Like it!“ Dabei sind die Redakteure von taz2 zwar infantil, aber keineswegs mehr jung. Und je älter sie werden, umso hemmungsloser frönen sie dem Kult des Juvenilen.

Nützlich an diesem Teil der Zeitung ist einzig das allerdings viel zu knappe Fernsehprogramm. Aber nicht einmal das können die Macher von taz2 kommentarlos, ohne Hihi und Hoho und Ich-Ich-Ich abdrucken.

Nein, dieses Treiben kann man nicht goutieren, und der Leser goutiert es auch nicht, er ist ja nicht blöd. Säckeweise Abokündigungen gehen darum Woche für Woche in der Zeitung ein, was taz2 aber kein bisschen zum Innehalten bewegt. In maßloser Hybris fasst man derlei Kritik als Bestätigung, weswegen man sich die Kündigungsbriefe wie Schulterklappen an die Brust heftet.

Verderblicher Einfluss

Massiv-konstruktive Kritik regt sich auch innerhalb der Redaktion („Ihr geht mit der taz um, als hättet ihr eine zweite im Keller“). Damit konfrontiert, flüchten sich die Macher von taz2 in Ausflüchte: Es seien ja nur zwei, drei Seiten, wer sie nicht möge, könne sie überblättern. Doch wer sich damit abfindet, beteiligt sich an der Verharmlosung des kulturindustriellen Verblendungszusammenhangs und verkennt den verderblichen Einfluss von taz2 auf andere Teile der Zeitung.

Ein Blick in die Internetausgabe (taz.de) oder den Wochenendteil (sonntaz) spricht Bände beziehungweise offenbart Abgründe. Dass aus Gründen der Abgrenzung inzwischen ein Ressort namens „taz1“ geschaffen wurde, ist da ein Schritt auf den heißen Stein beziehungsweise ein Tropfen in die richtige Richtung.

Auf das Schlimmste aber hat das keinen Einfluss. Das Schlimmste sind die Kolumnen. Jeder Tag ein neuer Beitrag für die Anthologie von Texten, die die Welt nicht braucht; verfasst von Leuten, deren literarisches Talent sich umgekehrt proportional zu ihrem Mitteilungsdrang verhält und die noch auf die Frage nach der Uhrzeit mit einem Ich-Satz antworten. Leute, die jede Nichtigkeit aus ihren Schlaf-, Kinder- und Badezimmern mit einer Schamlosigkeit zur Schau stellen, die jeden anständigen Exhibitionisten aus dem Stadtpark erröten lassen würde.

Das i-Tüpfelchen ist die „Fünfjahresvorschau“, die man aus planwirtschaftlicher Besessenheit wie sadistischem Eifer unter jede Kolumne setzt und die dem Leser zu erkennen gibt: Lasst, die ihr das lest, alle Hoffnung fahren. Alles war heute schlecht. Nichts wird morgen besser werden, morgen wird euch ein andrer quälen.

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18 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Am 22.10. erschien in der taz eine Rezension zu meinem Buch „Ostfriesland verstehen – Berichte aus einem eigentümlichen Land“.

    Herr Yücel, Sie haben eine sehr treffende Analyse dieser Rezension vorgelegt!

  • S
    sarko

    W a s für ein Hammer ! Wer außer der taz hat schon so einen Autor wie DY ?! Einen , der im eigenen Blatt der dort anteiligen postmodernen "Anything goes !"- Scheiße soo in die Fresse hauen kann !

  • J
    Joopi

    Sehr interessant Herr Yücel, aber Sie haben den Zweitmann vergessen. Zufall? Versehen?

  • R
    reblek

    Da ich taz2 schon lange nicht mehr regelmäßig lese, kann ich die Beurteilung von Herrn Yücel nur aus der Vergangenheit beurteile, nachvollziehen und teilen. Vor allem eins fehlt in seiner Aufzählung, das sicher auch vor allem auf taz2 jedes Jahr fröhliche Urständ feiert: der unerträgliche Euro-Singsang, auf den der ebenso unterträgliche Herr Feddersen seine Lobeshymnen ablässt, statt sich als Pressesprecher zu dieser Veranstaltung abzuseilen.

  • Da muss es im Laden schon weit böse zugehen, wenn ein Autor sich zu intern klärbaren Dissonanzen so über der Leserschaft erbrechen muss.

     

    Schon mal was von Coperate Communication gehört ?

  • Das musste längst mal gesagt werden und wer - ausser Deniz - hätte das sonst machen sollen? Die taz sollte eigentlich ein Juwel in dieser tristen Medienlandschaft sein. Opfert sie nicht dem Drogenmissbrauch, der Belanglosigkeit und der Bequemlichkeit!

  • H
    Helge

    Mal wieder große Kunst, Deniz! Aber ich frage mich, warum man in letzter Zeit so wenig von dir liest. willst du nicht mehr oder darfst du nicht mehr?

  • "Recherchiert wird nicht", tobt Herr Yücel, der größte Recherchierer der Welt, wie Karlsson sagen würde. Hm. Ist das jetzt schon wieder so'n soziales Experiment oder doch bloß die übliche gequirlte Scheiße, die an diesem Autor offenbar so sehr geschätzt wird?

  • Deniz Yücel for Chefredakteur at least of taz2 - die dann nicht mehr "taz2" heißen, sondern einen einprägsamen Namen tragen soll!

     

    Bis zur "taz2 Jubelwoche" dachte ich eher an den technischen Begriff der Zeitungsfachsprache "2. Zeitungsbuch" - in der taz als Kopftitel genutzt, um die abseitigeren Rubriken (darunter auch gute!) für begrenzte Lesergruppen und um die weniger motivierten Nachwuchsredakteure irgendwo unterzubringen. Wenn ich da ausnahmsweise auf etwas Relevantes stoße, wundere ich mich regelmäßig, warum es nicht im 1. Buch platziert ist.

     

    Nein, es gibt keine zweite taz im Keller, sie befindet sich schon längst im zweiten Buch. Deniz Yücel bringt, mit dem ihm eigenen überzeugenden Ernst, die Langeweile des taz2-Lesers auf den Punkt. Die Rettung wertvoller Zeitungsseiten bedeutet für die Leser: die Rettung der sinnvoll verbrachten Anteile unserer knappen Lebenszeit, die wir an Werktagen für das Zeitunglesen haben!

     

    Den Untergang der "Frankfurter Rundschau" machen kluge Analysen an ihrem Feuilleton fest: Er konnte die verschiedenen LeserInnenbedürfnisse dieser Zeitung nicht mehr ausgleichen - solange sie sich ein "FR2"/Feuilleton noch leisten konnte ... Die taz aber, an dieser Stelle leider immer noch die "größte Schülerzeitung Deutschlands" geblieben, verschenkt das Potential des Feuilletons komplett: an nichts.

    • R
      ridicule
      @Rosmarin:

      schließ mich auch und WOODY an;

       

      de ahl Hessebub zerobbt des gammelich taz2schwabbelche;

      ahls wigger!

    • @Rosmarin:

      Stimme voll zu.

  • G
    gast

    Ihre hehreren Ziele in Ehren aber ich fürchte Israel werden sie auf diese Weise nicht retten. Und um auch etwas aufklärerisches zu sagen: die Welt kann man eher retten wenn man die Gesellschafts(berichterstattung) eben nicht der Bild überlässt. Das ist nämlich höchst politisch. Ich lese gerne sachliche Artikel daneben werde ich aber auch gerne unterhalten. Spießig? Ich glaube nicht. Als spießig empfände ich es eher, wenn man menschliche Grundbedürfnisse unterdrückt.

  • L
    Langweiler

    Ich habe zwar keine Ahnung, was "taz2" überhaupt ist... aber wie kann man denn so eine Kolumne schreiben? Auf dem Foto sieht der Autor deutlich älter aus als 13 Jahre, muss wohl eine Verwechslung sein...

  • S
    sikarus

    Typisches belangloses Yücel-Geseiere!

  • I
    ion

    Herzlichen Glückwunsch, Herr Yücel – ‘beginnings1’ der (zugegebenermaßen unerwartbar amüsant lesbaren,) überfälligen Selbst-reflektion, -kritik oder doch nur (wieder) Ironie zwecks serviler Anbiederung an die (n.a.) unter (massiver) Kritik stehenden Chefredakteurin?

     

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/interview-mit-folgen-die-taz-chefin-ines-pohl-12629465.html

  • J
    janzwattneuet

    Hach, sind wir wieder ironisch. Gähn.

  • FL
    Fragender Leser

    Ich würde ja fast allem zustimmen. Aber dass dieser Beitrag von D. Yücel kommt, macht mich stutzig. Meint er das ernst?

    • H
      Hajue
      @Fragender Leser:

      DENIZ Y. war der, der der taz den von J. Trittin verpassten Titel: "Schweinejournalismus" einbrachte; mithin also eine/r derjenigen wenigen, die die auf hippen Bildzeitungsniveau angekommene taz bei mir wieder etwas Reputation verschafft hat.