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10 Jahre nach dem Oxi-ReferendumAls Griechenland sehr laut Nein sagte

2015 lehnten die Griechen ein vom Ausland verordnetes Sparpaket ab. Seither steht Ex-Premier Tsipras in der Kritik. Neue Informationen entlasten ihn.

Zwei Tage vor dem Referendum 2015: Tausende demonstrieren in Griechenland für ein Nein zum Juncker-Plan Foto: imago

Athen taz | Es ist zehn Jahre her, als gefühlt die ganze Welt auf Griechenland schaute. In jenen dramatischen Tagen hatte der damalige Premier Alexis Tsipras kurzerhand beschlossen, die Bevölkerung per Referendum über ein neues hartes Sparpaket entscheiden zu lassen.

Es ging um den sogenannten Juncker-Plan, benannt nach dem damaligen Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker. Darin forderten die Europäische Union, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds im Gegenzug für frische Milliardenkredite drastische Sparmaßnahmen.

Am 5. Juli 2015 sagten die Griechen Όχι (Nein). Die Welt war baff. Tags darauf lud Premier Tsipras die hiesigen Parteiführer zu einem Gipfeltreffen. Sein Ziel: eine gemeinsame Linie der politischen Kräfte in Athen in den Verhandlungen mit der EU. Zehn Jahre später hat jetzt die Athener Nachrichtenseite in.gr Auszüge aus den bis dato geheim gehaltenen Gesprächsprotokollen veröffentlicht.

Tsipras richtet sich an die Parteiführer, darunter offene Ja-Befürworter. Wortgetreu sagt er: „Ich denke, falls das Ziel dieser Debatte hier nicht darin besteht, eine gemeinsame Basis zu finden, sondern ein Nein irreführend zu verdrehen und in ein Ja zu verwandeln, werden Sie meine Zustimmung nicht finden. Ein Nein ist ein Nein gegen ein unhaltbares Abkommen. Offenkundig ist das Votum kein Mandat für einen Bruch, aber es ist auch kein Mandat für ‚Egal was passieren wird, wir werden zustimmen‘. Das möchte ich klarstellen.“

Tsipras wurde als Hasardeur und Umfaller beschimpft

Laut den Protokollen stärkten die anderen Parteiführer Premier Tsipras den Rücken. Er sollte in Brüssel neue Verhandlungen für ein besseres Ergebnis führen. Der Verbleib im Euro stand dabei auf griechischer Seite nie zur Disposition.

Sieben Tage nach dem Referendum reiste Tsipras nach Brüssel. Nach 17-stündigen Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs der EU trat er am Morgen des 13. Juli vor die Weltpresse, um eine Einigung bekanntzugeben: Hellas erhält erneut Milliardenkredite, muss dafür aber ein neues Spar- und Reformpaket umsetzen.

Seither wird Tsipras hierzulande von allen Seiten heftig kritisiert. Der Hasardeur Tsipras sei letztlich eingeknickt und habe sich den Realitäten beugen müssen, behauptet die konservative Nea Dimokratia. Tsipras habe sich von einem (vermeintlichen) Spargegner zum konsequenten Sparbefürworter gewandelt, ätzen Tsipras’ linke Kritiker. Ein Opportunist und Lügenbaron, der sich nur um den eigenen Machterhalt geschert habe.

Ex-Premier Tsipras und Syriza erklären nun mit Verweis auf die Gesprächsprotokolle vom 6. Juli 2015, endlich sei „die Wahrheit ans Licht gekommen“. Tsipras habe schlicht den Rückhalt aller anderen Parteienvertreter gehabt, um in Brüssel neu zu verhandeln.

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Fest steht: Tsipras hat als Regierungschef so wie seine Vorgänger einen rigiden Sparkurs betrieben. Doch hat sich das wirklich gelohnt? Zwar wächst seit 2021 die griechische Wirtschaft moderat. Das BIP bewegt sich im EU-Vergleich allerdings weiter auf niedrigem Niveau, das Vorkrisenniveau ist immer noch nicht erreicht. Billige Arbeit, hohe Inflation: Die Kaufkraft der Griechen ist inzwischen auf den vorletzten Platz in der EU abgestürzt – knapp vor dem Schlusslicht Bulgarien.

Ferner verharren die Investitionen auf niedrigem Niveau, das Gros der Gelder fließt in Immobilien. Zudem floriert die Monokultur Tourismus. Händeringend sucht die Branche nach Köchen, Kellnern oder Zimmermädchen. Ehrliche Arbeit, für die zumeist gut qualifizierten Griechen indes nicht gerade Traumjobs. Hinzu kommen reichlich fließende EU-Gelder, von denen die Griechen so abhängen wie ein Junkie von der täglichen Dosis.

Unterm Strich bleibt Hellas’ Ökonomie wie eh und je konsumbasiert. Die griechische Handelsbilanz ist extrem negativ, als ob es nie Reformen gegeben hätte. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer – und die arg geschrumpfte Mittelschicht kommt kaum über die Runden. Blühende Landschaften sehen anders aus.

Die Turbulenzen vor zehn Jahren sind Geschichte. Was bleibt: Narrative.

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10 Kommentare

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  • Man muss fairerweise auch sagen, dass Schäuble mit seinem Kurs Europa fasst vor die Wand gefahren hätte. Denn nach Griechenland hätte sonst auch Italien binnen eines Jahrs austreten müssen. Es ist dem tage- und wochenlangen Verhandlungsmarraton des Matignon und deren Fähigkeit zu scharfer Kalkulation zu verdanken, dass die Franzosen alle, auch Tsipras, im Boot gehalten haben.

  • Man kann über die sogenannte Euro Rettung und die Maßnahmen die Griechenland von der EU abgerungen wurden sehr unterschiedliche Ansichten haben. Fakt aber ist dass die selbstgeschaffene griechische Staatsschuldenkrise und die dahinter stehenden strukturellen Probleme von Wirtschaft und Politik eine wesentliche Ursache der Misere Griechenlands waren und sind. Als Teil des Euro Raums war dies halt keine interne Angelegenheit Griechenlands. Ohne die EU und IWF Kredite wäre Griechenland schlicht zahlungsunfähig geworden. Das sollte man auch in der TAZ Erzählung nicht vergeswen..Die Lasten Der abverlangten neoliberalen Reformen waren ganz sicher ungerecht verteilt und haben insbesondere die Schwächsten Personen der Gesellschaft am härtesten getroffen. Die Verteufelung der EU Troika, Merkels und Schäuble ist aber ganz sicher auch ein Ventil externe Sündenbocke für eine selbstgeschaffene Sackgasse zu finden.

  • Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass ein säkulares Scheitern der Linken und der Aufstieg der Rechten in Europa wesentlich mit der weithin schulterzuckend hingenommenen Niederschlagung des "Athener Frühlings" vor 10 Jahren zu tun haben. Ich halte es für unangemessen, von hier aus Tsipras dafür verantwortlich zu machen. Er war als Vertreter eines peripheren kleinen Landes ganz auf sich allein gestellt, er hatte die Wahl zwischen einem bekannten und einem unbekannten Übel, und er hat sich für das bekannte Übel entschieden. Und damit gegen die "Disruption" von links.

    An die eigene Nase fassen müssen sich wohl all die "Mittelinken" hierzulande, die es so haben geschehen lassen.

    In Erinnerung hier der Link zu einem der besten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Artikel des letzten Jahrzehnts, der m.E. in manchem über den Tag hinaus Geltung hat. Zu Marxismus & Keynesianismus, Währungs- & Identitätspolitik vor dem Hintergrund der griechischen Krise:

    jacobin.com/2015/0...kis-grexit-syriza/

  • Tsipras und sein erratischer Finanzminister Varoufakis haben das Land fast an die Wand gefahren und am Ende hat er's mit der Angst bekommen und ist - was sonst? - umgefallen. Außerdem gibt es gar keine offiziellen Protokolle dieser Sitzung, zu der der damalige griechische Präsident Pavlopoulos angeblich u.a. von Hollande gedrängt wurde ("letzte Gelegenheit, Griechenland im Euro zu halten'), und zwar mit einer äußerst knappen Frist. So sieht's aus...

    Tsipras lanciert jetzt diese angeblichen Aufzeichnungen für sein Comeback irgendwo mittelinks. Dass das viel nützt, darf bezweifelt werden.

    Persönlich glaube ich, dass er 2015 mit einem anderen Ausgang gerechnet hat, der ihm den peinlichen Kotau vor Merkel und Schäuble erspart hätte. Ähnlich wie Cameron im Jahr drauf hat er sich halt verspekuliert...

  • Weiterhin ist die plausibelste Deutung für Tsipras damaliges Verhalten, dass er das Referendum initiierte, weil er darauf spekuliert hatte, dass es mit Ja ausgeht und ihm einen Persilschein liefert, um in den Verhandlungen einzuknicken - nur hat das "weise Volk" (eines der Lieblingsbegriffe der blumigen Syriza-Rhetorik) dummerweise anders entschieden. Gleichwohl hat das Tsipras, ein wahrer Großmeister in Sachen Populismus und Opportunismus, nicht davon abgehalten einen perfekten Dreifachsalto hinzulegen und genau das Gegenteil zu tun von dem, was ihm aufgetragen war. Der Gipfel der politischen Kunst folgte Kurz darauf im September 2015, als auch noch die von ihm eilig ausgerufenen Wahlen erneut gewann. Als ein Jahr später das Brexit-Referendum folgte, kursierten daher der treffende Scherz, dass Tsipras, wäre er britischer Premierminister, mit UK nicht nur nicht die EU verlassen hätte, sondern stattdessen sogar der Euro-Zone beigetreten wäre.

    • @melly:

      Die Frage des Referendums war in Wirklichkeit so formuliert, dass er alles daraus ableiten konnte. Es wurde gefragt, ob man das von Juncker vorgeschlagene Reformpaket und zugleich die "vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse" annimmt, zwei Dokumente, die sich nur Fachleuten erschließen, auf Englisch waren und zudem zum Zeitpunkt der Abstimmung schon zurückgezogen worden waren. Wählerbetrug nennt man das. Außerdem war das Referendum vermutlich verfassungswidrig. In Wirklichkeit haben die Leute nur ihren Frust abreagiert, denn aus der EU oder der Eurozone austreten wollte wohl kaum jemand. Ansonsten sehe ich das genauso: Er hatte einen anderen Ausgang erwartet.

      • @Gothograecus:

        Korrekt. Das Referendum war verwirrend formuliert und kaum verständlich. Sein eigentlicher Inhalt war politisch letztlich egal, denn in der öffentlichen Wahrnehmung ging es um die Frage, ob die Regierung bei ihrem Chicken Game mit den Europäern mit Bleifuß auf dem Gaspedal bleibt oder den Lenker rumreißt und ausweicht. Die Leute haben mehrheitlich den Bleifuß gewählt, weil ihnen Tsipras, Varoufakis und all die anderen von Syriza und der mitregierenden rechtspopulistischen ANEL vorher jahrelang weisgemacht hatten, dass das funktionieren würde. Wer wagte, dem zu widersprechen, war Verräter und Lakai der Deutschen. Konsequenterweise hat der narzisstische Hasardeur Varoufakis die Regierung nach dem Referendum verlassen, als sich herausstellte, dass Tsipras nur simuliert hatte und letztlich doch nicht bereit war, weiter auf Risiko zu spielen.

  • “…wer anderes von mir verlangt, dann tret ich zurück!“ taz-Buddy Wolfgang die Briefumschläge Scheuble! Gell



    & die Folgen? Bitte Herr Küppersbusch



    “Daraus erklärt sich das anschließende Verhalten der Südschiene in der Migrationsfrage! Damit ist ihnen von der Nordschiene klargemacht - wenn uns das Wasser bis zum Hals steht - lassen die uns im Regen stehen!“



    & Schland ? - verlogen wie immer!



    Vor! Eintritt mußte die griechische Verhandlungskommission ein Revers unterschreiben: Daß sie die von. Schland - dem Rechtsnachfolger des III. Reiches - geltend gemachten Reparationen in Höhe von 2,18 Milliarden nicht fällig stellen •



    (Daß BRD & ihre Administration insoweit in continuo die Unwahrheit verbreitet - ist leider auch wahr!)



    tazelwurm.de/repar...ts-christian-rath/



    &



    taz.de/Reparations...chenland/!5019846/



    &



    taz.de/Reparations...chenland/!5015779/



    & unsere 2er Bellevue Gurke



    www.tagesschau.de/...echenland-108.html



    “Steinmeier bekannte sich zur deutschen Verantwortung für die "Grausamkeiten" vor und während des Zweiten Weltkrieges, betonte 🤥 🤥

    • @Lowandorder:

      👏🏻👏🏻Chapeau!, wenn auch wie immer etwas verklausuliert, der Jurist, halt, und so haben die, die es nicht verstehen wollen können eine gute Ausrede. Kurzer Rede langer Sinn: allen ist geholfen!

      • @Roman Herrle:

        Ok ok - dann mal was klarer



        tazelwurm.de/offen...ia-delle-farine-2/

        Wenn’se mal nicht den Mietmäulern der Regierung/ Administration/ Bellevue - Gauck / Steinmeier etc zuhören wollen?!



        (ital. “Jo - du hast nen Fehler! Nein.



        Du hast zwei Fehler! Du sagst immer die Wahrheit und immer im falschen Moment!“ a Café am Trevi-Brunnen!



        Fellini am Nebentisch schmunzelte.;)