piwik no script img

10 Jahre Besetzung des OranienplatzesBerlin wird sie nicht mehr los

Kommentar von Susanne Memarnia

Die ProtagonistInnen der Oranienplatzbesetzung, die vor zehn Jahren begann, sind medial nicht mehr präsent – aber ihre Arbeit geht weiter. Zum Glück.

Im Oktober 2012 wurde der Oranienplatz für anderthalb Jahre zum Camp mitten in der Stadt Foto: picture alliance / dpa | Soeren Stache

W as ist geblieben nach 10 Jahren Oranienplatz? In dieser Woche erinnern die ehemaligen Be­set­ze­r*in­nen an eine eigentlich unglaubliche Tat, die viele sicher längst vergessen haben und von der andere, jüngere, womöglich gar nichts wissen: Hundert Geflüchtete aus ganz Deutschland waren – unter Missachtung geltender Gesetze wie Residenzpflicht – am 6. Oktober 2012 nach einem langen Marsch aus Würzburg in Berlin angekommen, um gegen die deutsche und europäische Asylpolitik zu protestieren.

Eine Politik, die sie in Lager sperrt, wo sie – oft für Jahre – zur Untätigkeit verdammt sind und als Menschen zweiter Klasse leben müssen; eine Politik, die Asyl fast nach Belieben zu vergeben oder zu verwehren scheint und sogar aktuell nach Iran abschiebt. Eine Politik, die an ihren Außengrenzen tausende Tote produziert und sich zugleich für ihre „Willkommenspolitik“ gegenüber Sy­re­r*in­nen – aktuell Ukrai­ne­r*in­nen – als besonders humanitär feiert.

Ausgehend vom Oranienplatz legte die widerständige Flüchtlingsbewegung damals über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren die Grausamkeiten, Widersprüche und Verdrängungsmechanismen dieser Politik offen – und war mit ihrer Präsenz mitten in der Stadt ein ständiger Pfahl im Fleische der Mehrheitsgesellschaft. Nicht einmal die Grünen im vermeintlichen Hippie-Bezirk mochten bei den Forderungen der Geflüchteten mitgehen. Natürlich hieß es damals, man könne sie nicht erfüllen, man sei ja „leider, leider“ nicht an der Regierung. Heute, wo die Grünen in Land und Bund mitregieren, wissen wir, dass das in Punkto Asyl, Abschiebungen, EU-Außengrenzen keinen Unterschied macht.

Was aber ist geblieben von der Refugee-Resistance-Bewegung? Zunächst einmal hat das Jubiläum gezeigt: Es gibt sie noch. Viele Ak­teu­r*in­nen von damals haben, auch wenn sie vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit weitgehend verschwunden sind, nie aufgehört mit ihrer Arbeit: Sie machen Radio, helfen einander, organisieren sich – kurz: sie haben nicht aufgegeben, allein das ist ermutigend.

Neues Betätigungsfeld

Im Zuge des Jubiläums wurde auch deutlich: Die Bewegung hat ein neues Thema und Betätigungsfeld gefunden – die BIPoC-Geflüchteten aus der Ukraine. Dass die Schwarzen Geflüchteten aus dem Krieg in Deutschland rechtlich schlechter gestellt sind als die Ukrainer, die sofort Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsmöglichkeit bekommen, wurde in den Reden der Ak­ti­vis­t*in­nen diese Woche zurecht immer wieder beklagt. Und es ist kein Wunder, dass die Schwarzen Ak­ti­vis­t*in­nen dahinter denselben Rassismus am Werk sehen, der auch ihnen das Leben schwer macht.

Denn tatsächlich war ja in den letzten Monaten wiederholt zu hören und zu lesen, dass man die Ukrai­ne­r*in­nen gerne aufnehme, da sie „wie wir“ seien. Ob dies stimmt, sei mal dahin gestellt. Fest steht, dass es kein Argument ist, in Kriegszeiten, wo es um den Schutz von Menschenleben geht, schon gar nicht. Dennoch ist der öffentliche Aufschrei gegen die Ungleichbehandlung der BIPoCs aus der Ukraine bis heute ausgeblieben.

Umso wichtiger ist es, dass die Oranienplatz-Leute und ihre Netzwerke – vom International Women Space, der auch die 10-Jahres-Feier auf die Beine gestellt hat, über die “Schlafplatz-Orga“ bis zum Projekt CUSBU – sich um die „Neuen“ kümmern und ihr Wissen um die deutschen Zustände, Grenzen und Möglichkeiten weitergeben. Und damit der nächsten Generation von Schwarzen Geflüchteten eine Perspektive geben. Damit am Ende auch sie die alte Botschaft vom Oranienplatz weitertragen: „You can't evict a movement.“ Frei übersetzt: Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr werdet uns nicht los. Gut so!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es ist schlicht eine Falschbehauptung, wenn die Autorin des Artikels nahelegt, dass schwarze Geflüchtete im Ukrainekrieg in Deutschland rechtlich schlechter gestellt wären. Die rechtliche Unterscheidung ist nicht an der Hautfarbe festgemacht sondern einzig und allein am Pass. Ein schwarzer Ukrainer bekommt eben diesen Ukrainern zugestandenen Status, ein weißer Ugander würde ihn nicht bekommen. Ich empfinde es als schlechten, tendenziösen Journalismus, wenn ein Autor, absichtlich oder nicht, so unsauber recherchiert und formuliert und etwas nahelegt/behauptet was schlicht falsch ist. So etwas erwarte ich eher bei Springer.

    Über das für und wider dieser Unterscheidung nach Spaß kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein; ich persönlich finde das Argument valide, dass Inhaber eines nichtukrainischen Passes eben noch eine Heimat haben in diese gehen können. Es fällt mir daher schwer nachzuvollziehen warum Deutschland oder andere EU-Länder eine zwingende Verpflichtung haben sollten diese Leute langfristig aufzunehmen. Wie gesagt, hier kann man unterschiedlicher Meinung sein.

    • Susanne Memarnia , Autorin des Artikels, Redakteurin taz.Berlin
      @Fran Zose:

      Hallo, im Prinzip haben Sie schon recht - ich weise an dieser Stelle aber darauf hin, dass de facto die Grenze zwischen Staatsbürgerschaften zumeist auch eine der Hautfarben ist. Ich habe geschrieben: "Dass die Schwarzen Geflüchteten aus dem Krieg in Deutschland rechtlich schlechter gestellt sind als die Ukrainer, die sofort Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsmöglichkeit bekommen..." Es ging mir natürlich um Geflüchtete, die keine ukrainischen Staatsbürger sind - meist eben Schwarze Studierende aus Nicht-EU-Staaten. Die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die als Nicht-EU-BürgerInnen nicht in den Genuss einer sofortigen Aufenthaltserlaubnis nach §24 Aufenthaltsgesetz kommen, sind eben nicht-weiße Menschen, Studierende aus afrikanischen Staaten oftmals, aber auch Arbeiter aus Pakistan, Bangladesh etc. Gleichzeitig haben Sie recht, und ich habe das vielelicht ungenau formuliert, dass ein Schwarzer Ukrainer rechtlich wie ein weißer behandelt würde von deutschen Behörden. Andererseits gibt es viele Geschichten etwa von Roma, die ihre ukrainische Staatsbürgerschaft oft nicht nachweisen können, oder selbst wenn, viel schlechter behandelt werden als "weiße" Ukrainer.

      • @Susanne Memarnia:

        Liebe Frau Memarnia,

        vielen Dank, dass Sie sich die Mühe einer Antwort gemacht haben und auch dafür, den Fehler einzuräumen. Natürlich haben Sie damit recht, dass zwischen Staatsbürgerschaft und Hautfarbe je nach Land ein hohe bis sehr hohe Korrelation besteht; das liegt nun mal in der Natur der Sache. Über Sinn und Unsinn der Regelung nach Staatsbürgerschaft kann man streite. Ich habe meinen Standpunkt dazu dargelegt und akzeptiere gerne, dass es hierzu andere Meinungen gibt. Aber grade wenn Sie hier anderer Meinung sind als ich, sollten Sie in der Sache sauber und unangreifbar formulieren, da Sie sonst Ihre Position sehr leicht angreifbar machen. Es gilt beim Thema Rassismus das Gleiche wie bei vielen anderen Ismen das Peter-und-der-Wolf-Prinzip: wenn überall sofort (und sei es aus den besten Intentionen heraus) Skandal geschrien wird, dann erweisen Sie dem eigentlichen Anliegen einen Bärendienst als das Sie für eine Abstumpfung sorgen, die auch dann greift, wenn es tatsächlich ein Skandal ist. Ungewollt werden Sie so dem politischen Gegner in die Hände spielen und der steht eindeutig rechts.