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???-Sprecher Jens Wawrczec übers Erzählen„Ich halte Nähe nicht immer aus“

Seit fast 40 Jahren ist Jens Wawrczeck eine der Stimmen der „Drei ???“. Ein Interview über Leistungen, die übersehen werden und die Unfähigkeit, sich festzulegen.

Wäre er ein Tier, dann eines, das fliegen kann: Jens Wawrzceck Foto: Miguel Ferraz
Ilka Kreutzträger
Interview von Ilka Kreutzträger

taz: Herr Wawrczeck, Ihr Name ist schon durch Ihre Rolle als Peter Shaw in den „Die drei ???“ eng mit Hitchcock verbunden. Jetzt starten Sie mit szenischen Lesungen von Hitchcock-Verfilmungen. Wieso haben Sie es so mit Hitchcock?

Jens Wawrczeck: Ich habe Hitchcock entdeckt, als ich zwölf oder 13 war. Damals gab es in den dritten Programmen noch diese wunderbaren Werkreihen. Ich habe zufällig „Bei Anruf Mord“ gesehen und war so fasziniert von dem Film, dass ich seitdem für den Namen „Hitchcock“ sensibilisiert war. Es gibt ja die Art von Begeisterung, die im Laufe der Jahre verpufft, aber bei Hitchcock hat sie zugenommen. Wenn ich die Filme heute sehe, entdecke ich ganz andere Dinge in seinen Inszenierungen, in seiner Art und Weise, wie er auf das menschliche Leben schaut.

Zum Beispiel?

Naja, etwa die Geschichte, mit der ich meine Reihe szenischer Lesungen starte: „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“. Das war ein Film, der damals nicht sehr erfolgreich war. Ihm wurde Langsamkeit und eine Art diffuser Poetik vorgeworfen.

Komischer Vorwurf.

Ja, heute wäre das wohl eher was Positives. Nur 1958 war das nicht besonders konventionell und dadurch nicht besonders kommerziell. Das lag auch an den Themen des Films. Es geht um das ewige Gefühl von Schuld und um Fixierungen in Liebesbeziehungen.

Was für Fixierungen?

Man versucht wahrscheinlich immer subversiv, ein Bild vom Idealpartner zu erschaffen, den es aber gar nicht gibt. Das heißt, man versucht auch, den Partner umzumodeln. Das ist in „Vertigo“ ein großes Thema.

Wie geht die Geschichte?

Jens Wawrczeck

54, ist in Dänemark geboren und in Hamburg aufgewachsen, wo er heute auch noch meistens lebt

Er wurde in Hamburg, Wien und New York zum Schauspieler ausgebildet und arbeitet heute als Schauspieler, Synchronsprecher, Sänger, Hörbuchregisseur, Dialogautor und hat ein eigenes Audiolabel.

Bekannt wurde er aber vor allem durch eine Hörspiel-Rolle: Seit fast 40 Jahren leiht er Peter Shaw, dem zweiten Detektiv von „Die drei ???“ seine Stimme.

Es geht um einen Mann, der beauftragt wird, eine Frau zu beschatten, die von einer Todessehnsucht gequält wird. Vielleicht weil ihre Urgroßmutter sich umgebracht hat und sie die Persönlichkeit ihrer Urgroßmutter annimmt. Der Mann verliebt sich in sie, kann einen Selbstmordversuch verhindern, den zweiten aber nicht. Vier Jahre später sieht er in einer Wochenschau eine Frau, die der Toten aufs Haar gleicht. Er sucht und findet sie. Die Spannung entsteht nun einerseits aus der Frage, ob es sich wirklich um die Frau handelt, deren Leichnam er gesehen hat. Andererseits sind die Besessenheit, der plötzlich einsetzende Wahnsinn des Mannes und die Angst vor dem Tod die elementaren, unterschwelligen Themen, die ich bei „Vertigo“ besonders spannend finde.

Wieso?

Weil das die Themen sind, auf die man eher emotional als mit dem Verstand reagiert. Hitchcock ist ein Filmemacher, der einen nicht unbedingt intellektuell abholt, sondern vor allem emotional. Darum hat er so eine zeitlose Magie. Es geht bei ihm immer darum, dass in ein harmonisches Leben Chaos einbricht und einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Ich glaube, das habe ich schon als Teenager begriffen.

Wieso schreckt es Sie nicht, diese Stoffe, die wir aus Filmen kennen, vorzulesen?

Diese Stoffe wirken auf der nichtfilmischen Ebene genauso. Schließlich hat Hitchcock sie ja adaptiert, ob es nun Erzählungen, Romane oder Theaterstücke waren, ihr Originalzustand ist also unfilmisch. Und ich glaube, die Art und Weise, wie ich lese, ist nicht typisch für eine Lesung. Das merke ich, wenn mich Leute nach meinen Lesungen ansprechen und sagen, das sei ja so, als ob ein Film entstehe.

Wie machen Sie das?

Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich weiß nur, wenn ich einen Text vortrage, muss er mich packen und ich versuche, in die Situation des Textes zu einzutauchen. Man könnte sagen, das Publikum und ich nehmen an einer spiritistischen Sitzung teil und ich bin das Medium des Textes.

Wie bereiten Sie sich vor?

Ich bin sehr strukturiert, meine Manuskripte sehen aus wie Partituren. Aber ich merke, wenn ich etwas zu sehr forciere oder wenn eine falsche Souveränität einsetzt. Ich kann hören, wenn ich etwas nicht meine.

Ist es eigentlich leicht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?

Ich glaube schon. Ich kann allerdings auch zickig sein, wenn es drauf ankommt. Eigentlich habe ich einen sehr langen Geduldsfaden und bin komplett konfliktscheu. Aber mittlerweile habe ich auch den Mut, den Mund aufzumachen und mich zu verweigern, wenn es mir gegen den Strich geht. Das hat vielleicht etwas mit dem Alter zu tun. Ich wüsste aber nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich mich in einer Arbeitssituation komplett unterordnen müsste.

Sie haben Wohnungen in Hamburg, Paris und New York, spielen Theater, lesen, haben ein Audiolabel und arbeiten als Synchronsprecher. Sie legen sich nicht gern fest, was?

Mit ist es lieb und wichtig, dass ich eine Tür habe, durch die ich wieder verschwinden kann. Diese Wohnsitze klingen vielleicht glamourös, aber sie verraten eher meine Unfähigkeit, mich festzulegen. Eine Kollegin hat mal gesagt, wenn sie mich als Tier beschreiben würde, dann wäre ich ein Schmetterling. Und ich wäre tatsächlich eher was, das fliegt. Das heißt nicht, dass ich mir nicht manchmal Bodenhaftung wünsche.

Haus, Gartenzaun, Kamin?

Ja, wahrscheinlich wirklich so etwas. Einfach zufrieden sein, ankommen. Das ist bei mir aber einfach nicht so. Ich bin nach wie vor auf der Suche.

Das ist doch was Positives.

Aber auch anstrengend, weil man ja immer in Bewegung ist. Mir fehlen Phasen, in denen ich ohne schlechtes Gewissen und ohne Schuldgefühle – da sind wir wieder bei Hitchcock – nur mal so lebe. Es ist immer mit Arbeit verbunden. Meistens mit lustvoller Arbeit, aber mit Arbeit.

Sie sind ehrgeizig.

Ja, für mich. Ich bin sehr skeptisch Komplimenten gegenüber. Es gibt Leistungen, die übersehen werden und vermeintliche Erfolge, die überschätzt werden. Mein Ehrgeiz geht dahin, dass ich versuchen möchte, immer authentischer zu werden mit dem, was ich mache. Immer mutiger.

Mutiger?

Ich bin ein sehr ängstlicher Mensch. Darum ist mein Beruf ein großes Glück, weil ich gezwungen werde, mich aus diesem Angstloch herauszuwagen und mich zu stellen.

Was gibt Ihnen Sicherheit?

Es gibt Werte, die mir Halt geben. Ikonen wie Hitchcock, die mich inspiriert haben, mich gerettet haben. In pubertären Verzweiflungszuständen hat es mir gut getan, Barbara Streisand zu hören. Ihre Platten aus den 60er-Jahren, wo man spürt, wie sie ihre ganze Wut über ihr Nicht-Hineinpassen in die Gesellschaft in ihrem Gesang, ihrer Kunst ausdrückt . Das hat mir damals Mut gemacht.

Sie sind mit elf Jahren alleine zu einem Vorsprechen für den Schulfunk beim NDR gegangen und seitdem verdienen Sie mit Ihrer Stimme Geld. Klingt nicht sehr ängstlich, ehrlich gesagt.

Das finde ich auch erstaunlich. Aber ich hatte den sehr klaren Wunsch, Schauspieler zu werden, Sänger eigentlich. Und ich bin jemand, der an die Macht des Wünschens glaubt. Ich glaube, dass Gedanken , dass Wünsche etwas manifestieren können. Zumindest in der Theorie und in Lebensumständen, die den Raum dafür lassen.

Wann sind Sie zufrieden?

Ich habe Versagensängste, die nehmen nicht ab, eher zu. Vielleicht weil der eigene Anspruch steigt. Und weil man sich nicht langweilen will mit dem, was man macht. Wenn ich singe, gibt es Momente, in denen ich das Gefühl habe, ich bin eins mit mir, meine Stimme transportiert das, was ich fühle , ich bin offen und gleichzeitig unverletzbar. Ähnlich geht es mir, wenn ich in der Natur bin. Oh, und morgens, wenn ich mit einer Tasse Tee im Bett sitze und noch lese. Ich bin sowieso ein recht optimistischer Mensch, allerdings mit melancholischer Eintrübung. Ich strebe eine gewisse Leichtigkeit des Seins an.

Heißt?

Leichtigkeit bedeutet, im Fluss zu sein, und das ist immer gut, wenn es darum geht, kreativ zu sein. Das gilt ja nicht nur für den Beruf, das Leben verlangt ja auch enorme Kreativität. Sagen Sie, haben wir uns nicht schon mal gesehen?

Mmh, glaube nicht.

Irgendwie ist mir Ihr Gesicht so vertraut. Vielleicht aus einem anderen Leben.

Glauben Sie an so was?

Dieses Leben ist ein Wunder und ich möchte mir nicht anmaßen, zu beurteilen, was real ist und was nicht. Ich glaube zum Beispiel, dass es ungute Energie von Menschen gibt, vor denen man sich schützen muss. Man sollte sich nach Möglichkeit ein Umfeld suchen, in dem man aufblüht und nicht eines, in dem man vertrocknet. An solche Dinge glaube ich.

Ist das was Religiöses?

Nein, ich fühle mich keiner Religion zugehörig.

Ich dachte nur, weil Sie ja auch das Matthäus-Evangelium gelesen haben und Sie sagen, Sie machen etwas nur, wenn Sie vom Text überzeugt sind.

Da habe ich auch lange überlegt, ob ich das mache, weil für mich nicht ganz eindeutig war, wie ich dazu stehe. Aber ich kann mit den christlichen Werten durchaus was anfangen. Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst und so weiter. Darüber hinaus finde ich, dass die Bibel literarisch sehr interessant ist. Einige Bibelpassagen sind, genau wie bei Grimms Märchen, die ich früher im Vergleich zu den Andersens-Märchen immer so abgetan habe, sehr wirkungsvoll in ihrer Schlichtheit. Da wird in Bildern kommuniziert, die uns, ähnlich wie bei Hitchcock übrigens, tief und unbewusst berühren. Und ich finde, ein guter Text ist nie unmodern, egal wie alt er ist. Entweder spricht er mich an oder lässt mich kalt.

Die Bibel, Grimms Märchen und Hitchcock sprechen Sie an?

Ich bin einfach ein Fan von gut erzählten Geschichten, in denen elementare Fragen aufgeworfen werden. Jeder wünscht sich, wahrgenommen, erkannt zu werden und sich von seinen Fesseln zu lösen. Ich beneide Menschen, die sich frei fühlen. Man möchte frei sein. Manchmal auch frei von sich.

Sind Sie eigentlich ein Familienmensch?

Ich bin ein Familienmensch auf Raten. Das ist bei mir aber ein grundsätzliches Ding. Ich halte Nähe nicht immer aus. Das ist in Freundschaften so und in der Familie auch. Aber ich bin trotzdem sehr treu.

Schönes Schlusswort. Danke.

Wir haben jetzt gar nicht über die „Die drei ???“ gesprochen!

Die Interviews mit Ihnen drehen sich oft nur darum. Sie sprechen Peter Shaw ja auch seit fast 40 Jahren. Ich wollte mal offenlassen, ob Sie darauf kommen wollen.

„Die drei ???“ sind nicht mehr wegzudenken aus meinem Leben und ich bin sehr dankbar dafür, weil sie mir eine gewisse Aufmerksamkeit geben für andere Dinge. Das ist nicht mein künstlerischer Lebensinhalt, aber es ist ein Geschenk. Wir drei verstehen uns gut, es macht Spaß und es macht vielen, vielen Leute große Freude.

Und vermutlich gibt Ihnen der Erfolg die Möglichkeit, sich freier zu bewegen.

Klar, das sichert mir meine Miete. Ich bin nur manchmal frustriert, wenn nur „Die drei ???“ wahrgenommen werden. Das hat aber wiederum damit etwas zu tun, dass das, was sich am besten verkauft, die größte Aufmerksamkeit erhält. Das ist, als ob ich jemanden in meine Wohnung einlade und der bleibt im Flur stehen, dabei stehen im Wohnzimmer die interessanteren Dinge.

„Hitch und ich“ – Jens Wawrczeck liest „Vertigo“: 12. 11, 19 Uhr, Kammerspiele, Hamburg

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