■ Schwarze taz: Pulp und Paranoia
„Frauenkrimi“ als Genre: nüchtern, realistisch, gelegentlich ausufernd
Es gab mal eine Zeit, da haben Männer Krimis von Frauen gelesen und gar nicht gemerkt, dass die Story nicht von einem Pfeife rauchenden Macho, sondern von einer intelligenten Schriftstellerin verfasst worden war. Drei Romane von drei weiblichen Pionieren der populären Literatur der 40er-/50er-Jahre sind jetzt wieder auf Deutsch erschienen.
Auf der einen Seite sind es typische Erzeugnisse der damaligen Paperback-Kultur – zur schnellen Unterhaltung gedacht. Aber wie das mit dem Genre so ist: Oftmals gebiert eine simple Story-Idee eine interessante Schilderung sozialer Verhältnisse. „Wer mit Fremden schläft“ von Dolores Hitchens führt die Leser mitten hinein in den boomenden „Sunshine Capitalism“ der 50er-Jahre in Kalifornien und erzählt von der Suche nach einer Frau, die längst tot im Ölsumpf liegt. Ein drastisches Bild: Die gealterte Femme fatale, die nie von Männern genug kriegen konnte, abgesoffen im dreckigen Erdöl, das nicht nur den Reichtum, sondern auch Korruption und Paranoia wuchern ließ.
Dolores Hitchens zeichnet das Porträt einer lüsternen toten Lady und liefert gleichzeitig die Skizze eines kaputten Detektivs. Viel ehrlicher als Raymond Chandler beschreibt sie das Elend eines Schnüfflers, der auf der Schattenseite der Gesellschaft steht und sich sehnsüchtig in jene Frau verliebt, die er nicht haben kann.
Noch düsterer geht es in Dorothy Hughes’ „Einsamer Ort“ zu. Oberflächlich betrachtet handelt es sich um einen Serienkillerroman. Tatsächlich ist die Geschichte raffinierter gestrickt: Für Dix Steele, den psychopathischen Kriegsheimkehrer und Repräsentanten der verlogenen Soldatenherrlichkeit, stehen nicht so sehr die Mordopfer im Mittelpunkt seines Treibens, sondern zwei Frauen, die er nicht zu fassen kriegt und die ihm deshalb eine gehörige Angst einjagen: Seine unmoralische Geliebte und die wohlanständige Ehefrau seines besten Freundes.
Woody Haut, Verfasser einer Abhandlung über „Pulp Culture“, hebt zu Recht hervor, dass in beiden Romanen lebendigere und wahrhaftigere Frauenbeschreibungen untergebracht wurden als im ganzen Werk von Chandler. Dennoch werden hier keine Heldinnen vorgeführt. Die 40er- und 50er-Jahre waren eine nüchterne, depressive Zeit, in die Idealisierungen nicht passten. Die amerikanische Mittelstandsparanoia jener Tage schildert Leigh Brackett in „Raubtiere unter uns“. Im Mittelpunkt steht ein Familienvater, der eines Abends von einer Jugendgang überfallen wird. Das Erlebnis der totalen Hilflosigkeit angesichts einer Übermacht amoralischer Barbaren zerstört seinen wohl geordneten Alltag: Walter Sherris entfremdet sich von Frau und Arbeit, sein nettes Eigenheim wandelt sich zur Festung, und jeder vernünftige Gedanke wird überlagert von einem irrationalen Rachegelüst. „Raubtiere unter uns“ beschreibt den Mann des 20. Jahrhunderts als Steinzeitmenschen, dem nichts anderes gilt, als seine Sippe zu schützen, und die Gesellschaft als unübersichtliche Wildnis, in der das Faustrecht mehr zählt als die Staatsgewalt. Die Geschichte legt gnadenlos analytisch dar, wie ein netter Familienvater das moralische Gleichgewicht verliert, weil er merkt, dass Zivilisation eine Lüge ist.
Alle drei Bücher sind ökonomisch geschrieben. Vielleicht war früher das Papier knapper oder die Finger taten bei den alten Schreibmaschinen schneller weh, auffällig ist jedenfalls, dass neuere Frauenkrimis geschwätziger sind.
Nach der Lektüre von Hitchens, Hughes und Brackett wirken zwei so unterschiedliche Krimis wie „Wenn alle anderen schlafen“ der Amerikanerin Marcia Muller und „Kupferglanz“ der Finnin Leena Lehtolainen unökonomisch erzählt. Beides sind gute Bücher: Muller erzählt, wie ihre Serienheldin Sharon McCone durch das Auftauchen einer Doppelgängerin aus dem Gleichgewicht gerät; Lehtolainen beschreibt die Probleme einer jungen Polizeichefin in der finnischen Provinz, deren Freunde und Bekannte unter Mordverdacht geraten.
Dennoch sind es keine Thriller. Arg viele Personen tauchen auf, ihre besondere Beziehung zur Hauptfigur und komplizierte Beziehungsgeflechte im Hintergrund. Das hat den Nachteil, dass über die Schilderungen der Verhältnisse die Spannung zu kurz kommt. Liegt’s daran, dass der Krimi heut zu Tage oft als Vehikel für Botschaften dient? Jedenfalls fällt auf, dass Schilderungen von Befindlichkeiten privater bis intimer Natur im Frauenkrimi oft zu Lasten der Handlung ausufern. Nicht zuletzt deshalb gibt es noch immer das leidige Geschlechter-Schisma im Krimi. Robert Brack
Dolores Hitchens: „Wer mit Fremden schläft“, aus dem Englischen von Hans-Ulrich Nichau, 221 S.; Dorothy Hughes: „Einsamer Ort“, aus dem Englischen von Friedrich A. Hofschuster, 254 S.; Leigh Brackett: „Raubtiere unter uns“, aus dem Englischen von Tony Westermayr, 221 S.; alle Unionsverlag, jeweils 14,90 DM. Marcia Muller: „Wenn alle anderen schlafen“, aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann, Fischer TB, 271 S., 14,90 DM. Leena Lehtolainen: „Kupferglanz“, aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara, Ariadne, 224 S., 16,80 DM
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