+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Wagner-Chef spricht von „Flucht“

Jewgeni Prigoschin sieht russische Verteidigungslinien in Bachmut auseinanderbrechen. Wolodomir Selenski reist am Samstag nach Italien.

Portrait

Jewgeni Prigoschin in einem am 5. Mai veröffentlichten Video, hinter ihm sind offensichtlich tote Soldaten zu sehen Foto: Prigozhin Press Service/ap

Wagner-Chef widerspricht Darstellung Moskaus

Der Chef der Söldnergruppe Wagner wirft der russischen Armee Flucht aus Gebiet von Bachmut vor. Jewgeni Prigoschin sagte in einem Video, die russischen Verteidigungslinien „brechen auseinander“, während der russische Generalstab die Lage „verharmlost“. Prigoschin kommentierte Angaben aus dem russischen Verteidigungsministerium zur Lage in Bachmut: „Was Konaschenkow gesagt hat, nennt man leider nicht Umgruppierung, sondern Flucht.“

Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow hatte zuvor in Moskau einen Rückzug russischer Einheiten nordwestlich von Bachmut bei Berchiwka so erklärt: „Um die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen“, hätten russische Einheiten eine neue Linie entlang des Berchiwka-Stausees bezogen“, sagte der Armeegeneral.

Übereinstimmenden Berichten russischer und ukrainischer Militärs zufolge sind die moskautreuen Truppen bei Bachmut in die Defensive geraten. Rund um die Stadt erzielten demnach die Ukrainer kleinere Geländegewinne. Prigoschin warnte vor einer Einkesselung seiner in Bachmut kämpfenden Söldner, sollte es Durchbrüche an den von regulären russischen Einheiten bewachten Flanken geben.

Der Sprecher des russischen Verteidigungministeriums äußerte sich zudem zu ukrainischen Angriffen bei der Stadt Soledar nördlich von Bachmut: „Alle Attacken des ukrainischen Militärs wurden zurückgeschlagen. Die russischen Streitkräfte haben keinen Frontdurchbruch zugelassen“, sagte Konaschenkow. Die Ukrainer hätten dort entlang der gesamten Frontlinie von 95 Kilometern Länge angegriffen, sagte er. An den Attacken seien mehr als 1.000 ukrainische Soldaten und rund 40 Panzer beteiligt gewesen.

Die Stadt Soledar im Gebiet Donezk nahmen russische Truppen im Januar nach schweren Kämpfen ein. Es ist der einzige nennenswerte Erfolg der diesjährigen Winterkampagne Moskaus in seinem nunmehr 14 Monate langen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Soledar liegt rund zehn Kilometer nordöstlich von Bachmut. (dpa)

Italien: Selenski-Treffen mit Papst „möglich“

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wird am Samstag in Rom zu einem Treffen mit dem italienischen Präsidenten Sergio Mattarella erwartet. Ein Sprecher Mattarellas bestätigte der Nachrichtenagentur AFP am Freitag die Besuchspläne. Aus Kreisen des Vatikans hieß es zudem, auch ein Treffen Selenskis mit Papst Franziskus sei „möglich“.

Am Sonntag soll Selenski der Aachener Karlspreis verliehen werden. Für einen Besuch des ukrainischen Präsidenten in Deutschland gab es am Freitag weiterhin keine offizielle Bestätigung. Anfang Mai hatte es aus Berliner Polizeikreisen geheißen, Selenski werde nach Berlin kommen.

Zu dem Italien-Besuch des ukrainischen Präsidenten erklärte ein Sprecher des Quirinalspalasts in Rom am Freitag: „Wir bestätigen, dass dieser Besuch morgen stattfinden wird.“ Es wäre der erste Besuch Selenskis in Italien seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022.

Erwartet wird auch ein Treffen Selenskis mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, eine Bestätigung hierzu stand jedoch noch aus. Meloni hatte im Februar Kiew besucht und dem ukrainischen Präsidenten die Unterstützung ihres Landes zugesichert. Italien unterstützt Kiew trotz traditionell guter Beziehungen zu Russland bei der Verteidigung gegen die russische Invasion militärisch wie finanziell. (AFP)

Kein Selenski-Auftritt beim Exil-ESC

Wolodimir Selenski wird beim diesjährigen Eurovision Song Contest keine Videobotschaft an die Zuschauer richten. Der Veranstalter, die Europäische Rundfunkunion EBU, teilte am Freitag mit, ein solches Grußwort würde „gegen den unpolitischen Charakter der Veranstaltung“ verstoßen. Der ESC findet am Sonntag in Liverpool statt. Gewonnen hatte im vergangenen Jahr zwar der Beitrag aus der Ukraine, aus Sicherheitsgründen sollte der traditionelle Musikwettbewerb aber nicht dort stattfinden.

Selenskis Bitte, beim Eurovision Song Contest zum Publikum zu sprechen, könne leider nicht entsprochen werden, hieß es vom Veranstalter. Eine solche Botschaft würde gegen die Regeln der Veranstaltung verstoßen. Die Veranstaltung wurde 1956 ins Leben gerufen und bemüht sich seitdem, Pop und Politik zu trennen. Offensichtlich politische Texte, Zeichen und Symbole sind untersagt.

Dennoch lässt sich die Politik nicht völlig ignorieren: Russland wurde von dem Wettbewerb ausgeschlossen, nachdem es im Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert war. Belarus durfte im Jahr zuvor wegen des harten Vorgehens seiner Regierung gegen Kritiker nicht beim ESC mitmachen.

Beim Finale am Samstag in der Liverpool Arena, das von der ukrainischen Sängerin Julia Sanina mitmoderiert wird, treten Künstler aus 26 Ländern an. Geplant war unter anderem ein Auftritt des letztjährigen Siegers Kalush Orchestra und anderer ukrainischer Künstler. „Wir glauben, dass dies der beste Weg ist, den Sieg der Ukraine beim Eurovision Song Contest zu feiern und zu zeigen, dass wir in diesen schweren Zeiten durch die Musik vereint sind“, erklärte die Rundfunkunion.

Sondergesandter Chinas reist in die Ukraine

China schickt erstmals seinen Sondergesandten in die Ukraine, der auf seiner diplomatischen Mission auch Russland, Deutschland, Polen und Frankreich einen Besuch abstatten wird. Ziel der Reise des im April ernannten Diplomaten Li Hui sei es, „mit allen Parteien über eine politische Lösung“ im Ukraine-Krieg zu sprechen, sagte der chinesische Außenministeriumssprecher Wang Wenbin am Freitag vor Journalisten.

Peking zeige damit seinen „Einsatz für die Förderung von Frieden und Verhandlungen“. China sei „bereit, weiterhin eine konstruktive Rolle einzunehmen bei der Schaffung eines internationalen Konsenses für einen Waffenstillstand, die Beendigung des Krieges, die Aufnahme von Friedensgesprächen und die Vermeidung einer Eskalation der Situation“, sagte Wang weiter.

China bemüht sich nach eigenen Angaben in dem Konflikt um eine neutrale Position, die vom Westen allerdings in Zweifel gezogen wird. Die Regierung in Peking hat den russischen Angriff auf die Ukraine nie offiziell verurteilt. Im Februar legte China einen Zwölf-Punkte-Plan zur Ukraine vor, der die westlichen Sanktionen gegen Russland und eine „Mentalität des Kalten Krieges“ missbilligt.

Auch die persönliche Rolle des Sondergesandten Li Hui wird im Westen mit Skepsis betrachtet. Li war von 2009 bis 2019 Chinas Botschafter in Russland, 2019 hatte der russische Präsident Wladimir Putin ihn mit dem Freundschaftsorden seines Landes ausgezeichnet.

Ein Treffen in Moskau im März, bei dem der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping die Freundschaft ihrer beiden Länder betonten, hatte die Skepsis hinsichtlich einer Vermittlerrolle Chinas weiter befeuert.

Im April telefonierte Xi erstmals seit Beginn des Krieges mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Selenskyj hatte dies im Anschluss als „kräftigen Schub“ für die Beziehungen zwischen beiden Staaten bezeichnet. (AFP)

Berichte von drohender Einkesselung russischer Truppen

Bei den in Bachmut kämpfenden russischen Truppen herrscht nach Darstellung eines Kriegskorrespondenten des russischen Staatsfernsehens höchste Alarmstufe. Wegen der ukrainischen Angriffserfolge an den Flanken der in der Stadt kämpfenden Söldnertruppe Wagner drohe eine umfassende Einkesselung, schrieb Jewgeni Poddubny am Donnerstag auf Telegram. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte zuvor mehrfach vor einem drohenden Kessel aufgrund ungesicherter Flanken gewarnt.

Der ukrainische Armeesprecher Serhij Tscherewatyj berichtete am Abend von verzweifelten Versuchen der russischen Einheiten, das weitere Vordringen der Ukrainer mit massiven Artillerieschlägen und Luftangriffen aufzuhalten. Die Intensität der Kämpfe habe zugenommen, sagte Tscherewatyj nach Angaben der Agentur Unian. Allein am Donnerstag seien 165 russische Soldaten getötet und weitere 216 verwundet worden, behauptete er. Seine Angaben konnten ebenso wenig überprüft werden wie die der Gegenseite.

Der prominente Kriegskorrespondent Poddubny berichtete auch von ukrainischen Durchbrüchen bei Kämpfen in der Umgebung von Soledar, das nur wenige Kilometer nordöstlich von Bachmut liegt. Dort sei es ukrainischen Kampfgruppen gelungen, die russischen Linien zu durchbrechen. „Die Lage ist schwierig“, schrieb Poddubny. Die russischen Streitkräfte hatten Soledar erst Ende Januar nach wochenlangen schweren Kämpfen eingenommen. (dpa)

Moskau dementiert Verluste

Das russische Verteidigungsministerium hat Berichte über einen Durchbruch ukrainischer Truppen bei der schwer umkämpften Stadt Bachmut hingegen dementiert. „Die Erklärungen, die vereinzelte Telegram-Kanäle über „Durchbrüche der Verteidigungslinien“ an mehreren Stellen verbreiten, entsprechen nicht der Wirklichkeit“, teilte das Ministerium in der Nacht zum Freitag auf Telegram mit. „Die Gesamtlage im Gebiet der Spezialoperation ist unter Kontrolle.“ Bezüglich Bachmut sprach das Verteidigungsministerium lediglich von der „Fortsetzung der Befreiung des westlichen Teils von Artjomowsk (so die sowjetische Bezeichnung der Stadt, Anm. der Red.) mit Unterstützung der Luftwaffe und Artillerie“. Details gab es aus Moskau zunächst nicht. (dpa)

Atomchef: Ukraine kann AKW bei Gegenoffensive umgehen

Das Atomkraftwerk Saporischschja könnte bei einer ukrainischen Gegenoffensive nach Ansicht des Betreibers von Gefechten verschont bleiben. Es reiche aus, die russischen Besatzungstruppen im Kraftwerk vom Hinterland abzuschneiden, sagte der Chef des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom, Petro Kotin, dem US-Sender CNN. „Wir brauchen nur die Verbindung zwischen dem AKW Saporischschja und der (Schwarzmeer-Halbinsel) Krim zu kappen“, so Kotin. Dies werde erreicht, sobald die ukrainischen Truppen die Großstadt Melitopol gut 90 Kilometer südöstlich des Kraftwerks in Enerhodar erobert hätten. Danach hätten die russischen Truppen nur noch die Möglichkeit zu fliehen oder sich zu ergeben. (dpa)

Schweizer Parlament will Kriegsmaterial-Gesetz ändern

Nach massiver Kritik aus dem Ausland will das Schweizer Parlament das bisherige Verbot der Weiterleitung von Schweizer Kriegsmaterial an Drittstaaten erleichtern. Dafür sprach sich am Donnerstag die zuständige Kommission im Ständerat, der zweiten Parlamentskammer, mit acht zu fünf Stimmen aus. Die Kommission des Nationalrats hatte bereits vorher dafür gestimmt. Damit kann eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes nun in Angriff genommen werden.

Aktuell verbietet die Schweiz die Weitergabe von Kriegsmaterial, das sie ins Ausland verkauft hat, an Länder in kriegerischen Auseinandersetzungen. Das behindert zurzeit die Belieferung der Ukraine. So verweigerte die Schweiz Deutschland die Genehmigung, vor Jahren eingekaufte Schweizer Munition für den deutschen Gepard-Panzer an die Ukraine weiterzuleiten. (dpa)

Berichte: Selenski könnte Rom und Vatikan besuchen

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski erwägt nach italienischen Medienberichten einen Besuch in Rom am Wochenende. Dort könnte er Ministerpräsidentin Giorgia Meloni treffen und auch von Papst Franziskus empfangen werden, hieß es am Donnerstagabend unter anderem bei der Nachrichtenagentur Ansa. Diese berief sich auf Quellen in der Regierung sowie innerhalb des Vatikans. Offizielle Bestätigungen gab es nicht. Zuletzt war auch erwartet worden, dass der ukrainische Präsident gegen Ende der Woche nach Berlin kommt. (dpa)

Selenski will ukrainisches Strafrecht für EU-Beitritt anpassen

Für den Weg der Ukraine in die Europäische Union hat Selenski einen „umfassenden strategischen Plan“ zur Reform des Strafrechts und des Strafverfolgungssystems ausgearbeitet. „Vereinfacht gesagt, müssen wir ein System zur Gewährleistung von Recht und Ordnung für unser Land sicherstellen, das mit unserem Ziel eines raschen Beitritts der Ukraine zur EU im Einklang steht“, sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner allabendlichen Videoansprache.

„Die Ukraine sollte ein Ort der Stärke für Europa und die gesamte freie Welt werden und ist es bereits.“ Der Staat müsse ein Höchstmaß an Sicherheit, Freiheit und Achtung vor dem Gesetz und vor den Menschen in der Ukraine gewährleisten, betonte Selenskyj. Die Ukraine ist seit vergangenem Sommer bereits offiziell EU-Beitrittskandidat. (dpa)

Treffen der EU-Außenminister

Die Außenminister der EU-Staaten beraten an diesem Freitag bei einem informellen Treffen in Schweden über die jüngsten Entwicklungen im Krieg in der Ukraine. Im Mittelpunkt der Gespräche steht die weitere Unterstützung für das von Russland angegriffene Land. Zumindest am Rande dürfte es zudem um Vorschläge der EU-Kommission für ein elftes Paket mit Russland-Sanktionen gehen. Mit ihm soll vor allem die Umgehung der bereits erlassenen Strafmaßnahmen bekämpft werden. (dpa)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.