++ LIVETICKER ++ DER 1. MAI IN BERLIN (3): Feierabend mit Scherben
Alles rund um den 1. Mai in Berlin (Teil 3): Berichte vom Nachmittag und Abend.
01.05, Oranienplatz: Auf der Bühne grölt die letzte Band: "Take it easy" Aber es war gar nicht so einfach hierher zu kommen. Die Polizei hat die Kreuzung Adalbert-, Oranienstraße komplett abgesperrt. "Zeit nach hause zu gehen", sagt einer der Beamten in der Kette. Eine junge Frau, die das gerne tun möchte, aber nun nicht mehr in ihre Richtung darf, wird von ihrem Begleiter getröstet: "Dann kommst du eben mit zu mir." Den kompletten Überblick hat hier offenbar nur noch ein Mann. Er hängt oben über der verrauchten Kreuzung in der Ampel. Unten spricht ein junger Bartträger einen Polizisten an: "Weißt du was", sagt er, "ihr macht hier eigentlich einen ganz guten Job. Schönen Abend noch". Drumherum werden die "Haut ab!"-Rufe nochmal lauter.Höchste Zeit, nach hause zu gehen.
9 Uhr: Der DGB zieht vom Wittenbergplatz zum Brandenburger Tor - zu Fuß und auf Rädern.
9:45 Ostkreuz: Die Antifa ruft zu protesten gegen das NPD-Fest.
10 Uhr: Die NPD veranstaltet vor ihrer Zentrale in Köpenick ein "Maifest" mit bis zu 1.000 Nazis. Gegenkundgebung mit Demo ab 10 Uhr vom S-Bahnhof Köpenick.
13 Uhr: Das MyFest beginnt mit ersten Aufführungen auf zahlreichen Bühnen rund um den Oranienplatz in Kreuzberg.
13:30 Uhr: Die Mayday-Demo startet am Bebelplatz neben der Staatsoper Unter den Linden. Anders als geplant, darf sie nicht durch die Friedrichstraße ziehen. Der Auffassung der Polizei, dass das zu gefährlich sei, hatte sich zuletzt auch das Oberverwaltungsgericht angeschlossen. Sie fürht nun über Unter den Linden, Wilhelm-, Koch-, Rudi-Dutschke- und Oranienstraße zum Moritzplatz.
18 Uhr: Die revolutionäre 1. Mai-Demonstration startet am Kottbusser Tor.
21 Uhr: Arena am Ostbahnhof: Hier steigt abends das Finale der Basketball-Euroleague. Dabei: zwei griechische Teams mit verfeindeten Hooligans. Die Antifa lädt die linken Ultras zu sich ein.
00.35, Oranienstraße: Die Lage ist vollkommen unübersichtlich geworden. Auch weil der Imbissbetreiber zu Sicherheit die Jalousien runter gelassen hat. Ein Polizeitrupp stürmt die Oranienstraße entlang Richtung Heinrichplatz. Und dann noch einer. Die Straße, auf der gerade noch getanzt wurde, ist bis auf die Bürgersteige frei. Im Imbiss drängeln sich rund 30 Leute. Einer versucht per Handy jemandem zu erklären, wo er geblieben ist, und fragt den jungen Mann an der Tür nach der Hausnummer. "Wieso?", will der wissen, "willst du dir etwa ein Taxi rufen?" Die Menge lacht. Draußen fliegen noch ein paar Flaschen vorbei. Tränengas dringt durch die Ritzen nach innen.
00.15, Adalbertstraße: Es ist zum Heulen. Beißende Tränengasschwaden ziehen durch die Adalbertstraße. Mehrere Polizeitrupps sind gerade durchgezogen. Es fliegen Flaschen hinterher. Sie kommen zurück, mit einzelnen Verhafteten im Griff, und ziehen ab. Dann kommt wieder beißender Rauch, diesmal von den schmorenden Plastikflaschen in einer Barrikade. Und das Spiel geht von vorne los. Die Massen wogen mal hin, mal her, mal in grünen Uniformen, mal mit schwarzem Kapuzenpulli. Es wäre Zeit nach hause zu gehen. Aber das ist nicht so einfach. Jetzt drängt die Polizei erstmals auch in die tanzende Menge auf der Oranienstraße. Die flüchten hustend in die anliegenden Imbisse. Tränengas auch hier. Es ist zum Heulen.
23.43, Oranienstraße: Die Stimmung ist kurz vor dem Überkochen. Hunderte springen und schreien dicht gedrängt auf der Oranienstraße, ein DJ heizt der Menge ein. Ein Frau auf der Bühne hält eine Pappe hoch: "Gegen den Ernst der Lage" steht darauf. Die Masse tanzt. Und jubelt. Und feiert. Kaum zu glauben, dass nur 50 Meter weiter um die Ecke in der Adalbertstraße immer noch die Polizei und ein paar junge Männer Katz und Maus spielen. Ab und an fliegen Flaschen, ab und an stürmt die Polizeikette vor und greift sich einzelne aus der Menge. Ritualinszenierungen. Mittendrin lodert der Versuch einer Barrikade. Ein paar Bierbänke, ein paar rote Absperrgitter, ein paar Pappkartons. Ein junger Mann erregt sich am Straßenrand über einen jungen Fotografen mit Helm, weil der ihn bei einem Flaschenwurf geknipst hat. Wenn er wüsste, welch detaillierte Bilder die Polizei mit ihren Kameras einfängt. Einzelne "Haut ab!"-Rufe Richtung Polizei erklingen. Dann brennt es auch mal wieder auf der Kreuzung Oranien-, Ecke Adalbertstraße. Der tanzenden Menge dort ist es egal. Der DJ setzt die Bässe aus, die Menschen schmeißen die Arme in die Luft. Der Döner-Verkäufer gegenüber wackelt mit den Hüften und zuckt mit den Schultern.
23.05, Kottbusser Tor. Zu früh gefreut. Ein paar Anwesende haben offenbar eine andere Vorstellung von Feierabend, als die große Mehrheit. Während vom Oranienplatz bis zum Heinrichplatz nur die Polizeitrupps an den Ecken darauf hinweisen, dass hier kein ganz gewöhnliches Stadtfest im Gange ist, fliegen auf der Adalbertstraße doch wieder ein paar Flaschen. Ein Polizeitrupp rennt mal hierhin, mal dorthin, die Gaffer am Straßenrand johlen laut oder ärgern sich leise, weil sie keinen der guten Sichtplätze auf den Treppenstufen abbekommen haben. Nicht schön, aber verglichen mit der Kreuzberger Randaletradition der Vorjahre vollkommen harmlos.
22.45, Adalbertstraße: Das MyFest läuft ungestört weiter. Altpunks tragen den Irokesen zur Schau, Jungmachos ihren nackten Oberkörper. Die Bands dröhnen auf allen Bühnen. Das einzige, was an diesem Abend total versagt hat, ist das vom Bezirk ausgesprochene Flaschenverbot. Überall liegen Scherben. Auf der Adalbertstraße flackert ein Feuer, direkt daneben stehen ein paar Polizisten. Einige Passanten bleiben kurz stehen. Ein paar Meter weiter schmurgelt es in einem Papierkorb. Eine Kette schwarz gekleideter Polizisten hat die Straße zum Kottbusser Tor gesperrt. Warum will niemand erklären können, richtig aufregen tut sich aber auch niemand. Es ist Feierabend.
21.45, Oranienstraße: Mit zunehmender Dunkelheit steigen der Alkoholpegel die Fröhlichkeit auf der Straße. Auf dem MyFest wird ausgelassen getanzt und gefeiert. Der kühle Wind tut ein übriges, um die sommerlich gekleideten Menschen in Bewegung zu halten. In der Straßenflucht hallen unzählige Klangrhythmen wieder. Türkische Mütter mit Kopftuch eilen mit ihren Kleinen im Kinderwagen nach hause. Die Straße ist immer noch so voll, dass mit dem Fahrrad, selbst wenn man es schiebt, kein durchkommen ist. Das Bier wird weiterhin nur in Plastikbecher ausgeschenkt, obwohl es dafür aus Sicherheitsgründen keine Notwendigkeit gäbe. Ein halber Liter Bier kostet aktuell 2 Euro.
21.40, Kottbusser Tor: Der Anmelder der 18-Uhr-Demo Kirill Jermak zieht ein zerknirschter Fazit: Es sei wenig gelungen inhaltliche Ziele zu vermitteln, zu der Gewalteskalation habe aber auch die Polizei beigetragen. "Deren Hunderschaften erschienen führungslos", sagte Jermak. Die Polizei greift derweil Einzelne aus der Menge heraus und verhaftet sie. Ein Mann wirft ein Fahrrad auf Polizeibeamte. Denen passiert aber nichts.
DAS GROSSE RUMSTEHEN AM KOTTBUSSER TOR
21.28, Kottbusser Tor: Die Bands auf der Demo-Bühne spielen nicht mehr, die Steine fliegen nicht mehr, die Demonstranten laufen nicht mehr. In den letzten zehn Minuten ist nur noch allgemeines Rumstehen angesagt. Das MyFest rund um die Oranienstraße geht ausgelassen weiter.
21.20, Kottbusser Tor: Die Polizei steht vor der Antifa-Bühne und versucht zu erreichen, dass die Bands nicht mehr spielen. In den Seitenstraßen gibt es weiterhin kleine Scharmützel.
21.10, Wrangelstraße: Vor den Toiletten des Fastfoodladens McDonalds stehen die Einsatzhundertschaften mit den Rückenkennnummern 1421, 1412, 1431 und 1432 Schlange. Die Frauen müssen ausnahmsweise mal nicht so lange warten. Denn bei der Polizei gibt es immer noch mehr Männer.
21.00 Kottbusser Tor: "Aktuell haben wir Steinwürfe", berichtet eine Polizeisprecherin unaufgeregt über die Lage nach Beendigung der Demonstration. Beobachter vor Ort sagen zum Teil, die Ausschreitungen seien deutlich stärker als in den Vorjahren. Andere meinen, die Steinwürfe seien in diesem Umfang nichts besonderes.
20.55, Arena am Ostbahnhof: Kurz vor Anpiff die Euo-League-Halbfinalspiels zwischen Panatinaikos Athen und Olympiakos Piräus ist klar: die als schlagkräftig bekannten Fans der beiden Teams werden die Kreuzberger Krawalle vorerst nicht beeinflussen. Sei sind zum Teil bereits seit 17.30 Uhr in der Arena.Auch etwa 64 behelmte und gepanzerte Polizisten sind dort zusammen mit 200 bis 300 Sicherheitsleuten. Vor der Arena stehen etwa 100 Polizisten und 7 bis 9 Bereitschaftswagen. Um 19 Uhr kamen Busse mit den Anhängern von Panatinaikos Athen, begleitet von behelmten Polizisten. Die Fans sind in grün gekleidet. Die Anhänger des verfeindeten Basketball-Vereins Olympiakos Piräus tragen rote Kleidung - entsprechend den Vereinsfarben.
DEMO BEENDET, STEIN FLIEGEN WEITER
20:45 Kottbusser Tor: Die Demonstration ist vorzeitig beendet; die Veranstalter erklären, die Polizei habe den Protestzug angegriffen. Die Beamten kontern, die Aggression sei von der Gegenseite ausgegangen. Nachdem die Einsatzkräfte mit Steinen und Flaschen angegriffen worden sind, jagen sie kleine Gruppen von Demonstranten über den Kotti. Die Lage ist chaotisch.
20.35, Ohlauer Straße: Der Polizeiwagen vom Typ Opel steht am Straßenrand. Eine Augenzeugin berichtet den dabeistehenden Beamten, dass ein vermummter Demonstrant hinter dem wegfahrenden Wagen hergelaufen sei und mit einem Baseballschläger Heck- und Seitenfenster eingeschlagen habe. Der Fahrer steht unter Schock, meldet ein Beamter per Funk der Einsatzzentrale.
20.18, Wiener Straße vor der Feuerwache: Plötzlich steht ein Polizeiauto mitten in der Demo. Es wird angegriffen. Stoßtrupps versuchen das Auto rauszuholen. Der Wagen kann schließlich rausfahren. Nach einigen Scharmützeln läuft der Demozug um 20.26 Uhr weiter.
20:16 Kottbusser Damm. 20 Mannschaftswagen der Polizei fahren mit Blaulicht und Sirenen in Richtung Kottbusser Tor. Krankenwagen folgen.
20.01, Lausitzer, Ecke Wiener Straße: Auf dem Dach eines Hauses taucht der Pink Rabbit auf und winkt in die Menge. Kleiner Applaus aus der vorbeiziehenden Demo. Maxim aus Prenzlauer Berg fragt laut: "Ist das ein politisches Statement gegen die Schweinegrippe?"
19.58, Kottbusser Tor: Die Polizei zieht drei blutverschmierte Männer offensichtlich deutscher Herkunft aus dem U-Bahn-Ausgang und nehmen sie mit.
19.50, Kottbusser Tor: Sonderkräfte der Polizei werden massiv von jungen Migranten provoziert und angerempelt. Die Beamten bleiben ruhig.
19.50, Lausitzer Platz: Die Stimmung in der Demo ist wieder gelassener. Ein Sprecher vom Bündnis Schülerstreik fordert: "kein Leistungskonkurrenzdruck in der Schule, stattdesssen gemeinsames Lernen für alle".
19:48, Kottbusser Tor: Es kommt zu ersten Scharmützeln. Zehn Polizisten jagen eine Gruppe junger Türken über den Platz. Letztere rennen durch ein paar arabischstämmige Mütter mit Kinderwagen. Großes Kreischen.
19.46: Mariannenstraße: Wer jetzt von hier zum Oranienplatz will, muss ein en Umweg fahren. In Kreuzberg ist kein Durchkommen mehr - wegen des MyFestes, nicht wegen der Demo.
19:40, Kottbusser Tor: Seit einer Stunde ist kaum ein uniformierter Polizist zu sehen. Die Stimmung ist ausgelassen, kleinere Gruppen junger türkisch- und arabischstämmiger Männer rotten sich zusammen.
GEREIZTE STIMMUNG In KREUZBERG
19.38, Muskauer, Ecke Pücklerstraße: Die Stimmung ist gereizt. Im vorderen Block sind die Demonstranten nahezu kollektiv vermummt. Nur vereinzelt fliegen noch Steine, aber die Demonstration scheint erst einmal fortgesetzt zu werden.
19.30, Mariannen, -Ecke Skalitzer: Die Tankstelle ist abgeriegelt, der Verkauf jedoch geht weiter. Die Demonstration ist hier schon durch.
19.25, Manteuffel-, Ecke Muskauer Straße: Die Polizei ist in die Demonstration vorgedrungen. Es fliegen Flaschen und Steine. Großes durcheinander.
STEINWÜRFE AM FRÜHEN ABEND
19.10, Mariannen, -Ecke Skalitzer: Schon wenige Meter nach dem Start der Demonstration fliegen Steine. Die zum großen Teil bereits vermummten Demonstranten werfen Steine auf Polizisten am Straßenrand. Die halten sich vorerst noch zurück. An der Kreuzung befindet sich eine Tankstelle.
18.40, Kottbusser Tor: Seit gut 20 Minuten läuft die Auftaktkundgebung der revolutionären Demo mit revolutionärem Konzept: Anstelle von Wortbeiträgen gab es bisher nur Musik. "So Rap-Zeug", sagt eine Beobachterin vor Ort.
18.30, Sol y Sombra, Oranienplatz: Die Kneipe ist der Politikertreffpunkt am Rand der 1.Mai-Festspiele. Mariona Seelig, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, und Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sitzen beim Bier. Normalerweise ist auch der Innensenator Körting zu dieser Uhrzeit zugegen. Doch heute ist er schon weg. Auch beim Verzehr hat er sich zurückgehalten: ein mageres Weizenbier zierte seine Rechnung. An den Biertischen kursiert das Gerücht, 750 griechische Hools seien zu dem Euroleague-Final-Four-Baksetballspiel in der Arena am Ostbahnhof angereist. Das sei etwa so schlimm wie 2.000 Autonome, so die Einschätzung. 250 der Hools sollen bei Quartiernahme in der Landsberger Allee als erstes die Feuerlöscher abmontiert haben.
18.10, Kottbusser Tor: Nun kommt doch schnell Bewegung in die Menge. Zunehmend begeben sich die Massen Richtung Kottbusser Straße, wo sich die "revolutionäre 1. Mai-Demonstration" zum Abmarsch Richtung Neukölln formiert. Es ist voll. Die Veranstalter schätzen die Menge auf 10.000 Teilnehmer.
18.00, Kottbusser Tor: Ganz offiziell müsste jetzt hier die zweite revolutionäre 1. Mai-Demo des Tages starten. Doch das Gedrängel wirkt mehr wie ein Ausläufer des MyFestes, als der Sammlungsort einer politischen Demonstration. Immerhin: das Anti-Konflikt-Team der Polizei hat sich soeben schon postiert. Über 30 Beamte mit ihren neongelben Leuchtjacken prägen nun das Bild.
Der LIVETICKER zur Mayday-Parade, den Antifa-Protesten gegen das NPD-Fest in Köpenick und zur DGB-Demo findet sich hier.
Der LIVETICKER zur Walpurgisnacht findet sich hier.
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