Tschüss, gedruckte taz : Meine schönste Zeitung
Nachts an der Schreibmaschine getippt, morgens gefaxt, abends in der Berliner Kneipe gekauft: Eine Hommage an die gedruckte tageszeitung.

taz FUTURZWEI | Eines Morgens trat ich in einen Kreuzberger Zeitungskiosk und die Zeitungen waren weg. Da hing doch immer eine halbe Wand voll mit einer sehr ordentlichen Auswahl.
Jedenfalls bildete ich mir das sein. Jetzt war an der Stelle ein riesiges Kühlregal mit einem großen Sortiment Bier aus aller Welt.
„Wo sind denn die Zeitungen und Zeitschriften?“, fragte ich aufrichtig perplex. Die Späti-Frau schaute mich an, als sei ich gerade mit einer Zeitmaschine in der Gegenwart gelandet und zeigte auf eine dunkle Schmuddelecke ihres Ladens.
Da waren sie oder was übriggeblieben war, soweit ich mich erinnere, BZ, Bild, MoPo. Over.
Peter Unfried ist Chefreporter der taz und Chefredakteur von taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik. Außerdem Kolumnist und Autor. Spezialinteresse: Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen ernsthafte Klimapolitik möglich wird. Unfried lebt in Berlin-Kreuzberg und wuchs in Stimpfach, Baden-Württemberg, auf.
„Ja, aber …“, stammelte ich.
„Lohnt sich nicht mehr“, sagte die Späti-Frau nüchtern.
Ich begann bitterlich zu weinen und hörte erst wieder auf, als ich an den 28. März 1991 dachte. Am Abend davor war ich in Frankfurt/Main im Waldstadion gewesen, beim Länderspiel Deutschland – Sowjetunion. Die Deutschen mit ihren Weltmeistern plus unseren DDR-Neuzugängen Sammer und Doll. Es war das letzte Spiel der Sowjetunion.
Danach fuhr ich zu meiner Frau fürs Leben nach Heilbronn und schrieb den „Nachdreher“ für die taz. Das nannten wir Sportjournalisten so und ist – in der Theorie – ein einordnender, analytischer, intelligent unterhaltender Text über das Spiel.
Am nächsten Morgen faxte ich die mit Schreibmaschine beschriebenen Seiten zu Michaela und Matti in die Leibesübungen-Redaktion, und dann fuhren wir nach Berlin. Abends saßen wir in einer Kreuzberger Kneipe, und dann kam die Zeitungsverkäuferin, und ich kaufte die frisch gedruckte taz.
Und jetzt kommt’s: Keine 24 Stunden nach Spielende war da der Text drin und für alle zu lesen! What a feeling. Nachgeborene werden das kaum nachvollziehen können, aber das war der schönste Tag meines beruflichen Lebens.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°34: Zahlen des Grauens
Die weltweiten Ausgaben für Rüstung betragen 2700 Milliarden Dollar im Jahr, ein 270stel davon wird weltweit gegen Hunger investiert. Wir präsentieren Zahlen des Grauens und plädieren gerade deshalb für Orientierung an Fakten statt an Talkshow-Aufregern.
Mit: Matthias Brandt, Dana Giesecke, Maja Göpel, Wolf Lotter, Armin Nassehi, Sönke Neitzel, Katja Salamo und Harald Welzer.
Es war damals selbstverständlich, dass man nachts in der Berliner Kneipe minimal eine Zeitung kaufte und zumindest gleich mal durchblätterte. Das gehörte zum aufgeklärten Lifestyle. In Tübingen oder sonst wo gab es das ja nicht, das war Berlin!
Irgendwann hörte das auf, dass man neugierig war, was wohl drinstehen würde und was den Tag über so passiert war. Man weiß es ja, weil man ständig digital Nachrichten zu sich nimmt und nicht mehr nur morgens und abends. Mediennutzungsgewohnheiten radikal verändert.
Der legendäre taz-Verkäufer Olaf Forner wird heute in manchen Kneipen in Berlin-Mitte ignoriert wie ein Bettler. Nicht mal mehr: „Nein, danke.“ Schon gar nicht: „Hab ich doch im Abo.“ Die schauen einfach weg. Die Briefkästen in den Mietshäusern sind morgens so leer, dass man nicht mal mehr eine Zeitung klauen kann. Mitlesen in der U-Bahn geht auch nicht, weil keiner Zeitung liest, außer am Telefon, aber da ist die Schrift zum Mitlesen zu klein. Die Zeitungen in Cafés werden immer weniger und die Cafés mit Zeitungen auch.
Echte Zeitungskioske gibt es nicht mehr. Normal ist heute, dass man jenseits vom Bahnhof und wenigen Läden kein Philosophie Magazin oder was in der Richtung mehr kriegt. Vor ein paar Wochen brauchte ich einen kicker und rannte dafür auch schon von Pontius zu Pilatus.
Das erzähle ich nicht, weil ich Kulturpessimist bin und die Entwicklung schön bequem als Niedergang und Verfall einsortieren will. Ich erzähle es, weil ich jahrelang zusah, wie die Welt sich veränderte, aber es gleichzeitig auch nicht sah. Ich sah es, und ich sah es nicht. Oder erst an diesem Tag, von dem ich eingangs berichte.
Das scheint mir eine mitteilungswerte Erkenntnis zu sein, die weit über Zeitungen hinausgeht. Außerdem wollte ich unbedingt vom 28. März 1991 erzählen. Vermutlich geht es mir hauptsächlich darum.
Als erste überregionale Zeitung erscheint die taz ab dem 20. Oktober 2025 wochentags als e-paper, aber nicht mehr als Print-Ausgabe. Gedruckt erscheinen im taz-Verlag die Wochenzeitung wochentaz, Le Monde diplomatique und taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik.
🐾 Lesen Sie weiter: Die neue Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°34 mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ gibt es jetzt im taz Shop.