Friedrich Merz' neue Bundesregierung : Mehr Rückschritt wagen
Am Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrages zeigt sich etwas Grundsätzliches: Merz' CDU, Söders CSU und die SPD wollen lediglich modernisierungsfeindlich verwalten.

taz FUTURZWEI | Die Treckerblockaden der letzten Jahre waren erfolgreich: „Mehr Rückschritt wagen“ - das ist die Ansage für die Landwirtschaftspolitik der kommenden Bundesregierung.
Michaela Kaniber, derzeit CSU-Landwirtschaftsministerin in München, soll das Ministerium in Berlin übernehmen. Sie gilt als Bauernflüsterin, seit sie in den Bauernunruhen 2023/24 vermittelt hat.
Ein Umbau der Landwirtschaft in Richtung ökologischer Verantwortung hat während der Ampel-Jahre - bis auf kosmetische Korrekturen - ebenso wenig stattgefunden, wie die Modernisierung der konventionellen Produktion mit Digitalisierung, KI und wissensbasierten Methoden.
Das Befestigen dieser weiterhin konventionellen Landwirtschaft gegen jede Modernisierung, das ist nun der Auftrag für Kaniber, 47.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?
Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?
Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.
Interessenvertretung statt Modernisierung
Es fällt indes schon auf, dass das Programm für diesen Rückschritt die kurzfristigen Interessen der Bauern besser bedient, als alle eben doch viel Einsatz und Aufwand verlangenden ökologischen und digitalen Modernisierungskonzepte.
Die von der Ampel abgeschaffte Agrardieselvergütung (450 Millionen Euro) wird wieder eingeführt. Die Landwirtschaft soll nicht in den Emissionshandel zur Co2- Reduzierung einbezogen werden.
Die Landwirtschaft soll am „Investitionsbooster“ beteiligt werden, um 30 Prozent erhöhte Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen von 2025 bis 2027 wären möglich. Eine steuerliche Risiko-Ausgleichrücklage gegen potentielle Klimaschäden soll eingeführt werden. Das alles bringt für Jahre garantierte Gewinne für die Bauern aus den öffentlichen Haushalten.
Widersprüche der neuen Politik
Weiter sind Zuschüsse für einen Tierwohl gerechten Stallumbau in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vorgesehen, wogegen es im Prinzip nichts einzuwenden gibt – allerdings sollen zugleich die Umweltverträglichkeitsprüfungen für Stallbauten zurückgefahren werden, was zusammen gesehen der Massentierhaltung neue Perspektiven eröffnet.
Die Stoffstrombilanz im Düngerecht soll abgeschafft, die Zulassung neuer Pestizide vereinfacht und der Gebrauch von Biotechnologien und genomischen Techniken erleichtert werden. Das Immissionsschutzgesetz soll für die Landwirtschaft in seiner Geltung eingeschränkt, das Verbandsklagerecht und das Umweltinformationsgesetz sollen gesoftet werden.
Die EU-Verordnungen gegen Entwaldung und zur Wiederherstellung natürlicher Zustände sollen nicht umgesetzt werden. Mit der geplanten Abschaffung der Aufzeichnungspflichten für Landwirte sollen die Bauern von allen für sie lästigen Fesseln gesellschaftlicher und nachhaltiger Verantwortung befreit werden.
Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
Dass dann auch noch das Töten von Wölfen möglich werden soll, kann als populistisches Ausrufezeichen gegen den angeblichen ökologischen Unsinn und jede Modernisierung gesehen werden.
Dieses Regierungsprogramm erstaunt umso mehr, als eine Modernisierung der Landwirtschaft längst wissenschaftlich, konzeptionell und wirtschaftlich gut begründet ist und mit umsetzbaren Schritten untersetzt.
Die Anpassungen an den Klimawandel und zugleich die Modernisierung der Landwirtschaft mit Digitalisierung, KI und Daten gestützten, wissensbasierten Methoden sind kein Widerspruch. Im Gegenteil.
Landwirtschaft 4.0
Sie sind zusammengeführt worden in dem, in Baden-Württemberg erarbeiteten, konzeptionellen Ansatz „Landwirtschaft 4.0“.
Seine Kernpunkte sind Precision Farming: zielgerichtete Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen mittels Sensorik und Automatisierung und Precision Livestock Farming: Datenbasierte Prozesssteuerung in der Tierhaltung. Dann Smart Farming: Anwendung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in der Landwirtschaft zur Entscheidungsunterstützung. Und Digital Farming: Vernetzung von großen Datenmengen (Big Data) und Systemen mit den zentralen Elementen des „Internet der Dinge“, in denen vernetzte Gegenstände selbständig miteinander kommunizieren und Computerressourcen geteilt werden („Cloud Computing“).
Regenerative Anbaumethoden, die Entwicklung von Klima angepassten, nachhaltigen Nutzpflanzen und Produkten, gezieltes Wasser- und Bewässerungsmanagement, sowie der lokale und pflanzenspezifisch präzise Einsatz von ökologisch angepassten und für Menschen, Tiere und Umwelt unschädlichen Düngemitteln sind kein futuristisches Teufelswerk, sondern, zum Beispiel, in Israel längst gute landwirtschaftliche Praxis. Massentierhaltung und Superschläge (also riesige Anbauflächen), wie bei vielen deutschen Großbauern in Gebrauch, können so vermieden werden.
In Berlin wird Rückschritt gewagt
Im Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrags von Union und SPD tauchen weder eine besondere Förderung des Umsteigens auf Bio -Landwirtschaft auf, noch eine für die Modernisierung zu einer datenbasierten Landwirtschaft auf der Basis von Digitalisierung und KI. Stattdessen sollen die vorhandenen, auch wirtschaftlich langfristig nicht mehr überlebensfähigen Strukturen mit Subventionen zu Lasten der Umwelt und der Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit gesunden, ökologisch erzeugten Lebensmitteln fortgeschrieben werden.
Am Kapitel Landwirtschaft des Koalitionsvertrages zeigt sich etwas Grundsätzliches: CDU, CSU und SPD wollen lediglich modernisierungsfeindlich verwalten.
Sie ignorieren das erreichbare Ziel einer Transformation aller gesellschaftlichen Systeme in einen nachfossilen, digitalen Neubeginn. Seit die Grünen vom Kabinettstisch vertrieben wurden, treten die neuen, alten Koalitionäre auf wie die Regierenden, auf die wir vor gut sechzig Jahren mit Verachtung und revolutionären Träumereien geschaut haben.
Die Hoffnung auf eine aufgeklärte Transformation aus der Mitte der Gesellschaft scheint Geschichte.
Fragt sich, ob die Grünen dieser Hoffnung noch einmal gesellschaftliche Kraft und politischen Inhalt geben können. Oder, ob es erst AfD-Mehrheiten braucht, bis auch Union und SPD begreifen, dass sie mehr aufbieten müssen, als die Wirtschaft zu pimpen und den Sozialstaat monetär auszuweiten.
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°32 mit dem Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt im taz Shop.