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Das Ende eines Unterrichts

Vater, der Lehrerin seines Sohnes gegen die Tür schubste, vom Amtsgericht Harburg zu fünf Monaten auf Bewährung und 400 Euro Geldstrafe verurteilt. Der Schüler war nach einer Eskalation von Konflikten aus dem Unterricht ausgeschlossen worden

Von Kaija Kutter

Unmöglich der Mann, dachte das Publikum im Gerichtssaal spätestens, als Joan P. bei der Zeugenaussage des Opfers aufsprang und den Gerichtssaal verließ. „Ich muss aufs Klo!“ rief er der Richterin hinterher. Wieder eingesammelt von seinem Verteidiger musste der Mittvierziger im Skin-Outfit schließlich doch den Worten von Christine Greiner lauschen, der früheren Lehrerin seines Sohnes.

Dabei schien bis zu ihrer Vernehmung teilweise plausibel, was der allein erziehende Vater eines mittlerweile 16-jährigen Sohnes vom Vorfalls am 11. Februar 2003 berichtete. Dieser sei von der Lehrerin vom Unterricht ausgeschlossen worden, für eine Sache, „für die er schon bestraft worden war“. Und das in einer Zeit, in der er „dramatisch in den Zensuren abgesackt“ sei, erklärte der Vater. Er und die getrennt lebende Mutter hätten deshalb die Lehrerin nach dem Unterricht aufgesucht, um mit ihr zu reden. Es kam zum offenen Konflikt vor den damals 13 und 14 Jahre alten Schülern der Klasse 8b, in dessen Verlauf er die Lehrerin „weggeschubst“ habe.

Der Schubs muss ganz schön heftig gewesen sein. Greiner, die als Nebenklägerin auftrat, wurde von ihrem Arzt eine Gehirnerschütterung, ein Wirbelsäulen-Schleudertrauma und eine Halswirbelsäulenblockierung attestiert. „Er hat mich am Revers gepackt und richtig gegen die Wand gepresst. Wräh!“, berichtet Greiner mit Schauder. Weil sie ihre umstehenden Schüler schützen wollte, sei sie zur Pausenhalle vorangegangen, worauf der Vater sie nochmals geschubst und „Pissnelke“ genannt habe. „Die Eltern haben mich wüst beschimpft und bedroht“, berichtet die Lehrerin. Eskaliert sei der Streit, weil sie kein Gespräch zwischen Tür und Angel wollte und stattdessen die bereits per Post abgeforderte schriftliche Stellungnahme der Eltern zu den jüngsten Vorfällen erwartete.

Denn der Sohn, so schrieb Greiner in einem Bericht über den Vorfall, habe sich konsequent allen Anweisungen der Lehrer widersetzt, was, so Greiner, teilweise sogar auf Anweisungen des Vaters zurückginge. So wurde ein Referat nie geschrieben und ein Attest für die Befreiung vom Sport nie beigebracht. Eskaliert war der Konflikt schließlich, weil der Schüler im Unterricht mit dem Handy telefonierte und anschließend unerlaubt die Schule verließ. Die Lehrerin setzte ihn daraufhin mit Arbeitsaufträgen ins Schulleitungsbüro, die er ebenfalls nicht erledigte.

Die pädagogischen Differenzen wurden vor Gericht nicht geklärt. Zwei Schüler bestätigten jedoch Greiners Version über die Heftigkeit der Körperverletzung. Richterin Wichmann verurteilte den Vater schließlich zu fünf Monaten auf Bewährung und 400 Euro Geldstrafe. „Es ist hier klar geworden, dass Sie sich ungerecht behandelt sahen, doch dann ist Ihnen die Sache entgleist“, erklärte sie. Es gehe nicht, dass Eltern in die Schule stürmten und laut rumschrieen – „Lehrer und Schüler müssen sich in der Schule sicher fühlen.“

Christine Greiner sieht diese Familie eher als Opfer eines schwierigen Schulsystems. Der Vater wollte gern, dass der Sohn Abitur macht. Dieser wurde gleich zweimal von Gymnasien verwiesen, bevor er schließlich auf die Gesamtschule Finkenwerder kam. Durch diese Misserfolge sei er demotiviert und blockiert, heißt es in einer Dokumentation über den Vorfall, die Greiner öffentlich macht, um das Thema Gewalt gegen Lehrer zu enttabuisieren. „Nach meiner Schätzung passiert das drei, vier Mal im Jahr“.

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