piwik no script img

Archiv-Artikel

Volkswagen und Stadt

Weltpremiere in der Cinepolis-Reihe: „Neubau – VW in Dresden“ von Thomas Tielsch und Niels Bolbrinker

Es sei ihm darum gegangen, so der Architekt Gunter Henn, „ein hochwertiges Auto in eine emotionale, kultige Umgebung zu bringen“. Dresden erschien ihm da als idealer Standort. Tatsächlich aber liegen Welten zwischen dem neuen VW-Werk und seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der Große Garten mit dem kleinen feinen Palais ist zwar nicht weit, umgeben ist die Manufaktur aber von grauen Plattenbauten. Die behergen ein vorstädtisch anmutendes Kleinbürgermilieu, das die Wiedervereinigung scheinbar unbeschadet überstanden hat. Die Herren, die sich in der Eckkneipe morgens das erste Bier genehmigen, schauen mit Unverständnis – und wohl auch mit Neid – auf das neue, gigantische Gebäude, das ihnen der Wolfsburger Konzern da direkt vor die Nase gesetzt hat.

Nach den Menschen und Weltanschauungen hinter dem Prokekt suchen Thomas Tielsch und Niels Belbrinker in ihrem Film Neubau – VW in Dresden. In der „Gläsernen Manufaktur“ laufen seit Dezember 2001 die neuen Luxus- und Geländewagen aus dem Hause VW vom Band. In dem rundum verglasten Komplex kann der Käufer die Endmontage seines Autos beobachten, zwischendurch noch fein speisen und eine Stadtrundfahrt machen, ehe er dann sein Vehikel in Empfang nimmt.

Henn, der für VW bereits die Wolfsburger „Autostadt“ entworfen hat, verbindet mit der Manufaktur hochtrabende Ziele. Sie sei die Verkörperung seiner Vision einer „stadtverträglichen Industrie“ und somit Teil einer „authentischen Urbanisierung“. Der Automobilriese erfülle hier auch einen gesellschaftlichen Auftrag, indem er den öffentlichen Raum positiv besetze – eine Aufgabe, die früher den Kirchen vorbehalten gewesen sei. Den Gegenpart übernimmt in diesem Film Peter Sloterdijk, der mit philosophischem Scharfsinn den Geist kritisiert, der sich hinter diesem neuen Luxustempel der Autoindustrie verbirgt. So entdeckt Sloterdijk in der von Henn mit Vehemenz verfochtenen Idee der Transparenz das Symptom einer sich ausbreitenden „Event-Kultur“.

Neubau lebt vor allem von diesen gegensätzlichen Positionen. Darüber hinaus beleuchtet er den sozialen und politischen Kontext, in dem Henns architektonische Unternehmung steht. So spiegeln die Aufnahmen von der feierlichen Eröffnung der „Gläsernen Manufaktur“ treffend die Gegensätze zwischen west- und ostdeutschen Realitäten. Das Gebäude, das zur Feier des Tages von Gerhard Schröder in einem nagelneuen Phaeteon durchkurvt wird, ähnelt in solchen Augenblicken einem UFO, das auf einem fremden Planeten gelandet ist. Neubau ist der aktuellste Beitrag der Cinepolis-Reihe und sicherlich auch einer ihrer Höhepunkte. Bei der heutigen Premiere werden die Filmemacher zu Gast sein, Diskussionsstoff birgt ihr Film zuhauf.

Lasse Ole Hempel

Premiere (Einführung: Olaf Bartels): heute, 21.15 Uhr, Metropolis; unter dem Titel „Architektur des Wissens“ zeigt die Galerie Kammer bis zum 14.9. Arbeiten von G. Henn