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KIRSTEN FUCHS über KLEIDERBin ich denn eine Fusselrolle?

Überall Fussel. Ständig muss man sich entfusseln. Das Problem nimmt ein gigantisches Ausmaß an

Der Fussel an und für sich ist ja eher hell, weiß oder hellgrau changierend. Und damit fängt das Elend an, und damit hört das Elend auf.

In Sachsen sagt man zu Fussel auch Mutzel. Mutzeln sind jedenfalls eher hell. Ein typischer Mutzel ist der Tierhaarmutzel. Davon können Haustierbesitzer ein Lied singen, es ist kein fröhliches Lied, eher Moll, aber es endet mit den Worten: „Und man liebt sie doch.“ Laufende Fusselherde! Wenigstens ist meine Katze schwarz und haart mich dunkel voll, um mich als ihren Menschen zu markieren. Sehr froh bin ich immer, wenn ich mir nach dem Bade die Beine eingecremt habe und die Katze daraus innerhalb von Sekunden arabischen Männerwaden zaubert … und man liebt sie doch. Wurden im Mittelalter eigentlich eher helle Stoffe getragen, und deshalb waren schwarze Katzen so unbeliebt?

Das ist eine rhetorische Frage, und ich weiß die Antwort. Nein! Schwarze Katzen sind mit dem Teufel im Bunde. Das weiß ich selber. Ich hab doch so einen Satansanhänger zu Hause. Haarbüschelkotzmessen im Flur und kleine Futterreste in Form des Pentagramms neben dem Futternapf … und ich liebe ihn doch. Ich würde mir jedenfalls nie eine weiße Katze in die Wohnung holen. Ich müsste komplett meine Farbskala umstellen, wo ich doch eher ein Nachttyp bin, weder Herbst- noch Sommertyp, denn Nacht ist in jeder Jahreszeit, außer wenn Tag ist. Ich trage fast nur dunkle Farben oder eben Schwarz, was ja laut meiner Kunsterzieherin keine Farbe ist. Außer als die Farbe, die man in Tuben kaufen kann, das Material „die Farbe“ sozusagen. Wie auch immer ich vom Thema abweiche, ich vertrete weiterhin die These, die meisten Fusseln, Flusen, Mutzeln und Härchen sind eher hell und sehen auf schwarzen Kleidungsstücken unvorteilhaft aus. Als hätte ich mich auf einem neuen Flokati-Teppich herumgesuhlt. Mache ich selten.

Die Fusselspuren auf mir stammen jedenfalls von flauschigen Pullovern, die ich auch gerne trage, und jetzt habe ich auch noch einen bombastisch weichen Schal mit dreadlockähnlichen Fransen. Dieser Schal wird mindestens noch zwei Jahre an Haarausfall leiden und mit ihm ich. Natürlich habe ich zu Hause einen Fusselentferner, so eine Kleberolle. In jeden guten Haushalt gehört eine Fusselrolle und ein Klostein und ein Zollstock. Und eine Katze, aber das ist meine persönliche Ansicht. Ich mag es, wenn in der unteren Ebene der Wohnung auch was passiert, außer Schuhe.

Bevor ich losgehe, entmutzel ich mich auf jeden Fall oft mit dieser Fusselrolle, aber dann ziehe ich im Café meinen bombastischen Schal aus und den weichen Kuschelpullover und sehe wieder aus wie in einer Wohnungsecke paniert. Ich putze an mir herum, und in dem milden warmen Herbstlicht kann ich die Flusen durch das Café schweben sehen, heimatlos und verwirrt, und dann plötzlich haben sie wieder ein Ziel vor Augen, frei zitiert nach einem vorwurfsvoll klingenden DDR-Lied „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“, so wie „Du spinnst ja!“.

Mein Gott, ich verfussel mich aber heute im Palavern: Die Fusseln jedenfalls kehren von meiner elektrischen Aufladung angezogen langsam zu mir zurück. Bumerangmutzeln.

Bin denn in Wahrheit ich die Fusselrolle und sammel alle Fusseln ein? Das ändert mein Selbstbild. Dafür bin ich auf der Welt? Um mein Selbstbild wieder gerade zu rücken, versuche ich mich zu entscheiden, entweder Schwarz oder Flauschig zu tragen. Und schwarz und flauschig vor allem getrennt voneinander zu waschen, denn da nimmt das Problem erst gigantische Formen an. Übertreiben macht ja anschaulich und so weiter … Ich rede ja immerhin von einem popligen Wohlstandsproblem.

Wie wäre es mit einem Kompromiss, wenn ich mich nicht für flauschig oder schwarz entscheiden will? Schwarze flauschige Kleidung? So wie meine Katze. Leider ist meine Katze sehr alt und bekommt inzwischen graue Haare. Da kommen wieder ganz neue Mutzeln auf mich zugeschwebt. Katze rasieren? Gar nichts mehr tragen? Eieiei, sind das Fusseln im Weltgeschehen.

Fragen zu Kleidern? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSALE

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