: Wo das freie Wort gefährlich ist
SYRIEN II Das Regime nimmt in Damaskus prominente Aktivisten fest, darunter die Bloggerin Razan al-Ghazzawi und den Menschenrechtler Mazen Darwish
AUS BEIRUT SEIF AL-SCHISCHAKLI
„Ich kann keine Nachrichten mehr sehen, heute werde ich mir einen Film anschauen. Auf meinem Bett, im Dunkeln, nur ich und der Film.“ So lautet der letzte Eintrag, den die syrische Menschenrechtlerin und Bloggerin Razan al-Ghazzawi alias Red Razan auf Twitter hinterließ, bevor sie verhaftet wurde. Sie war müde, von all der Gewalt in ihrem Land zu hören und zu berichten.
Auf www.razanghazzawi.com, – ihrem Blog – und weiteren Websites schrieb die 31-Jährige offen über die Menschenrechtsverletzungen des Regimes seit Beginn der Aufstände vor rund einem Jahr. Sie begann bereits 2009 zu bloggen und nahm als gebürtige US-Bürgerin kein Blatt vor den Mund. Sie galt als Ikone der Cyberrevolution. Die syrische Polizei nahm sie am Donnerstag zusammen mit 13 weiteren Menschenrechtsaktivisten in Damaskus fest, unter ihnen Mazen Darwish, der 37-jährige Gründer des Syrischen Zentrums für Medien und des Rechts auf freie Meinungsäußerung (SCM).
Al-Ghazzawi war bereits Anfang Dezember für rund zwei Wochen verhaftet worden, was eine Solidaritätswelle im Internet auslöste. Sie wurde von offizieller Stelle beschuldigt, „sektiererische Spaltung“ vorangetrieben und eine Organisation gegründet zu haben, „die den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Einheit des Staates“ wolle und „das Nationalgefühl schwächen sollte“. Ihr Verbrechen war, dass sie aus dem ganzen Land Informationen zusammentrug, in einen Zusammenhang stellte und auf Websites und Twitter verbreitete. Mazen Darwish war Anfang 2000 in Erscheinung getreten, als er zusammen mit anderen Aktivisten die Komitees für die Verteidigung von demokratischer Freiheit und Menschenrechten gründete, bevor er 2004 das SCM ins Leben rief. Das SCM war die erste syrische Nichtregierungsorganisation, die sich explizit um das freie Wort in der syrischen Öffentlichkeit bemühte. Seitdem ist Darwish wiederholt festgenommen und misshandelt worden, sein Institut wurde 2009 offiziell geschlossen. Bis zur Festnahme am Donnerstag arbeiteten die Aktivisten in Damaskus in der Menschenrechtsszene in Damaskus, die Darwish aufbaute und maßgeblich prägte.
Er organisierte Sit-ins vor dem Parlament, um auf politische Gefangene aufmerksam zu machen, und sprach lange vor Beginn der Aufstände mit der internationalen Presse über Menschenrechtsverletzungen des Regimes. Er gilt er als vertrauenswürdige Quelle für viele internationale Medien. Darwish wurde, wie so viele Oppositionelle, mit einer Ausreisesperre belegt und konnte das Land seit 2007 nicht verlassen. Darwish und Ghazzawi waren führend daran beteiligt, eine Zivilgesellschaft in Syrien aufzubauen, in der niemand wegen seiner Meinung um seine Sicherheit fürchten muss.