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Ukraine vor Trump-Gipfel in FloridaSelenskyj bereit zu Referendum über möglichen Friedensplan

Der ukrainische Präsident Selenskyj und US-Präsident Trump verhandeln in Florida über einen 20-Punkte-Plan. Darüber abstimmen sollen später auch die Ukrainer.

Ukraines Präsident Selenskyj beim Zwischenstop in Kanada auf dem Weg zu Präsident Trump nach Florida Foto: Riley Smith/Zuma Press/imago

Vor dem mit Spannung erwarteten Treffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Donald Trump, werden in der Ukraine Pläne für ein Referendum und für Wahlen konkreter. Selenskyj, der sich vor dem Gipfel mit europäischen und kanadischen Partnern abgesprochen hatte, will mit Präsident Trump die 20 Punkte für einen von den USA angestoßenen Friedensplan besprechen.

Über diesen möglichen Friedensplan sollen anschließend laut Selenskyj auch die Ukrainer abstimmen. Das Referendum solle gleichzeitig mit möglichen Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden. Für diese beiden Voten, so der Vorsitzende der Regierungsfraktion „Diener des Volkes“, Dawyd Arachamija, benötige man insgesamt 90 Tage: 30 Tage für die Einleitung der Wahlen durch den Gesetzgeber und 60 Tage für Meinungsbildung und Wahl. Derzeit sind Wahlen in der Ukraine aufgrund des seit Februar 2022 geltenden Kriegsrechts verfassungsrechtlich untersagt.

Parlamentswahlen stehen für Arachamija dagegen noch nicht an. Präsidentschaftswahlen hätten weniger Kandidaten und seien deswegen leichter durchzuführen, zitiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen suspilne.media den Politiker. Ob die Voten umsetzbar sind, hänge aber davon ab, ob es Sicherheitsgarantien für einen geordneten Ablauf gebe, erklärte Präsident Selenskyj und fügte hinzu, das Referendum gehe auf eine US-amerikanische Initiative zurück. Es sei nur denkbar, wenn Russland einem mindestens 60-tägigen Waffenstillstand zustimme. Anhaltender Raketenbeschuss bei der Abstimmung würde für eine geringere Wahlbeteiligung sorgen, was Zweifel an der Legitimität aufkommen lassen könnte.

Zweifel an der Umsetzbarkeit

Manch einer in der Ukraine wundert sich, dass erst im siebten Jahr von Selenskyjs Präsidentschaft ernsthaft über die Durchführung eines Referendums nachgedacht wird. Schließlich hatte das Team um Selenskyj 2019 kurz nach dessen Wahlsieg groß angekündigt, unter seiner Präsidentschaft aktiv Elemente einer direkten Demokratie einzusetzen.

Doch es gibt Zweifel an der praktischen Umsetzbarkeit von Wahlen und dem gleichzeitigen Referendum. „Es gibt keine Wahlen“, sagt ein Fahrer in Charkiw am Taxi-Stand zur taz, „weil es nirgendwo im Krieg Wahlen gibt, außer vielleicht in Israel.“ Dann fügt er hinzu: „Ich werde Selenskyj nicht noch einmal wählen. Aber ich will nicht, dass wir jetzt im Krieg Wahlen durchführen. Selenskyj soll bleiben, solange wir Krieg haben, und dann soll er gehen.“

Er fragt sich, wie die Wahlen praktisch aussehen sollen. „Die in den besetzten Gebieten können nicht wählen, die an der Front auch nicht unbedingt, die in Russland leben, sowieso nicht, und ob man in Westeuropa wird wählen können, wird sich zeigen. Und nach solchen Wahlen kann Putin wirklich sagen, der Präsident ist nicht legitim.“ Auch von online durchgeführten Wahlen hält er nichts.

Zweifel hat auch Olha Ajwasowska vom Wahlbeobachternetzwerks OPORA und langjährige unabhängige Wahlbeobachterin in der Ukraine. Sie sieht derzeit keine realistische Möglichkeit für ein nationales Referendum. Der Zustand des staatlichen Wählerregisters, die massive Binnenflucht sowie mehrere Millionen Ukrainer im Ausland machten es unmöglich, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent zu erreichen. Auch die Zeitpläne von 30 Tagen für die Gesetzgebung und 60 Tagen für den Wahlkampf seien unrealistisch, zitiert Interfax Ajwasowska.

Korruptionsermittlungen gegen Parlamentarier

Während sich Präsident Selenskyj auf den Weg in die USA machte, tauchten in Kyjiw Beamte des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) in Büros von Abgeordneten der Regierungsfraktion „Diener des Volkes“ auf. Im Zentrum der Ermittlungen stehen die Abgeordneten Jewhen Piwowarow, Olha Sawtschenko, Ihor Nehulewskyj und Jurij Kissel. Es geht um mutmaßliche Bestechungszahlungen für Abstimmungen im Parlament.

Russland setzte unterdessen seine Angriffe fort und drohte mit einer Fortsetzung des Krieges. In der Nacht auf Samstag waren in der ukrainischen Hauptstadt Wohnhäuser, neunstöckige, zehnstöckige und ein Hochhaus mit 24 Stockwerken angegriffen worden. Getroffen wurde auch zivile Infrastruktur, ein Straßenbahndepot und Energieanlagen. In sieben Stadtbezirken kam es zu Bränden und Zerstörungen.

Bürgermeister Vitali Klitschko berichtet von 28 Verletzten in der Stadt, von denen 13 stationär behandelt werden müssen. Auch zwei Kinder sind unter den Verletzten, mindestens ein Mensch wurde bei den Angriffen getötet. Auch Autos, private Gebäude und Werkstätten brannten. Duch die Angriffe kam es zu massiven Ausfällen in der Energieversorgung. So berichtet die Kyjiwer Stadtverwaltung von über 4.000 Wohnhäusern, 187 Kindergärten, 138 Schulen und 22 sozialen Einrichtungen, in denen am Samstag die Heizung ausgefallen ist. Nach den jüngsten Luftangriffen haben die meisten Wohnungen in Kyjiw nur noch zwölf Stunden Strom am Tag.

Auch im russischen Gebiet Belgorod wurde am Sonntagmorgen ein Zivilist durch den Angriff einer FPV-Drohne verletzt. Der Mann musste mit Splitterverletzungen in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht werden, berichtet Wjatscheslaw Gladkow, Gouverneur des Gebietes Belgorod, auf Telegram.

Wie sehr sich die Menschen in der Ukraine Frieden wünschen, machte eine Bewohnerin von Odessa deutlich. „Ich habe jeden Tag Geburtstag“, schreibt die 35-jährige Verkäuferin Katarina der taz über einen Messenger. „Jeder neue Tag ist für mich ein Geschenk. Jeden Morgen freue ich mich, dass ich noch lebe.“ Doch so schnell wird ein Frieden wohl nicht kommen.

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