Zerstörte Infrastruktur in der Ukraine: Das elektrische Herz
Russische Drohnen haben in Odessa ein Umspannwerk zerstört, 130.000 waren ohne Strom. Was es bedeutet, im Krieg die Infrastruktur am Laufen zu halten.
Es ist ein grauer und bedeckter Montagmorgen in Odessa. Der Lehmboden auf dem Gelände der Energieversorgungsanlage ist rutschig. Behelmte Fachleute löten, schweißen, eine Hebebühne hebt einen Bauarbeiter in 15 Meter Höhe. Auf den ersten Blick wirkt alles wie eine gewöhnliche Baustelle, doch der Eindruck täuscht: Mitten auf dem Platz steht ein großes verkohltes eisernes Anlagenteil. „Das ist der Transformator“, erklärt Dmytro Hryhoriev, Generaldirektor von DTEK Odesa Grids. „Was aussieht wie eine chaotische Baustelle, war noch bis vor Kurzem eine funktionierende Umspannstation.“
Dmytro Hryhoriev ist der Chef von „DTEK Odesa Grids“, einem großen Unternehmen der Energiebranche. 3.500 Mitarbeiter zählt das Unternehmen. 996.000 Privatkunden und 34.000 juristische Personen im Gebiet Odessa beliefert das Unternehmen mit Strom.
Die Einnahmen kommen vom Stromversorger, dem regionalen Energieunternehmen Odessa. DTEK Odesa Grids selbst produziert keinen Strom, es ist auch nicht für den Verkauf zuständig. Die Hauptaufgabe des Unternehmens ist es, Strom aus den Hochspannungsnetzen des nationalen Energieversorgers Ukrenergo direkt zu den Haushalten der Privatkunden sowie zu Einrichtungen der kritischen Infrastruktur wie Krankenhäusern, Heizkraftwerken, Wasserversorgungsunternehmen und so weiter zu transportieren. Zuständig ist man für Masten, Drähte, Isolatoren, eben das ganze „Eisen“, das man für eine reibungslose Übertragung von Strom braucht.
„Eine Transformatorstation lässt sich mit dem menschlichen Körper vergleichen. Der Transformator ist das Herz; die Schutzrelais sind das Gehirn; die Hochspannungsfreileitungen und unterirdisch verlegten Kabel sind die Blutgefäße; und der elektrische Strom ist das Blut. Alles muss reibungslos zusammenarbeiten, sonst kommt es zu einer Störung des gesamten Organismus“, sagt Hryhoriev.
30 Transformatoren im Gebiet Odessa
In der Nacht des 4. Dezember haben zehn russische Drohnen diese Umspannstation fast vollständig zerstört. Bis dahin hatte sie 130.000 Menschen im Gebiet Odessa mit Strom versorgt. „Zwei Tage haben wir gebraucht, um die Wohnungen über andere Leitungen wieder mit Strom zu versorgen“, sagt Hryhoriev der taz. Die Reparaturarbeiten sind in vollem Gange.
„Hier sehen Sie den ausgebrannten Transformator. Ein hochkomplexes Gerät mit einem Gewicht von 80 Tonnen. Für uns Energiefachleute ist es das Herzstück der Umspannstation. Seit dem 4. Dezember schlägt dieses Herz nicht mehr. Insgesamt haben wir im Gebiet Odessa 30 Transformatoren verloren. Sie sind alle nach dem Beschuss ausgebrannt.“
Diese Umspannstation ist nach Angaben von Hryhoriev das 19. Opfer im Bestand der Firma DTEK Odesa Grids allein in diesem Jahr. Insgesamt seien im Gebiet Odessa seit dem 24. Februar 2022 ungefähr 500 Objekte der Energieversorgung vernichtet worden, darunter auch große Umspannwerke.
In der Nähe der Umspannstation befinden sich mehrstöckige Wohnhäuser. In vielen Wohnungen wurden die Fenster durch die Druckwellen beim Einschlag der Raketen zerstört, die Zimmer waren voller Glasscherben. Die Bewohner haben nun ihre Fenster mit Folie oder Sperrholzplatten verschlossen.
Hryhoriev erzählt, dass dies eine neue Umspannstation ist, die erst 2021 in Betrieb genommen wurde. „Wenn wir nun einen neuen Transformator in diese Umspannstation setzen würden, würde das mehrere Monate dauern und Investitionen im zweistelligen Millionenbereich kosten.“ Deshalb soll der alte repariert werden. „Unseren Planungen nach dürfte es in zwei Wochen so weit sein“, sagt Hryhoriev.
Im Oktober und November habe die Energieinfrastruktur der Region Odessa erhebliche Schäden erlitten. Weit mehr als bei den feindlichen Angriffen im Februar und März 2025, so Hryhoriev.
Oftmals höre man das Argument, dass es vielleicht besser wäre, Umspannwerke unterirdisch zu bauen. Das sei jedoch nahezu unmöglich, so Hryhoriev. Energieanlagen müssen für die Wartung und Reparatur leicht zugänglich sein. Würde man diese Stationen unter der Erde bauen, würde das extrem hohe Investitionen und lange Umsetzungsfristen erfordern, was unter den Bedingungen des bestehenden Krieges ein unrealistisches Szenario sei. Der beste Schutz für Energieanlagen sei nach wie die Luftabwehr.
Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde von DTEK gelesen und etwas modifiziert. Aus Sicherheitsgründen wurden einige Stellen entfernt.
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