Regierungsbildung in den Niederlanden: Erster Schritt in Richtung neue Regierung
Einen Monat nach den Wahlen kommt Bewegung in das Koalitions-Puzzle. Drei Parteien wollen weiter verhandeln, möglich ist eine Minderheitsregierung.
Die liberal-progressive Wahlsiegerin D66, der christdemokratische CDA sowie die rechts-liberale VVD wollen gemeinsam über eine künftige niederländische Regierung verhandeln. Das machte Sybrand Buma, der in den letzten Wochen die Gespräche zwischen potenziellen Koalitionsparteien geleitet hatte, am Montag bekannt.
„Ich sehe ausreichende Unterstützung für den nächsten Schritt“ so der dem CDA angehörende aktuelle Bürgermeister von Leeuwarden. Bislang hatten D66 und Christdemokrat*innen, die beide bei den Wahlen Ende Oktober starke Gewinne verzeichneten, bekundet, zusammen regieren zu wollen.
Fraglich ist, ob sich nach dem Puzzle-Prinzip weitere Parteien anschließen werden. Die drei bisherigen kommen zusammen nur auf 66 der 150 Parlamentssitze – und damit zehn zu wenig für eine Mehrheit. Dank der stark fragmentierten Parteienspektrums – 15 Fraktionen schafften den Einzug ins Parlament – sind mindestens vier Parteien für eine Koalition nötig.
Gelingt das nicht, bleibt nur ein Ausweg: eine Minderheits-Regierung, die mit punktueller Unterstützung von Oppositionsparteien auf der Basis wechselnder Mehrheiten regiert.
„Keine logische, offensichtliche Route“
Letzte Woche gerieten die Gespräche vorübergehend in eine Krise. Eine Koalition der jetzigen drei potenziellen Partner plus der gemeinsamen Liste aus GroenLinks und der sozialdemokratischen PvdA hätte eine stabile Mehrheit und die Präferenz von Wahlsieger Rob Jetten, scheiterte jedoch am Veto der VVD. Ein Bündnis aus D66, CDA, VVD und der rechten JA21 wiederum käme nur auf 75 Sitze und wäre unattraktiv für die progressiven D66, obschon sie sich mit ihrem Wahlsieg mehr als früher im Zentrum platzierten.
Eine Formel mit sowohl Rot-Grün, die 2026 zu einer gemeinsamen Partei fusionieren würde, als auch JA21 hatte Buma letzte Woche ins Spiel gebracht, stieß damit aber auf wenig Begeisterung. Bei der Präsentation des abschließenden Berichts seiner Sondierer-Tätigkeit räumte er ein, diese sei durch „Blockaden“ erschwert worden.
Mit der Einigung von Montag ist ein Minderheits-Kabinett ein Stück wahrscheinlicher geworden. D66 bevorzugt diese Option gegenüber einer Zusammenarbeit mit JA21. Partei-Chef Jetten als künftiger Premier sagte dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender NOS, es mache keinen Sinn, „endlos den eigenen Präferenzen“ nachzuhängen. Die letzte Woche habe gezeigt, dass es „keine logische, offensichtliche Route“ gebe.
Minderheits-Regierung „riskantes Experiment“
Die Minderheits-Variante ist dies jedoch auch nicht. Jesse Klaver, Chef von GroenLinks-PvdA, ließ am Montag seiner Enttäuschung über die sich abzeichnende Entwicklung hin zu einer Minderheitsregierung freien Lauf: „Wähler*innen, die sich für Veränderung entschieden haben, sind dadurch angeschmiert“.
Er sprach von einem „riskanten Experiment“, zumal angesichts der politischen und wirtschaftlich instabilen Situation. Ein Minderheits-Kabinett brauche daher nicht auf rot-grüne Unterstützung zu hoffen. Auch an Vorab-Übereinkünften zu bestimmten Themen werde man sich nicht beteiligen.
Für Jetten, der dank seiner auf Versöhnung, Aufbruch und Positivität gerichteten Kampagne die Wahl gewann, liegt in der sich nun abzeichnenden Koalition eine weitere Gefahr: die jahrelange Zusammenarbeit von D66, CDA und VVD war in der Ära von Ex-Premier Mark Rutte der Garant für eine uninspirierte, skandal-affine und bürger*innenferne Politik, die maßgeblich zur Verdrossenheit weiter Bevölkerungsteile beitrug.
Eine Neuauflage dürfte der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV) entgegenkommen. Diese hatte bei den Wahlen zwar starke Verluste erlitten, unterlag D66 aber bei gleicher Sitzzahl nur knapp auf der Basis von weniger Stimmen. Eine Koalition mit der PVV ist für die meisten Parteien ausgeschlossen.
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