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Hilfsgüter für die OstukraineStundenlang warten an der Grenze

Immer weniger Organisationen helfen Geflüchteten in der Ostukraine, dabei steigt der Bedarf. Unterwegs mit Peter Göbel, der regelmäßig Spenden ins Kriegsgebiet bringt.

Im Hilfsgüterlager in Charkiw: Mitarbeiterinnen der Stiftung Help Window verstauen Kisten des niedersächsischen Vereins OHZ hilft Foto: Carmen Jaspersen

Aus Charkiw

Lena Hamel

Im Lager der ukrainischen Hilfsorganisation Help Window wird es hektisch, als beide Transporter des Vereins OHZ hilft aus Osterholz-Scharmbeck leergeräumt sind. Die U-Bahn funktioniert wegen der russischen Angriffe auf die Infrastruktur wieder einmal nicht. Halb Charkiw sitzt gerade im Dunkeln, sagt Olga Obiefuleh, Mitarbeiterin des Lagers in der Ostukraine. Immer wieder klingelt ihr Telefon und sie geht ran. Irgendwie müssen die Frauen, die im Lager mithelfen, nach Hause kommen.

„Das ist jetzt mein Zuhause“, sagt sie zwischen den Telefonaten. Sie zeigt ein Foto eines zerstörten Häuserblocks auf ihrem Handy. Olga Obiefuleh wuchs im Donbass auf. Als der Angriffskrieg begann, lebte sie bereits in Charkiw, ihre Mutter in der Nähe von Pokrowsk. In ihren Augen sammeln sich Tränen. Die Mitte des Gebäudes ist komplett eingefallen. Dort war ihr Kinderzimmer, bevor im August dieses Jahres eine russische Drohne einschlug.

In Charkiw verteilt Obiefuleh seit 2023 Hilfsgüter an Binnengeflüchtete. Peter Göbel, Gründer und erster Vorsitzender von OHZ hilft, ist einer von neun Partnern der Stiftung. Er und sein Team liefern seit März 2022 Lebensmittel, Hygieneartikel und weitere Sachspenden – all das, was zu den drei Überseecontainern in der Kreisstadt Osterholz-Scharmbeck gebracht wird – in die Ukraine.

Anfangs beauftragte Göbel noch Spediteure mittels einer Zentralorganisation in Hostomel, ein Vorort von Kyjiw. Seit 2023 fährt er selbst in den Osten, weil die Hilfsgüter so schneller vor Ort sind und er selbst sehen kann, dass sie dort ankommen, wo sie gebraucht werden.

Etwas Eigenes inmitten der Zerstörung

Die Menschen, die durch den knall pink gestrichenen Flur der Stiftung Help Window in das Zimmer neben dem Lager gehen, kommen aus Gebieten, in denen nun die Frontlinie des Angriffskrieges verläuft. Hier hören die Helferinnen und Helfer von Help Window zu, trocknen Tränen und reden darüber, was benötigt wird. „Jetzt haben wir nicht viele Dinge“, sagt Olga Obiefuleh. Deshalb helfen sie nur den Binnenflüchtlingen, die im letzten oder vorletzten Monat nach Charkiw kamen. An vier Tagen in der Woche empfangen sie etwa 40 Menschen.

In den vergangenen drei Monaten flüchteten immer mehr Menschen nach Charkiw. Vor etwa fünf Monaten noch, konnten die Menschen das Hab und Gut, was sie tragen konnten, mitnehmen. Inzwischen umklammern ihre Hände nur noch den Reisepass. Es sei zu gefährlich, sich mit materiellen Dingen aufzuhalten. „Sie kommen mit nichts“, sagt Olga Obiefuleh. „Wenn jemand eine Tasse in die Hand nimmt und sagt: Endlich habe ich etwas Eigenes, lässt sich das nicht mit Worten beschreiben“, sagt sie. Ein oder zwei Monate bleiben die Binnengeflüchteten in der Regel in der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Dann reisen sie in den Westen oder ins Ausland.

Auch die Einwohner von Charkiw bringen Kleidung, Decken und Bettwäsche zu Help Window, so Obiefuleh. Doch auch viele Einheimische haben ihr Zuhause verloren. Der Staat leiste zwar Hilfe für Binnenflüchtlinge, seit 2025 jedoch nur noch für bestimmte Gruppen. Und es sei sehr wenig Geld, umgerechnet etwa 40 Euro, so Olga Obiefuleh. Wie in allen Städten an der Front seien Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung, Medikamente oder Versorgungsleistungen teuer.

Peter Göbel steckt sich am Abend auf der Veranda des Hotels die nächste Zigarette an. Vor zehn Minuten ertönten die Luftalarmsirenen. „Daran kann ich mich nicht gewöhnen, das wird nie normal“, sagt er, nachdem die fünfte Shahed-Drohne im Nordosten Charkiws in ein Wohnhaus einschlägt und das Donnern wie ein Echo in den Hinterhof des Hotels, etwa acht Kilometer entfernt, hallt. „Ich möchte den Menschen helfen, muss mich hier aber nicht lange aufhalten.“

Peter Göbel (links) und Jürgen Geffken: Fahren regelmäßig Transporter mit Hilfsgütern in die Ostukraine Foto: Carmen Jaspersen

Warum er trotzdem immer wieder fahre? Sein Vater, erzählt Göbel, habe oft gesagt: Wenn du einen Menschen triffst, der Hilfe braucht, dann schau nicht weg, hilf. Es liege ihm wohl im Blut. Der Verein OHZ hilft entstand während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 als Einkaufshilfe.

Lange arbeitete Göbel etwa 70 Stunden in der Woche: der Job bei einer großen Versicherungsgruppe und das Ehrenamt. Vor kurzem wurde das zu viel, er kündigte seine Festanstellung und ist nun Privatier. Wieder ein Donnern, was das Team auf der Veranda zusammenzucken lässt. Ein Drittel der Ukrainer, die er auf seinen Fahrten kennenlernte, sei inzwischen tot – gefallen an der Front.

Ein Drittel der Ukrainer, die Peter Göbel auf seinen 24 Fahrten kennenlernte, sei inzwischen tot – gefallen an der Front.

Olga Obiefuleh konnte nicht schlafen. Nicht weit von ihrem Zuhause schlugen die insgesamt 15 Drohnen an sechs Orten ein – zeitgleich verhandelten die mächtigsten Politiker der Welt über Friedenspläne. Mindestens vier Tote, 17 Verletzte, darunter zwei Kinder, liest Göbel am Frühstückstisch bei der Tagesschau. „Das wird nicht normal, aber das ist jetzt unser Leben“, sagt Obiefuleh.

Nicht ein vorgeschlagener Friedensplan sei gut für die Ukraine, sagt sie, während sie durch Charkiw führt, vorbei an einem Kinderdenkmal, vor dem sich bunte Kuscheltiere türmen. „Wir müssen das abgeben, wir müssen dies abgeben, nichts für die Ukraine“, sagt sie, als sie vor dem Denkmal stehen bleibt und sich Stille ausbreitet. Sie wischt sich eine Wimper von der Wange. Was sie sich wünscht? Den Sieg für die Ukraine. Dass der Krieg aufhört, weil er zu grausam sei. „Wir sind müde. Wir machen uns Sorgen. Shahed-Drohnen folgen meinen Kindern“, sagt sie. Mittlerweile schaut sie nur noch in den Himmel und verfolgt die russischen Drohnen, die über ihren Kopf hinweg fliegen.

Fehlende Ressourcen

Für mehrere Tage habe es keinen Strom und kein Wasser gegeben, schreibt Olga Obiefuleh ein paar Tage später per WhatsApp. Nur alle zwei Tage wurde es für eine halbe Stunde bereitgestellt. Die U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen funktionieren nicht, weshalb es schwierig sei, zur Arbeit zu kommen.

Olga Obiefuleh, Mitarbeiterin der Stiftung Help Window: Verteilt an vier Tagen in der Woche Hilfsgüter an Binnengeflüchtete Foto: Carmen Jaspersen

Jedes Jahr gebe es weniger Organisationen, die Geflüchteten helfen, so Obiefuleh. Nur noch wenige bieten kostenlose Mahlzeiten an. Wenn ein Behinderten- oder Binnenflüchtlingsausweis fehlt, können sie aufgrund fehlender Ressourcen nicht helfen, schreibt sie. 12,7 Millionen Menschen in der Ukraine sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, so das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.

Ähnlich ergehe es Hilfsorganisationen in Deutschland: „In den letzten zwölf Monaten merke ich zunehmend, dass kleine Hilfsorganisationen sterben. „Ich bekomme sehr viele Spenden von denen, weil sie die finanziellen Mittel zum Fahren nicht mehr haben“, sagt Göbel. Die Fahrt nach Charkiw und zurück koste den Verein etwa 3.000 Euro. OHZ hilft erhält keine öffentlichen Gelder, obwohl es EU-Fördertöpfe gibt. Das sei allerdings ein bürokratischer Aufwand der sich nicht lohne, sagt Göbel. Die Tätigkeiten des Vereins finanziert Göbel durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Die kleinen Geldspenden würden immer weniger werden, Sachspenden hingegen mehr.

Es wird einem viel Ehre zuteil, wenn man das macht, was ich mache. Da wird man in den Landtag eingeladen und beklatscht. Dann gibt es eine Urkunde und eine Plakette ans Revers gesteckt. Und was hast du erreicht? Gar nichts

Peter Göbel, Gründer und erster Vorsitzender von OHZ hilft

Er ergänzt: „Es wird einem viel Ehre zuteil, wenn man das macht, was ich mache. Da wird man in den Landtag eingeladen und beklatscht. Dann gibt es eine Urkunde und eine Plakette ans Revers gesteckt. Und was hast du erreicht? Gar nichts.“ Göbel sagt, er brauche Hilfe und Unterstützung in seinem Tun. Die silberne Ehrennadel der Stadt staube in seiner Vitrine vor sich hin.

Kräftezehrende Hilfe

Alle vier bis sechs Wochen fährt Peter Göbel in das Kriegsland. Besonders der Grenzübergang koste ihn immer mehr Kraft, sagt er, als er vor einem verspiegelten Schiebefenster auf seinen Reisepass wartet. Knapp vier Stunden sind vergangen und er hat noch nicht einmal den Ausreisestempel. Danach kommt die polnische EU-Außengrenze – erfahrungsgemäß mit längerer Wartezeit. Göbels Rekord: 22 Stunden.

Anfang 2024 erzählte Göbel Iryna Tybinka, der ukrainischen Generalkonsulin, während eines Treffens im niedersächsischen Landtag davon. Zwei Monate später entstand, zumindest am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Medyka, eine Wartereihe extra für Hilfstransporte. Doch nach einem Jahr „war das Thema wieder gestorben“. Göbel kenne die Gründe dafür bis heute nicht. Und so steht das Team um OHZ hilft wie gewohnt stundenlang zwischen Lkws und privaten Pkws. Ende Januar wird er Olga Obiefuleh wieder in Charkiw besuchen und das bringen, was die Menschen vor Ort brauchen.

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