Machtkampf im BSW Sachsen-Anhalt: Kriegsstimmung unter Friedensfreunden
Nach dem Krawall in Brandenburg demoliert sich das BSW nun auch in Sachsen-Anhalt. Am Samstag soll fast der komplette Landesvorstand abgesetzt werden.
Schlimmer geht immer, lautet derzeit das Motto beim Bündnis Sahra Wagenknecht. Als würden die Verwerfungen in der BSW-Landtagsfraktion in Brandenburg nicht bundesweit genug Schlagzeilen machen, wird im benachbarten Sachsen-Anhalt gleich zum nächsten Showdown geblasen: Neun Monate vor der Landtagswahl sollen fast alle Köpfe rollen im Landesvorstand.
Ein kurzfristig für diesen Samstag anberaumter Sonderparteitag hat im Grunde nur einen Tagesordnungspunkt: die Absetzung von fünf Mitgliedern des achtköpfigen Vorstands, allesamt Kritiker:innen der beiden Landesvorsitzenden John Lucas Dittrich und Thomas Schulze. Nur Dittrich, Schulze und ein ihnen gegenüber loyaler Beisitzer sollen am Ende des Tages im Amt verbleiben. Der Rest wird neu bestimmt. Es herrscht Kriegsstimmung in der selbst ernannten Friedenspartei BSW.
„So etwas habe ich noch nicht erlebt, und ich war über 20 Jahren in der Linken und habe dort viel erlebt“, sagt Landesgeschäftsführerin Katja Wendland im Gespräch mit der taz. Auch sie steht auf der Abschussliste. Dittrich und Schulze, so ihr Vorwurf, könnten andere Meinungen nicht aushalten, erst recht keine Kritik: „Die wollen, dass wir alles, was von oben kommt, einfach abnicken. Dafür bin ich 2024 nicht ins BSW eingetreten.“
Die Auseinandersetzungen im Vorstand des aktuell rund 550 Mitglieder zählenden Landesverbands ziehen sich bereits seit Monaten hin. Schon Anfang August hätten Dittrich und Schulze der 5er-Gruppe mitgeteilt, „dass sie nicht mehr mit uns zusammenarbeiten wollen“. Die Chefs hätten dann auch gar nicht mehr zu Sitzungen eingeladen, sagt Katja Wendland.
Alles Blödsinn, sagt hingegen der erst 21-jährige Landesvorsitzende John Lucas Dittrich zur taz. Vielmehr hätten die fünf selbst angefangen, Vorstandssitzungen „unter sich abzuhalten“ und alle anderen nicht mehr zuzulassen. Was stimmt? Unklar.
Rundumschlag auf 15 Seiten
Sicher ist: Spätestens ein vor gut einem Monat von Wendland und den anderen Kritiker:innen aufgesetztes Schreiben, das auch an den BSW-Bundesvorstand ging, brachte das Fass zum Überlaufen. Es ist ein 15-seitiger Rundumschlag mit Vorwürfen gegen Dittrich und Schulze. Hierin heißt es, den BSW-Chefs fehle „eine ganze Reihe grundlegender Eigenschaften, die für jede Führungsrolle unerlässlich sind“, als da wären Verantwortungsbewusstsein, Konflikt-, Kommunikations-, Kompromiss- und eben Kritikfähigkeit.
Die Rede ist von „Clan-Denken“ und einem „Klima der Einschüchterung und Ausgrenzung“. Zugleich geht es um vermeintliches Klein-Klein wie die Anschaffung von Kugelschreibern oder Unstimmigkeiten im Bericht der Mandatsprüfungskommission beim letzten Landesparteitag im Juni. Eine Warnung seitens der Gruppe gibt es obendrauf: Man werde sie „ganz sicher nicht zum Schweigen bringen, wenn es um Wahrheit und Verantwortung geht“.
John Lucas Dittrich nennt das Schreiben „völlig wirr“, „selbstbezeichnend“ und voll „mit übelsten Beleidigungen“. Dass sich die 5er-Gruppe jetzt entrüstet zeigt und über mangelnde Kommunikation klagt, sei albern, sagt Dietrich. „Die Fünf müssen wohl noch lernen, dass eine Partei keine Selbstfindungsgruppe ist, sondern für politische Positionen gewählt wird. Mit dem Brief sagen sie am meisten über sich selbst aus.“
Auf das Schreiben folgte zwar noch ein Mediationsverfahren der verfeindeten Lager. Gebracht hat es nichts: Wenige Tage nach Abschluss des Verfahrens beantragten drei „entschlossen hinter unseren Vorsitzenden“ stehende Kreisverbände aus dem Norden und Westen des Bundeslandes den Sonderparteitag.
Umgang mit der AfD
Das sei auch richtig so, findet Parteichef John Lucas Dittrich. „Der Konflikt muss vom Tisch. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Denn besagter Schrecken drehe sich mitnichten nur um Befindlichkeiten und Kugelschreiber. „Es ist ein politischer Konflikt“, sagt Dittrich.
Weit auseinander läge man insbesondere in der Frage, wie das BSW nach der Wahl im September 2026 mit der AfD umgehen soll. Ob man sich wie in Thüringen an einer Koalition mit CDU und SPD beteiligen sollte, um eine AfD-Regierung zu verhindern, oder in die Opposition geht, egal wer regiert.
Tatsächlich sehen die Umfragen für Sachsen-Anhalt düster aus. Die AfD liegt aktuell bei 40 Prozent, weit dahinter folgt mit 26 Prozent die regierende CDU, noch weiter dahinter die Linke mit 11 Prozent. Erst dann kommen die mitregierende SPD und das BSW mit jeweils 6 Prozent. Alle anderen Parteien spielen derzeit keine Rolle. Die AfD-Frage ist also alles andere als banal.
Für den Fall, dass es das BSW überhaupt in den Landtag schafft, hält es der Landesvorsitzende Dittrich mit Sahra Wagenknecht und der BSW-Bundesspitze: „Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen, die schon einmal gemacht wurden.“ Für Koalitionen, „deren einziger gemeinsamer Nenner ist, die AfD von der Macht fernzuhalten“, stünde die Partei „nicht mehr zur Verfügung“. Und er nehme nun mal wahr, dass die 5er-Gruppe sich im MDR öffentlich für den sogenannten Thüringer Weg ausgesprochen habe.
Aussage gegen Aussage
„Das ist eine Unterstellung“, sagt Noch-Landesgeschäftsführerin Katja Wendland. Es stimme zwar, dass einer der „Rebellen“ die Beteiligung an einer Anti-AfD-Koalition in einem MDR-Interview nicht ausschließen wollte. Das sei aber dessen Einzelmeinung und legitim, so Wendland: „Wir anderen sagen deutlich: Wir können und wollen keine Koalition mit den Kriegstreiberparteien CDU und SPD.“ Die Landesvorsitzenden wüssten das genau. „Aber das passt nicht in ihre Agenda.“ Erneut steht Aussage gegen Aussage.
Klein beigeben will Wendland nicht: „Ich bin eh schon Persona non grata.“ Anfang vergangener Woche reichten vier Kreisverbände aus dem Süden und Osten – darunter der von Wendland – einen Antrag ein, um zwei Wochen nach dem Sonderparteitag bereits den nächsten Sonderparteitag durchzuführen.
Hier sollten dann alle Personalentscheidungen des vorangegangenen Parteitags rückgängig gemacht und die beiden Vorsitzenden abgewählt werden. Was zeigt, dass auch die Mitglieder der 5er-Gruppe davon ausgehen, dass sie an diesem Samstag geschasst werden. Warum zwei Wochen später auf einem nächsten Treffen andere Mehrheitsverhältnisse herrschen sollten, bleibt freilich ihr Geheimnis. Die Chancen, dass es überhaupt zu diesem Sondersonderparteitag kommt, stehen ohnehin mittelprächtig. „Das wird rechtlich momentan geprüft“, sagt Parteichef Dittrich.
Für das Bundes-BSW kommen die Machtkämpfe zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nur eine Woche nach Sonderparteitag Nummer 1 und eine Woche vor dem potenziellen Sonderparteitag Nummer 2 kommt das BSW zum Bundesparteitag zusammen, um sich ordentlich selbst zu feiern und nebenbei in Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft umzubenennen. Das Treffen findet in Magdeburg statt, der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt – ausgerechnet.
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