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Tag gegen Gewalt an FrauenVerwaltete Gewalt

Übergriffe auf Frauen nehmen zu, Frauenhäuser sind überlastet. Das Gewalthilfegesetz soll helfen, doch was hat sich seit dem Beschluss im Februar geändert?

Schutzräume wie dieser bieten Zuflucht: Doch längst nicht alle Frauen, die Hilfe benötigen, finden hier einen Platz (Archivfoto) Foto: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Aus Rathenow

Laura Verseck

Die alte Holztür öffnet sich direkt in ein Treppenhaus, der Mitte des Hauses. Von hier ist alles erreichbar: oben die Zimmer, unten die Küche, der Keller. Ständig Schritte, Stimmen, ein Baby, das weint. Es riecht nach Essen. Eine Frau steigt nach oben, eine andere kommt ihr entgegen, eine dritte wiegt ihr Kind, während sie weitergeht. Ruhe finden die Bewohnerinnen in diesem Haus selten. Ihre Zimmer teilen sie sich teils monatelang mit ihren Kindern, Bad und Küche mit Fremden. Der Schutz ist da, aber er ist eng und laut.

Ins Frauenhaus Rathenow in Brandenburg kommen Frauen, die vor gewaltvollen Beziehungen fliehen. Sie wurden kontrolliert, beleidigt, geschlagen, überwacht oder vergewaltigt. Doch nicht alle, die Hilfe suchen, können bleiben. 2024 musste Frauenhaus-Leiterin Cathrin Seeger und ihr Team 112 Frauen abweisen. Nur 21 Frauen und 23 Kinder konnten über das Jahr hinweg aufgenommen werden. Das Haus hat Platz für gerade einmal fünf Frauen und zehn Kinder. „Wir sind seit Wochen voll belegt“, sagt Seeger.

Die Zahlen aus Rathenow stehen für ein überlastetes Hilfesystem. Alle drei Minuten erlebt statistisch gesehen eine Frau in Deutschland häusliche Gewalt. 2024 registrierte das Bundeskriminalamt 171.000 Fälle von Partnerschaftsgewalt, fast 80 Prozent der Opfer waren Frauen. Laut dem Bundeslagebild sind in Deutschland im vergangenen Jahr 308 Frauen und Mädchen gewaltsam getötet worden, 191 davon durch Partner, Ex-Partner, Bekannte oder Familienmitglieder. Die Frauenhäuser sind bundesweit überfüllt. Um den Vorgaben der Istanbul-Konvention nachzukommen, fehlen in Deutschland rund 14.000 Schutzplätze. Die Istanbul-Konvention ist ein internationales Abkommen zum Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Seit 2018 verpflichtet sie Bund und Länder, Gewalt zu verhindern, Betroffene zu schützen und ausreichend Hilfsangebote vorzuhalten. Damit Frauen besser geschützt werden, müsse man „endlich ausreichend Geld in die Hand nehmen“, sagt Seeger.

Genau an dieser Überlastung soll das neue Gewalthilfegesetz ansetzen. Anfang dieses Jahres verabschiedeten SPD, Union, Grüne und die Linke kurz vor der Neuwahl des Bundestags das Gesetz. Ab 2032 sollen gewaltbetroffene Frauen damit einen Rechtsanspruch auf Hilfsangebote haben. Für die Umsetzung sind die Bundesländer verantwortlich. Mit 2,6 Milliarden Euro beteiligt sich der Bund an der Finanzierung. Mehr Schutzräume, mehr Beratung, mehr Präventionsarbeit – so die Versprechen. Ein halbes Jahr später überwiegt bei Seeger eine Mischung aus vorsichtiger Hoffnung und Skepsis. „Wir hoffen, dass wirklich umgesetzt wird, was im Gewalthilfegesetz steht“, sagt sie.

25. November – Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Hintergrund

Der Aktionstag wurde 1999 von den Vereinten Nationen eingeführt. Er erinnert an die Ermordung der Mirabal-Schwestern im Jahr 1960 in der Dominikanischen Republik, die als Symbol des Widerstands gegen patriarchale Gewalt gelten. Seither wird weltweit auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht und politisches Handeln eingefordert.

Lage in Deutschland

Mehr als 80 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Laut Bundeskriminalamt wurden 2024 rund 171.000 Fälle von Partnerschaftsgewalt registriert. Insgesamt 308 Frauen und Mädchen wurden im vergangenen Jahr getötet, 191 davon durch Partner, Ex-Partner oder Angehörige. Fachorganisationen sprechen von einem massiv überlasteten Hilfesystem. Schätzungen zufolge fehlen bundesweit etwa 14.000 Schutzplätze, um die Vorgaben der Istanbul-Konvention zu erfüllen. Ziele des Aktionstages:
Der 25. November soll gesellschaftliches Bewusstsein schaffen, politische Verantwortung einfordern und Betroffenen Mut machen, Hilfe zu suchen. Organisationen und Initiativen rufen dazu auf, Gewalt nicht als Privatsache, sondern als Menschenrechtsverletzung zu begreifen.

Hilfsangebote

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter 08000 116 016 rund um die Uhr erreichbar – anonym, kostenlos und in 18 Sprachen. Informationen finden sich unter www.hilfetelefon.de

Doch ehe Handlungen folgen können, dauert es noch. Bis 2027 müssen alle Bundesländer erstmal ermitteln, wie viele Schutz- und Beratungsangebote sowie Präventionsarbeit sie brauchen und wie sie diese finanzieren wollen. Der Bund gibt nur grobe Ziele vor, die Ausgestaltung der Analyse übernehmen die Länder selbst. Alle Bundesländer gehen die Ausgangsanalyse anders an. So beauftragen einige Länder Forschungsinstitute, andere führen die Analysen in den Ministerien selbst durch. Umfang, Methoden und Zeitpläne unterscheiden sich teils deutlich. Manche erfassen Datenpakete, führen Interviews oder Workshops durch, andere arbeiten stärker mit vorhandenen Statistiken und eigenen Fragebögen. Einige Länder hatten im Herbst die Analyse bereits gestartet, während andere noch in der Ausschreibungs- oder Planungsphase waren.

Doch schon jetzt zeigt sich, dass die Lücken groß sind: Brandenburg spricht von einem „enormen“ bundesweiten Bedarf an Ausbau. Sachsen-Anhalt verweist auf gravierende Versorgungslücken im ländlichen Raum. Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz betonen, dass es neben zusätzlichen Frauenhausplätzen vor allem mehr Beratung und sogenannte Second-Stage-Angebote braucht. Also Unterstützungsangebote für die Zeit nach dem Frauenhaus, in der Betroffene ein eigenständiges Leben aufbauen müssen.

Bisher merken wir vom Gewalthilfegesetz keine Erleichterung

Lenou Müssig, Leiterin des Berliner Frauenhauses Coucon

„In der Theorie möchte ich eigentlich keine neuen Schutzplätze“, so Seeger. „Wir wollen doch, dass die Gewalt aufhört und sie nicht nur immer weiter verwalten“. Was Seeger damit meint: In einer idealen Welt wären mehr Schutzplätze gar nicht nötig, weil Gewalt verhindert würde. Doch dafür bräuchte es mehr Prävention. Diese muss bereits frühzeitig bei Kindern ansetzen.

Im Garten des Frauenhauses steht ein Boxsack, ein Geschenk eines Fitnessstudios. Er wirkt mitgenommen; im schwarzen Kunstleder ziehen sich weiße Schlitze über die Oberfläche, das Füllmaterial schimmert durch. „Hier haben Kinder mit Messern drauf eingestochen“, erinnert sich Seeger. Nicht nur die Frauen, auch ihre Kinder bringen schwere Erfahrungen mit. Viele von ihnen hatten nie ein stabiles Zuhause, viele haben selbst Gewalt erlebt. „Wir wollen den Kreislauf durchbrechen“, sagt Seeger. Doch im Haus fehlt derzeit eine pädagogische Fachkraft, welche die traumatisierten Kinder auffängt. Stattdessen setzt sich die Gewalt manchmal fort. Seeger, seit 33 Jahren im Frauenhausbereich tätig, hat Frauen getroffen, die hier einst als Kinder Schutz suchten. Manche wissen noch genau, in welchem Zimmer sie damals schliefen. „Aber es gibt auch die Kinder, die später selbst Täter werden“, sagt sie.

Neben der Präventionsarbeit sollen nach dem neuen Gesetz auch Schutzräume und Beratungsstellen ausgebaut werden. Wie teuer und aufwendig das sein kann, zeigt der Blick nach Rathenow. Seeger hat in den vergangenen Jahren selbst an einem solchen Ausbau gearbeitet. Es ist ihr letztes großes Projekt, bevor die 66-Jährige in den Ruhestand geht. Noch in diesem Jahr soll das Frauenhaus in Rathenow umziehen. Dafür wurde ein Altbau in der Stadt mithilfe von Bundes- und Landesmitteln saniert. Der neue Standort wird barrierefrei sein, ein Aufzug erschließt erstmals die oberen Etagen. Jede Ebene erhält eine eigene Küche und ein eigenes Badezimmer. Insgesamt entstehen zehn Apartments mit 14 Zimmern. Platz für 10 Frauen und maximal 23 Kinder. Allein die Sanierung kostete eine Million Euro. Hinzu kommen Ausgaben für Möbel, Bettdecken, Geschirr und andere notwendige Utensilien. Für einen Spielplatz sammelt das Frauenhaus noch immer Spenden.

Doch selbst der Neubau wird nicht ausreichen, um die Vorgaben der Istanbul-Konvention zu erfüllen. Pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner sollte es einen Frauenhausplatz geben. Das Havelland hat rund 170.000 Menschen – eigentlich müssten also 17 Plätze vorhanden sein. „Ich schaffe aber nur zehn“, sagt Seeger. Das hat zwei Gründe: Die Zimmer im neuen Gebäude sind bereits kleiner als die bisherigen, mehr passten schlicht nicht hinein. Und das Budget reicht nicht aus, um das notwendige zusätzliche Personal einzustellen.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich auch in Berlin. „Die Mitarbeitenden sind dauerhaft unter Belastung“, sagt Lenou Müssig, Leiterin des Berliner Frauenhauses Coucon. Fachkräfte zu halten werde immer schwieriger: lange Arbeitstage, wenig Geld und die Geschichten der Frauen, die man mit nach Hause nimmt. „Bisher merken wir vom Gewalthilfegesetz keine Erleichterung“, sagt sie. Im Gegenteil: Die Analyse habe zunächst mehr Bürokratie geschaffen, auch wenn sie grundsätzlich wichtig sei.

Diese Kritik findet sich auch in der Erklärung der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Das Gesetz verschaffe Betroffenen bislang keinerlei Entlastung. Viele Häuser kämpften sogar mit Kürzungen, während die Länder Zeit in langwierige Analysen stecken. „Während Mitarbeitende an Bedarfsanalysen teilnehmen und über Kürzungen beraten, müssen sie Frauen und Kinder abweisen“, sagt ZIF-Vertreterin Esther Bierbaum. Diese Zeit fehle in der Beratung. Die ZIF fordert Bund und Länder auf, sich nicht in Verfahren zu verlieren, sondern sofort Schutzplätze und Beratungsangebote abzusichern und auszubauen.

Auch bei Müssig gibt es Zweifel, wie die Gelder des Gewalthilfegesetzes eingesetzt werden. Ein hoher Zaun schirmt das große Berliner Frauenhaus von der Straße ab, dahinter ein Garten mit einem Obstbaum. 730 Frauen suchten im vergangenen Jahr hier Schutz, nur 92 konnten aufgenommen werden. In ihrem Büro liegen die zugesagten Bundesmittel ab 2027 neben den Sparplänen des Berliner Senats für 2026. Der Vergleich macht sie wütend.

Der Berliner Haushalt sieht für 2026 Einsparungen von 2,5 Millionen Euro vor, auch im Bereich der Frauenprojekte. „Der Bereich ist ohnehin unterfinanziert“, sagt Müssig. „Selbst zwei Prozent weniger bedeuten für viele Einrichtungen, dass sie Personalstellen streichen müssen.“ Sie fürchtet, dass die Bundesmittel am Ende genutzt werden, um neue Lücken zu stopfen, statt das Hilfesystem auszubauen.

Der Senat widerspricht: Für 2027 seien 4,9 Millionen Euro vom Bund zugesagt, das übersteige die Kürzungen und ermögliche den Ausbau von Schutz- und Beratungsangeboten. Auch die SPD will die Einsparungen im Antigewaltbereich zurücknehmen. Für Lenou Müssig ist das ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend. Ohne verlässliche Finanzierung der begleitenden Projekte funktioniere auch der Ausbau von Schutzplätzen nicht.

Dass Gelder aus dem einen Topf fließen und der andere Topf dafür sinkt, kennen viele Einrichtungen bereits. „Wir haben letztens mehr finanzielle Mittel des Landes bekommen, aber das führte dazu, dass die kommunale Förderung eingekürzt wurde – so dass es sich ungefähr ausgleicht. Und die Kosten steigen.“, so ei­ne:e Frauenhaus-Mitarbeiter:in in einer internen Umfrage der Frauenhauskoordinierung. „Das Gewalthilfegesetz darf nicht als Sparmodell für Länder und Kommunen gesehen werden. Selbst eine gleichbleibende Finanzierung bedeutet aufgrund von steigenden Kosten für Miete, Gehälter und Sachkosten eine faktische Kürzung“, sagt deren Geschäftsführerin Sibylle Schreiber.

Die Mitfinanzierung des Bundes endet 2036. Bis dahin soll ein Hilfesystem entstehen, in dem alle gewaltbetroffenen Frauen Schutz finden. Die Frauenhauskoordinierung bezweifelt, dass das mit den bisherigen Mitteln möglich ist: Weder die 2,6 Milliarden Euro aus dem Gewalthilfegesetz noch die 150 Millionen Euro aus dem Sondervermögen würden reichen, um das System bedarfsgerecht auszustatten. Berechnungen des Vereins zeigen, dass jährlich über 1,6 Milliarden nötig wären, um allein die laufenden Kosten eines ausgebauten Systems zu decken. Ob der Bund nach 2036 weiterzahlt, ist offen. Das Familienministerium verweist darauf, bereits über seine verfassungsrechtliche Pflicht hinauszugehen und will die tatsächlichen Kosten vier Jahre nach Inkrafttreten prüfen.

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