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UN-Klimakonferenz enttäuschtZu wenig, zu spät

Der Klimagipfel hat ernsthafte Erfolge errungen. Aber sie werden überschattet vom Scheitern, Ausstiegspläne aus den Fossilen auf den Weg zu bringen.

Ak­ti­vis­ten sind unzufrieden mit dem Ergebnis des Gipfels – Pläne für den fossilen Ausstieg wurden nicht auf den Weg gebracht Foto: Andre Penner/AP/dpa
Jonas Waack

Aus Belém

Jonas Waack

Kolumbien wagte den Aufstand: „Wie können wir über die Minderung des Klimawandels sprechen, wenn wir nicht die Abkehr von den fossilen Brennstoffen diskutieren können?“, fragte die kolumbianische Delegierte Daniela Durán im Abschlussplenum und brachte so die Sitzung für etwa eine Stunde zum Stillstand: Wenn es zum Abschlussplenum kommt, haben üblicherweise alle Staaten Zustimmung zu den Beschlüssen signalisiert.

Duráns Intervention blieb letztlich folgenlos. Aber sie zeigte, wie frustriert viele Staaten und Be­ob­ach­te­r*in­nen nach den zweiwöchigen Verhandlungen im brasilianischen Belém waren. „Dass diese Weltklimakonferenz mit einer Einigung auseinander geht, die den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas nicht mal erwähnt und keine ausreichende Finanzierung sicherstellt, ist inakzeptabel und geht an der Realität der Klimakrise vorbei“, sagte Carla Reemtsma von Fridays For Future. Diese Einigung versage dabei, Menschen vor den immer schlimmeren Folgen der Klimakrise ernsthaft zu schützen.

„Wir haben keinen Rückschritt, aber einen Seitschritt gemacht“, sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD). Er sei „ein bisschen enttäuscht.“

Diese Enttäuschung hat mehr mit den vergangenen zwei Wochen zu tun als mit dem Ergebnis: Wäre den Staaten vor Beginn des Gipfels diese Einigung vorgelegt worden, hätten die meisten wohl ohne viel Murren unterschrieben.

Eigentlich können sich die Ergebnisse sehen lassen

Denn die brasilianische Präsidentschaft hat genauso wie zum Beispiel der deutsche Delegationsleiter Jochen Flasbarth (SPD) die Erwartungen bewusst niedrig gehalten: Die Konferenz werde ein Erfolg, „wenn von ihr das Gefühl ausgeht, dass der Rest der Welt außer den USA zusammenhält und sich zum UN-Prozess bekennt“, sagte er vor der Konferenz im taz-Interview. Dafür reichte ein Beschluss, egal wie schwach. „Wir wollten, dass der Gipfel ein Ergebnis produziert und zeigt, dass der Multilateralismus funktioniert, auch wenn es schwierig ist“, sagte Schneider zum Abschluss der Konferenz.

In vielen Bereichen kann sich der „Umsetzungsgipfel“, wie ihn die Konferenzleitung angekündigt hatte, sogar sehen lassen: Erstmals soll im Rahmen der UN-Klima-Architektur über die Folgen von Handelsmaßnahmen wie Zöllen auf den Klimaschutz gesprochen werden – das war vielen Ländern des Globalen Südens wichtig.

Außerdem wollte die Konferenzleitung die vielen internationalen freiwilligen Klimaschutzinitiativen organisieren und hat tatsächlich 117 Pläne in den verschiedensten Bereichen vergleich- und messbar gemacht: wie Landwirtschaft mit weniger Methan-Ausstoß gelingen oder die Betonproduktion klimafreundlicher werden kann zum Beispiel, jeweils mit konkreten Maßnahmen und Zielen, an denen Erfolg und Scheitern abgelesen werden kann.

Südkorea schloss sich einer Allianz von Staaten an, die aus der Kohleverstromung aussteigen wollen und Mexiko legte ein Klimaziel vor, das die Entwicklungsorganisation Oxfam einen „ehrgeizigen Sprung nach vorn“ nannte.

„Die progressivste Sprache, die wir je gesehen haben“

Der Gipfel beschloss zudem, einen Mechanismus für eine gerechte Energiewende einzurichten – einer der wenigen Beschlüsse, dem die Delegierten im Abschlussplenum applaudierten. „Das ist die erste Klima-Institution, die mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Energiewende umgehen soll“, sagte Annabella Rosemberg vom Climate Action Network.

Der Mechanismus muss noch konkret ausgestaltet werden. Aber geht es nach Rosemberg, soll er eine Beratungsstelle werden, bei der verschiedene Initiativen – Arbeiter*innen, Kommunen, Indigene – nach Unterstützung fragen können. Sie erhalten Zugang zu Erfahrung und Wissen anderer Initiativen und Länder, und Hilfe dabei, Gelder aus vorhandenen Fonds abzurufen. „Alle anderen Beschlüsse dieses Jahr bringen Beschlüsse oder Dialoge. Das hier ist etwas Echtes“, sagte Rosemberg.

Verhandlungsführer für die EU war zusammen mit seinem estnischen Kollegen Andres Sutt der Deutsche Carsten Schneider. Rosemberg findet, er habe sich bei seinem ersten Klimagipfel gut geschlagen. „Es ist ein positives Signal, dass die EU den Deal akzeptiert hat“, sagte Rosemberg. Im Block gab es Vorbehalte dagegen, noch eine Klima-Institution aufzubauen. „Sie haben etwas geschaffen, das Nord und Süd zusammenbringt.“

Die Rechte von Ar­bei­te­r*in­nen werden im Abschlusstext zur gerechten Energiewende betont, aber auch, dass indigene Völker, Migrant*innen, Menschen mit afrikanischer Abstammung, Frauen, Ältere, Kinder und behinderte Menschen miteinbezogen werden müssen. „Das ist die progressivste Sprache, die wir je in einem Klimagipfel-Beschluss gesehen haben“, sagte Rosemberg. „In einem Ozean schlechter Nachrichten gehen wir mit diesem Mechanismus wirklich zufrieden nach Hause.“

Präsident Lulas Forderung brachte alles durcheinander

Die Delegierten konnten sich auch – zähneknirschend – auf ein globales Ziel für die Klima-Anpassung einigen. Die Industrieländer versprachen, die Gelder dafür bis 2035 zu verdreifachen – was der Ausgangswert für diese Verdreifachung ist, blieb allerdings ungeklärt. „Die Beschlüsse sind enttäuschend schwach und bei Weitem nicht ausreichend, um die ärmsten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen für die Klimakrise zu wappnen“, sagte Sabine Minninger, Klima-Expertin der Entwicklungsorganisation Brot für die Welt.

Überschattet wurden diese Erfolge und Diskussionen die ganzen zwei Konferenzwochen über von der Forderung des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, Pläne für den Ausstieg aus den Fossilen und den Entwaldungsstopp auf den Weg zu bringen. Nachdem er die Idee überraschend in seiner Eröffnungsrede erwähnt hatte, gewann sie im Laufe der ersten anderthalb Wochen an Schwung: Am Dienstag der zweiten Woche versammelten sich 83 Staaten hinter der Forderung nach einem Ausstiegsplan.

„Wir bringen viele verschiedene Interessen zusammen“, sagte die Klimabotschafterin der vom Meeresspiegel-Anstieg bedrohten Marshallinseln Tina Stege. Neben den EU-Staaten waren auch zahlreiche Staaten des globalen Südens dabei, sogar die Öl-Produzenten Mexiko und Guyana. Umweltminister Schneider sprach davon, die Welt müsse sich von fossilen Brennstoffen „befreien“. Das wäre ein „sensationelles Ergebnis“ gewesen, sagte Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von der Umweltorganisation Germanwatch.

Ohne Geld keine Unterstützung

Aber 83 Staaten sind weniger als die Hälfte der 194, die für eine Konsensentscheidung nötig wären. Es fehlten die großen Öl- und Gas-Länder genauso wie andere wichtige Schwellenländer. Die 83 Verbündeten stellten weniger als zehn Prozent der globalen Produktion und des Verbrauchs von Kohle, Öl und Gas.

Die Allianz der kleinen Inselstaaten habe nicht geschlossen sprechen können, berichtete der gut vernetzte Bals – Singapur sei ausgeschert. Die Allianz der ärmsten Staaten auch nicht, weil Senegal sich quergestellt habe. „Über Nacht sind Russland, Saudi-Arabien, China und Nigeria zur Konferenzleitung gegangen und haben gesagt, sie unterstützten das nicht“, sagte Bals. „Dann wusste sie nicht mehr, wie sie einen Konsens herstellen sollen.“

Europa habe seine Rolle auf der Konferenz nicht gefunden, sagte Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace: „Durch die lange verzögerte Entscheidung zum EU-Klimaziel wurden viel zu spät fortschrittliche Allianzen aufgebaut und es fehlen zusätzliche finanzielle Mittel.“ So habe der „richtige“ Einsatz der EU für einen schnellen Ausstieg aus den Fossilen am Ende zu wenig Dynamik und keine ausreichenden Mehrheiten entwickelt.

Die Staaten des Globalen Südens haben es an den Finanzmärkten viel schwerer, an Geld zu kommen. Ihr Katastrophenschutz ist oft unterfinanziert und schlechter ausgestattet als in den Industriestaaten. Dürren und Stürme, die durch die Erderhitzung heftiger und häufiger werden, setzen ihnen noch mehr zu als den reichen Ländern des Nordens – Hurrikan Melissa richtete der Weltbank zufolge wenige Wochen vor der Klimakonferenz in Jamaika Schäden in Höhe von fast 9 Milliarden US-Dollar an, etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts des Landes.

Aber die Industrieländer wollten sich nicht auf die Forderung der verletzlichsten Staaten einlassen, bis 2030 120 Milliarden US-Dollar Anpassungsgelder zur Verfügung zu stellen. Dann von den ärmeren Ländern mehr Ambition – also auch mehr Ausgaben – beim Klimaschutz zu erwarten, ist gewagt. „Die EU und Deutschland haben eine starke Rolle bei der Klimaschutz-Ambition gespielt“, sagte Bals. „Aber die große Schwachstelle war der Finanzierungsteil.“

Schneider will „Allianzen für die neue Weltordnung“

Letztlich ist die Bewegung für den Ausstiegsplan am Geld gescheitert und daran, dass sie so spontan entstanden ist – die brasilianische Konferenzleitung hat den Gipfel anderthalb Jahre vorbereitet, aber Ausstiegspläne standen überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Auch der Plan für den Entwaldungsstopp steht nun in keinem Abschlusstext.

Konferenzpräsident André Corrêa do Lago kündigte an, dass sein Team innerhalb des kommenden Jahres die Pläne entwickeln würde, aber bindend sind sie dann für niemanden. Kolumbien präsentierte am Donnerstag stolz die „Belém-Erklärung für den Ausstieg aus den Fossilen“, der sich 23 andere Staaten anschlossen. Aber der „sensationelle Erfolg“ blieb aus.

Das zeigt auch die Stärke der Staaten mit fossilem Geschäftsmodell, die die wackelige Position der EU zu ihrem Vorteil genutzt haben. „Wir waren konfrontiert mit stark auftretenden Petro-Staaten, die jeden Fortschritt verhindern“, sagte Umweltminister Schneider.

Er hätte erwartet, von den besonders betroffenen Staaten eine lautere Stimme zu hören, sagte Schneider. „Wir müssen jetzt Allianzen organisieren für die neue Weltordnung.“

Hätten sie damit mal früher angefangen.

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1 Kommentar

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  • " Zu wenig, zu spät", sprach er mal wieder und setzte sich in seinen Urlaubsflieger.



    Es ist kein Geheimnis, dass internationale Zusammenarbeit gerade nicht groß geschrieben wird.



    Diejenigen, die diesem Trend zuwider,



    Zusammenarbeit auf internationaler Ebene pflegen, sind zu loben.



    Unser Umweltminister hat es schwer in der Koalition, Klimaschutz ist in der EU rückschrittlich, trump ist ein offizieller Leugner des Klimawandels.



    Wer kann, angesichts solcher Umstände, den großen Wurf erwartet haben?



    Manchmal muss die schlechte Zeit ausgehalten werden und sich die "Schwachen" gegenseitig unterstützen.



    Wer mit Überschriften, wie in diesem Artikel, arbeitet, hat schon verloren.



    Klimaschutz ist kein Sprint, es ist ein Marathon, der uns unser Leben lang begleiten wird.



    Ein gutes Ergebnis wäre auch nur eins auf Zeit und bis zum nächsten trump.



    Weitermachen, auch im Kleinen, Erfolge feiern und an Ihnen und zusammen wachsen. Nur so kann man/frau langfristig was erreichen.



    Die Arbeit von Tausenden schlecht zu reden, ist hingegen wenig hilfreich,!