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In Kabwe ist das Blei überall: am Straßenrand, im Sand, im Staub, im Wind. Und im Blut und in den Knochen der Kinder Foto: Rebecca Stegmann

Giftige Bleimine in SambiaDie Kinder von Kabwe

Viele Kinder in Kabwe haben hohe Bleiwerte im Blut. Denn eine lange geschlossene Mine vergiftet die Stadt bis heute – große Firmen verdienen daran.

A m Anfang war da ein Mann, der durch den Regen irrte: Eigentlich war Thomas G. Davey auf der Suche nach Kupfervorkommen. Mit seinen Helfern streifte er im Auftrag der Rhodesia Copper Company durch kniehohe Gräser und Gestrüpp, mitten in der Regenzeit. Sie verliefen sich. Und dann stolperten sie über etwas Merkwürdiges: ein karger Hügel, der aus der flachen Landschaft stach. Der Geologe kletterte hinauf. Er sah freiliegende, kristalline Strukturen: Carbonate von Blei und Zink.

Die Menschen, die in der Region lebten, hatten den Hügel „Elefantenkopf“ genannt. Davey taufte ihn Broken Hill, nach einem geologisch ähnlichen Ort, den er aus Australien kannte. Das war 1902. 123 Jahre später steht ganz in der Nähe ein Junge am Rande eines staubigen Platzes. Hinter ihm spielen Kinder. Einige sehen so alt aus wie er, vielleicht zehn oder elf Jahre. Aber Austin ist schon 16, ein Teenager. Seine Eltern haben ihn geschickt, um mit der Reporterin zu sprechen. Er erzählt, dass er so viel vergesse. Was die Lehrer sagen, was die Mutter ihn bittet zu kochen. Dass er in der Schule gemobbt werde, weil er seit Jahren die sechste Klasse wiederhole. „Ich will Pilot werden“, sagt er leise. Und dass er eben solange zur Schule gehen werde, bis er den Abschluss schaffe.

Kabwe liegt etwa 130 Kilometer nördlich von Sambias Hauptstadt Lusaka Infografik: Grafik: Planet Neun

Rings um die Broken-Hill-Mine ist eine Stadt gewachsen: Kabwe, fast 300.000 Einwohner, 130 Kilometer nördlich von Sambias Hauptstadt Lusaka gelegen. Sie sieht aus wie viele andere Städte im südlichen Afrika. Im Zentrum stehen die Menschen bei Hungry Lion an, einer Art McDonald's, am Straßenrand rösten Frauen Maniok, eine weiße Wurzel. Alles normal. Dabei ist Kabwe eine der giftigsten Städte der Welt. An wohl keinem anderen Ort der Welt haben so viele Kinder so hohe Bleiwerte im Blut.

Die Recherche wurde durch den Medienpreis „Weltbevölkerung“ der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung unterstützt. Einfluss auf Recherche, Text und Fotos hatte die DSW nicht.

Gut 90 Jahre lang, bis 1994, holten sie hier das Blei aus der Erde, erst im Auftrag der britischen Kolonialherrscher, dann für Sambias staatliches Bergbauunternehmen ZCCM. Sie schütteten einen immer größeren Abraumberg auf, den Black Mountain. Bis es sich nicht mehr lohnte, weil der Bleipreis niedrig war und das Blei, das noch in der Erde lag, schwierig zu erreichen. Die Mine schloss, lange bevor die Kinder, die heute vom Blei vergiftet werden, geboren wurden. Warum ist das Blei trotzdem in ihren Körpern?

95 Prozent der Kinder haben erhöhte Bleiwerte

Als die Mine dichtmachte, wurde nicht viel dafür getan, die Gegend zu sanieren. Der Abraum hätte abgedeckt werden müssen, der Boden in den umliegenden Vierteln umgegraben oder gepflastert. Das ist auch Jahrzehnte später nur in kleinem Umfang geschehen. 2016 erhielt Sambia ein 65-Millionen-Dollar-Darlehen von der Weltbank. Mit dem Geld wurde unter anderem in einigen kontaminierten Bereichen Pflaster verlegt.

Wenn in Kabwe der Wind weht, fliegt toxischer Staub durch die Straßen. Kinder atmen ihn ein. Das Blei verteilt sich in ihren Nieren, ihrer Leber, ihrem Gehirn.

Wenn in Kabwe der Wind weht, fliegt also toxischer Staub durch die Straßen. Kinder atmen ihn beim Spielen ein, sie essen ihn, wenn sie ihre Finger in den Mund stecken. Das Blei verteilt sich in ihren Nieren, ihrer Leber, ihrem Gehirn. Es kann sie vergesslich machen, ihre Körper am Wachsen hindern. Es lagert sich in ihren Knochen und Zähnen ein. Wenn sie einmal schwanger werden, kann es freigesetzt und an den Fötus weitergegeben werden – insbesondere, wenn die Mutter während der Schwangerschaft nicht genügend Kalzium zu sich nimmt. Kalzium hemmt die Bleibindung im Körper. Im schlimmsten Fall endet eine Bleivergiftung tödlich.

95 Prozent der Kinder in den Vierteln nahe der ehemaligen Mine haben erhöhte Blutbleiwerte. Auch wenn es keinen Grenzwert von Blei im Blut gibt, der absolut unbedenklich wäre, werden nur Kinder mit mehr als zehn Mikrogramm pro Deziliter in die Statistik aufgenommen. Bei der Hälfte der Kinder lag der Wert bei über 45 und damit in einem Bereich, in dem sie dringend medizinische Hilfe brauchen. Zum Vergleich: In Deutschland machten in diesem Jahr die Kinder aus dem Kreis Goslar Schlagzeilen, weil ihre Bleiwerte im Schnitt bei 2,3 µg/dl lagen – wohl ebenfalls eine Folge kontaminierter Böden durch den jahrzehntelangen Bergbau in der Region.

„Es gibt Kinder mit hohen Werten, die kaum Symptome zeigen, und solche, die niedrige Werte haben, aber starke Symptome.“ Doreen Phiri schlendert eine Straße im Mine Compound entlang, einem Viertel nahe des Black Mountain, neben ihr eine Kollegin und ein Freiwilliger von der Kasanda Clinic. Die staatliche Klinik liegt im Stadtteil Kasanda, einem der am stärksten vom Blei betroffenen Gegenden. Die Mitarbeiterinnen wollen nach ein paar ihrer Patienten sehen.

Die Kleinsten haben die höchsten Werte

Austin vergisst sehr viel. Der 16-Jährige will trotzdem Pilot werden und solange zur Schule gehen, bis er den Abschluss schafft Foto: Rebecca Stegmann

Da ist zum Beispiel das kleine Mädchen Joy, das unruhig auf dem Schoß der Mutter rumturnt. Doreen Phiri hat im Hinterhof des Hauses Platz genommen und eine Mappe aufgeschlagen. Jedes Kind hat eine Akte, darin stehen die Symptome, bei Joy sind es Anämie und Appetitlosigkeit. Ihre Blutwerte sind mit 98 Mikrogramm Blei pro Deziliter notiert, dann 45, dann wieder 98. Zweimal hat das Mädchen für mehrere Tage ein Medikament verabreicht bekommen, beim ersten Mal hat es geholfen, beim zweiten Mal nicht.

Diese sogenannte Chelattherapie ist erst seit einigen Jahren in Kabwe in der Breite verfügbar und kostenlos. Es wird eine Säure eingesetzt. Im Blut bindet sie sich an das Blei, zusammen werden sie im Urin ausgeschieden. Das Medikament wird in Zyklen gegeben, weil Blei nach und nach von den Knochen ins Blut freigeben wird. Die Bleibelastung im Blut sinkt durch die Behandlung, aber die durch die Bleivergiftung verursachten Schäden, wie das gebremste Wachstum, lassen sich nicht rückgängig machen. Und solange die Quelle der Bleibelastung bestehen bleibt, werden die Kinder immer wieder vergiftet.

Die Kleinsten haben im Schnitt die höchsten Werte, weil ihre Körper besonders viel Blei aufnehmen und sie ihre staubigen Finger ständig in den Mund stecken oder gar Erde essen. Joy mache das inzwischen weniger, erzählt ihre Mutter, weil sie ihr damit drohe, dass sie sonst wieder in die Klinik müsse, um Injektionen zu bekommen.

Im Rahmen des Weltbank-Projekts wurde erstmals ein Gerät angeschafft, das die Bleiwerte im Blut bestimmen kann. Zur Zeit des Besuchs der Reporterin war es allerdings seit etwa einem halben Jahr nicht in Betrieb. Wegen der regelmäßigen Stromausfälle in der ganzen Stadt, und weil man auf ein Wartungsteam aus dem Ausland warte, heißt es in der Klinik.

80 Cent für ein Kilo Blei

Zurück auf der staubigen Straße laufen die ersten Schulkinder in ihren Uniformen nach Hause, es ist früher Nachmittag. Die vergangenen Monate Trockenzeit haben das bisschen Rasen, was in manchen Vorgärten wächst, ausgedorrt. „Wird mein Kind wieder gesund werden?“, fragt eine Frau, die an ihrem Gartentor steht. Sie ist erst vor zwei Jahren in die Nachbarschaft gezogen, jetzt komme ihr Sohn in der Schule nicht mehr mit. Sie spricht einen Mix aus Bemba und Englisch, wie die meisten hier. Es wird besser werden, beruhigen sie die Frauen aus der Klinik. Einer anderen Mutter empfehlen sie, mehr Bäume zu pflanzen, die sollen den Staub abhalten. Die anderen Tipps kennt die Mutter schon längst. Etwa, dass die Kinder Milch trinken sollen. Damit das Kalzium statt des Bleis in die Knochen eingebaut werden kann. Nur habe sie sich schon lange keine Milch mehr leisten können.

Knapp einen Kilometer Luftlinie entfernt, direkt neben dem eigentlichen Minengelände, liegt eine Mondlandschaft aus kargem, steinigem Boden und Seen, in denen dunkles Wasser steht. Auch hier lagern die giftigen Rückstände des Minenbetriebs. Gut zwei Dutzend Männer hacken auf den Boden ein, tragen Säcke davon.

Bevor die Firmen kamen, verdienten viele der Ärmsten in Kabwe ihr Geld auf dem Black Mountain.

Einer von ihnen, ein schmächtiger Mann, sticht mit einer Schaufel auf den Rand des Sees ein. Auf einem Plastiksack hat er einen kleinen Haufen Steine zusammengetragen. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Schotter. Er zieht ein Stück heraus, dunkel und seltsam geformt. Es erinnert an die Bleigebilde, aus denen man früher an Silvester die Zukunft gelesen hat. „Das hier ist pures Blei“, dafür gebe es 20 Kwacha pro Kilo, umgerechnet knapp 80 Cent. Das Material verkaufe er an Zwischenhändler. In einer Woche verdiene er so bestenfalls 1.000 Kwacha, 40 Euro.

Der Mann heißt Patrick, er ist 36 Jahre alt. Mit elf habe er angefangen, in dem Abraum zu graben. Natürlich habe er Angst, krank zu werden. „Aber wir können nichts tun. Und wir sind eh schon krank.“

Die Energiewende steigert den Bleibedarf

Von der Mondlandschaft aus ist es nicht weit bis zu dem, was vom Abraumberg übrig ist. Wenn die Menschen in Kabwe vom Black Mountain erzählen, hört man ihnen noch an, wie beeindruckt sie von seiner schieren Größe waren. Riesig soll der Berg gewesen sein.

6,4 Millionen Tonnen Abraum. Gut 350.000 Tonnen davon waren Blei, etwa gleich viel Zink. Innerhalb der vergangenen drei, vier Jahre aber, seit verschiedene Firmen professionell mit Baggern und schwerem Gerät abtragen und wegtransportieren, ist der Berg zu einem langgestreckten Haufen geschrumpft. Von außen sieht man nur einen Wall hinter einem Elektrozaun.

Bevor die Firmen kamen, verdienten viele der Ärmsten in Kabwe ihr Geld wie Patrick, sie gruben direkt auf dem Black Mountain. Damals hieß es, die Mine könne nicht ordentlich saniert werden, weil das Einkommen zu vieler Menschen davon abhinge, weil der Protest in der Bevölkerung zu groß wäre. Männer und Frauen, teils mit kleinen Kindern auf dem Rücken, hackten Tunnel in den Berg, füllten Eimer und Säcke voll mit Blei und Zink und verkauften es.

Doch seit Anfang der 2020er verhindert der Elektrozaun einen direkten Zugang zur Mine. Eine Tochterfirma von Jubilee Metals, einer südafrikanischen Firma, die am London Stock Exchange gehandelt wird, hat eine Lizenz für den Abraum am Black Mountain. Laut einer Recherche von Human Rights Watch (HRW) verkauft sie ihn an chinesische Firmen sowie an eine sambische Firma mit Verbindungen zur Regierungspartei. Zink und Blei sind global begehrte Rohstoffe, die Energiewende steigert den Bedarf: Zink wird für den Bau von Windrädern gebraucht, Blei für Solarpaneele.

Auf dem Weg durch die Stadt zu den Verarbeitungsanlagen verlieren die Lkw kleine Mengen ihrer ungesicherten Ladung. Am Straßenrand wurden meterhohe Haufen von toxischem Abraum aufgeschüttet. Schilder, die vor der Gefahr warnen, gibt es keine. Der giftige Staub wird so in der Stadt verteilt.

„Das ist unglaublich riskant für die lokale Bevölkerung“, sagt Juliane Kippenberg von HRW am Telefon. Sie war schon oft in Kabwe. Zu den Aktivitäten am Black Mountain hat die NGO in diesem Jahr zwei Berichte veröffentlicht. Nicht nur habe die Regierung seit Jahrzehnten versäumt, die Gegend zu sanieren. „Sondern dazu kommt sogar noch, dass sie diesen gefährlichen Abbau von Blei und Zink sozusagen fördert, indem sie Minen- und Verarbeitungslizenzen vergibt.“ Auch das Schmelzen des Materials in den über das Stadtgebiet verteilten Verarbeitungsanlagen setzt giftige Emissionen frei. Jubilee Metals hat bisher auf Interviewanfragen der taz nicht reagiert.

Bleiklumpen auf der Staubstraße

Makululu, das ärmste Viertel Kabwes, ist ein Labyrinth aus kleinen, oft unverputzten Häusern, in deren Türöffnungen Tücher hängen. Vor einem der Häuser sitzen drei Frauen auf Baumstämmen und Steinen, Rose Asabi hat sie versammelt. Die Namen ihrer Kinder stehen auf einer Liste, die Asabi führt, 550 Kinder stehen darauf. Alle aus dem Viertel, bei denen deutlich zu viel Blei im Blut gemessen wurde. Manche von diesen Kindern hätten Blutbleiwerte von über 100 µg/dl, erzählt Asabi. Sie hilft und informiert die Familien in Makululu.

Ihr Sohn sei fünf, sagt Idah, die jüngste der Frauen. Wenn man ihm sage, er solle ein Glas bringen, komme er mit einem Löffel zurück. Sie glaubt, das sei mehr als kindliche Unkonzentriertheit. Auf dem Arm hält sie ein Baby, ihren zweiten Sohn. Die vier Frauen sind selbst in Makululu aufgewachsen. Auch sie hätten als Kinder Konzentrationsschwierigkeiten gehabt, Lernprobleme. „Heute wissen wir, dass es vom Blei kommt“, sagt Rose Asabi. Auch ihr Blutwert wurde 2022 gemessen. Er habe bei 78 µg/dl gelegen.

Patrick hat mit 11 angefangen, im Abraum zu graben. Für ein Kilo Blei bekommt er umgerechnet etwa 80 Cent Foto: Rebecca Stegmann

Ihr Bruder arbeite am Black Mountain, erzählt Idah, als Baggerfahrer für eine chinesische Firma. „Die Männer bringen Blei ins Haus, an ihren Stiefeln und den Arbeitsklamotten.“ Kurz darauf steht ihr Bruder neben ihr, seinen kleinen Neffen an der Hand. Gerade würden sie nicht arbeiten, weil bald die Regenzeit anfange, erzählt er, dann wird es zu matschig.

Dann geht er ein paar Schritte die Staubstraße runter und hebt einen Steinbrocken auf. „Das ist Blei“, erklärt seine Schwester, als er ihn in die Mitte der Runde auf den Boden legt. „Es ist kontaminiert.“ Straßenbaufirmen, auch die Anwohner selbst, nutzen das minderwertige Material vom Black Mountain, um Schlaglöcher zu stopfen. In ganz Kabwe wird das so gemacht, erst seit Kurzem ist es offiziell verboten. Das Bewusstsein über die Gefahr des Abraums hat sich erst im letzten Jahrzehnt durch Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung verbreitet.

Der Bruder sagt, er arbeite für einen ranghohen Regionalpolitiker. Viel mehr will er nicht verraten. Der hochwertige Abraum gehe an die chinesischen Verarbeitungsfirmen, werde geschmolzen und mit Trucks an den Hafen in Südafrika gefahren. Die Regierung müsste ihnen helfen, sagt der Mann. „Aber die Regierung ist voller Lügen! Sie kann uns nicht helfen, weil sie das Geld will.“

Die Regierung spricht nicht gern über Kabwe

Auch die Frauen sind wütend. Wenn sie über die Tipps reden, die sie in der Klinik bekommen, werden sie laut. Wie sollen sie ohne Wasser Sträucher gegen den Staub pflanzen? Seit fast einem Jahr hätten sie nur das Wasser aus einem flachen Brunnen. Von welchem Geld sollen sie ihren Kindern bessere Nahrung kaufen? Idah zeigt auf den Steinklumpen, der noch immer vor ihr auf dem Boden liegt. „Da ist Geld drin.“ Sie lachen. Wenn sie nicht mit dem Blei ihr Geld verdienen würden, hätten sie kein Essen.

Der Bürgermeister von Kabwe hat sein Büro in einem lang gezogenen Kolonialbau aus roten Backsteinen. Patrick Chishala erzählt auf die Frage, warum Kinder in Kabwe immer noch vom Blei vergiftet werden, lieber von einem anderen Ort. Es gebe da eine Stadt in den USA, er habe den Namen vergessen, die sei ähnlich mit Blei verschmutzt gewesen wie Kabwe. Auf dem toxischen Abraum seien Gras und Bäume gepflanzt worden, Gärten angelegt, Bürgersteige gepflastert. „Es ist die beste Stadt. Jetzt wollen Leute dort leben!“ Der Bürgermeister trägt eine Jogginghose zum kurzärmligen Hemd und hat in einem üppig gepolsterten Sessel Platz genommen. „Uns fehlt es an Engagement und Beständigkeit“, urteilt er.

Wenn sie nicht mit dem Blei ihr Geld verdienen würden, hätten sie kein Essen.

Chishala wohnt in Chowa, einem der am stärksten kontaminierten Viertel. Seinen Innenhof habe er gepflastert und bepflanzt. Eine seiner Töchter hatte stark erhöhte Bleiwerte, für eine andere warte auch er seit Langem auf die Ergebnisse vom Bluttest. Er war Lehrer, bevor er Politiker wurde. Die Schüler aus Kabwe würden im landesweiten Leistungsvergleich schlecht abschneiden. Er könne als Bürgermeister aber nicht viel ändern. Das Geld, etwa um die Straßen zu teeren, damit der Staub nicht mehr überall herum weht, müsste aus der Hauptstadt kommen. Und die aktuelle Regierungspartei ist nicht seine.

Die Regierung spricht nicht gern über Kabwe. Der Präsident Hakainde Hichilema wurde anfangs als Hoffnungsschimmer für Kabwe gesehen. Nun ist seine Amtszeit bald vorbei, im August wird in Sambia wieder gewählt. Das Ministerium für grüne Wirtschaft hatte 2023 verkündet, Kabwe zu einer „grünen Stadt“ machen zu wollen. Auf den „vergrabenen bleihaltigen Oberflächen“ sollten Universitäten entstehen, Siedlungen und eine Menge „grüner“ Jobs. Auf diese vage Ankündigung folgte bislang praktisch nichts. Für ein Interview stand der Minister, Mike Mposha, nicht zur Verfügung.

Wie lange ist ein Minenunternehmen verantwortlich?

Derzeit wird im südafrikanischen Johannesburg eine Klage von 140.000 Kindern und Frauen aus Kabwe verhandelt. Vertreten werden sie von einer britischen und einer südafrikanischen Kanzlei. Die Klage richtet sich gegen eine Tochterfirma von Anglo American, ein südafrikanisches Bergbauunternehmen, das zwischen 1925 und 1974 am Betrieb der Broken-Hill-Mine beteiligt war. Anglo American sieht die Verantwortung nicht bei sich, sondern bei dem privaten Rechtsnachfolger des ehemals staatlichen sambischen Unternehmen ZCCM, das die Mine bis zur Schließung 1994 führte. Im Kern geht es also auch um die Frage, wie lange ein Minenunternehmen für Umweltschäden verantwortlich gemacht werden kann.

Ende 2023 wurde die Klage abgewiesen. Sie würde einen „schwerwiegenden Präzedenzfall“ schaffen, argumentierte die Richterin in Johannesburg. Es wäre zu weitreichend, hieß es in der Urteilsbegründung, „dass ein Unternehmen auch noch ein halbes Jahrhundert nach Einstellung seiner Aktivitäten gegenüber noch nicht geborenen Generationen haftbar gemacht werden kann, wenn es anhand von zukünftigem Wissen und Standards beurteilt wird, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt waren.“ Die Kläger gingen in Berufung, Anfang November trugen sie vor dem Obersten Berufungsgericht in Südafrika ihre Argumente vor. Mit einer Entscheidung wird erst 2026 gerechnet.

Der Staub wird auch danach weiter durch Kabwe wehen.

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