Finanzminister in China: Der Rollenspieler
Finanzminister Lars Klingbeil spricht in China über schwierige Themen und sogar mit der Zivilgesellschaft. Doch eine große Frage bleibt unbeantwortet.
„Bitte jetzt mal einen warmen Applaus für den deutschen Vizekanzler! Sie sind die Stimme der Vernunft in der deutschen Chinapolitik“, lobt der Vizepräsident der Pekinger Universität, Prof. Fang Fang, den Gast. Es ist Dienstag, Lars Klingbeil, Vizekanzler und Finanzminister, ist den zweiten Tag auf Chinareise. Er sitzt in der ersten Reihe vor einer Bühne, über deren ganze Breite ein rotes Banner mit weißer Schrift seinen Auftritt ankündigt. Hinter ihm sitzen gut 100 Studierende und applaudieren höflich. Die künftige Elite des Landes.
Wer hier an der Pekinger Universität aufgenommen wird, hat sich gegen Millionen Mitbewerber:innen durchgesetzt. Klingbeil sagt, wie beeindruckt er vom Renommee der Uni sei, er freue sich, hier zu sein, und er beantwortet Fragen zum Einsatz der KI im Finanzministerium oder zur außenpolitischen Rolle Deutschlands und gibt freimütig zu, dass er wohl besser Chinesisch statt Latein in der Schule hätte lernen sollen. Und dann nach gut dreißig Minuten rückt er gerade: „Übrigens, ich bin nicht die einzige Stimme der Vernunft“, seine Reise sei eng mit dem Kanzler und mit den europäischen Partnern abgestimmt. Ha, gerade noch mal gut gegangen. Der Versuch der chinesischen Führung, die deutsche Regierung zu spalten, ist ins Leere gelaufen.
Der offizielle Grund von Klingbeils Reise ist der deutsch-chinesische Finanzdialog, ein lange geplantes Arbeitstreffen zu technischen Themen wie Refinanzierung und Panda-Bonds, das alle zwei Jahre stattfindet. Wichtig, aber nicht spektakulär. Doch seitdem der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) seinen Antrittsbesuch aus Mangel an Gesprächspartnern absagte, was einem diplomatischen Eklat gleichkam, ist Klingbeil nun der erste Minister der Merz-Regierung, der nach Peking zur Staatsführung reist.
Und sein Auftritt in Peking stand unter besonderer Beobachtung. Kann er die Wogen glätten, die Misstöne bereinigen oder schlägt er gar einen anderen, unterwürfigeren Ton an als Wadephul, der zuvor Chinas aggressives Auftreten in der Straße von Taiwan kritisiert hatte? Kann er zugeschlagene Türen öffnen oder gerät er auf dem glatten diplomatischen Parkett des chinesischen Staatsgästehauses ins Straucheln? Die Vorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, kritisiert die Chinapolitik der Bundesregierung als planlos und widersprüchlich.
Tatsächlich hat Klingbeil ziemlich viel richtig gemacht. Er hat die saubere Luft in Peking gelobt, aber auch die chinesische Stahlschwemme kritisiert, er hat China aufgefordert, Putin in der Ukraine zu stoppen, und er hat auch – gleichlautend zu Wadephul – mehrfach öffentlich erklärt, wie besorgt man über eine mögliche militärische Eskalation in Taiwan sei. Er hat die Liste abgearbeitet und jedes schwierige Thema gegenüber der chinesischen Partei- und Staatsführung angesprochen. Außer der Rente. Trotzdem ist der Erfolg seiner Reise überschaubar. Weder hat China ein einziges Zugeständnis gemacht, Putin Einhalt zu gebieten, noch zugesagt, seine marktverzerrende Subventionspolitik zu ändern, und zu Taiwan verbittet man sich sowieso jede Einmischung. Aber dass Klingbeil einen einzigen dieser Knoten durchschlagen würde, hatte wohl auch niemand erwartet.
Klingbeil hat ziemlich viel richtig gemacht
Es geht dem Finanzminister in China vor allem darum, die richtigen Signale zu senden. An die Chinesen, denen man die eine Hand ausstreckt, während man mit der anderen auf den Tisch haut. An die US-Amerikaner, die ruhig mitkriegen können, dass Deutschland und China gemeinsam Klimapolitik machen und internationale Formate wie die WTO oder die G20 stärken wollen – Foren, aus denen sich die USA zurückgezogen haben.
Und ein bisschen auch an die eigenen Leute daheim: Während sich der Kanzler daheim im Rentenstreit verzettelt und man sich fragt, ob Merz die CDU noch im Griff hat oder sie mittlerweile ihn, reist der SPD-Vizekanzler durch die Welt und sorgt dafür, dass Deutschlands Wirtschaft wieder florieren kann. Einer muss ja den Überblick behalten. Aber die Frage bleibt, welches eigentlich der richtige Umgang mit China ist, ein schwieriger, ja was eigentlich: Partner? Rivale? Wettbewerber? Die noch von der Ampel verabschiedete Chinastrategie sagt: alles gleichzeitig.
Eine Weltmacht, die mit der Armee protzt und Trump die Stirn bietet. Eine Diktatur, die das westliche Credo, dass Demokratie und Marktwirtschaft ein unschlagbares Double ist, mit einem aggressiven Staatskapitalismus infrage stellt. Ein Überwachungsstaat, der alles über seine Bürger wissen will, Minderheiten brutal unterdrückt und jeden Winkel der Gesellschaft kontrollieren will. Das bekommen auch die mitgereisten Medien und der Minister mit. Ein Journalist, der sich zu später Stunde mit Kamera auf der Straße vor dem Hotel postiert und in die Redaktion schaltet, wird fast eine Stunde von Polizisten festgehalten und befragt. Den verschiedenen Gesichtern Chinas versucht Klingbeil zu begegnen, indem er wie ein Rollenspieler jeden Tag einen anderen Hut aufsetzt.
Am Montag ist er Finanzminister, der deutschen Banken mehr Zugang zum chinesischen Markt verschafft, am Dienstag ist er SPD-Parteivorsitzender, der sich mit Xi Jinpings Chefideologen Wang Huning zum Parteiendialog in der Großen Halle des Volkes trifft und ihm ein Bild von Helmut Schmidt und Deng Xiaoping überreicht. Kleiner Wink: Lief doch mal richtig gut mit der Entspannungspolitik. Am Mittwoch ist er der Vizekanzler, der mit deutschen Unternehmen in Shanghai über den Huangpu-Fluss schippert und sich deren Wünsche notiert. Auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, der Musik- und Theaterszene, trifft er sich – allerdings sehr, sehr diskret. Details verrät er erst danach. „Es ging darum, wie offen kann hier kommuniziert werden.“
Der Hauptwunsch war aber die Unterstützung über die Goethe-Institute sicherzustellen. Arthur Tarnowski, der die Grünen-nahe Böll-Stiftung in Peking leitet, hat Verständnis für die Diskretion. Die Stiftung konzentriert sich unter anderem auf die Zusammenarbeit mit der chinesischen Zivilgesellschaft zu Klima- und Umweltschutzthemen – und damit dort, wo der Staat noch Spielräume zulässt. „Wir bewegen uns in einem eng begrenzten Raum“, sagt Tarnowski und wägt seine Worte ab wie ein Tänzer auf einem Seil. „Diese Personen müssen nicht für eine deutsche Öffentlichkeit exponiert werden.“
Dennoch findet er es wichtig, dass solche Treffen stattfinden. „Sie sind auch Signal dafür, dass wir das anerkennen und uns bei China nicht nur auf Regierungshandeln beziehen oder als monolithischen Block wahrnehmen.“ Die zurückhaltende Kommunikation des Vizekanzlers über sein Treffen mit der Kulturszene zeigt aber auch: Die Zeiten sind vorbei, in denen deutsche Politiker nach China reisten und der Parteiführung auf offener Bühne die Leviten lasen. Man brauchen keine Lehrmeister aus dem Westen, hatte der chinesische Außenminister seiner Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) vor zwei Jahren beschieden. Klingbeil sagt vor den Studierenden, er merke bei seinen Besuchen, dass Chinas Selbstbewusstsein gestiegen sei. Das ist wohl eine krasse Untertreibung. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, China die zweitgrößte. Die Nummer zwei lässt sich von der Nummer drei nichts mehr sagen. Punkt.
Auch Tarnowski nimmt diese Machtverschiebung wahr. China werde ungeduldiger gegenüber Deutschland, erwarte mehr Verständnis für die eigenen Belange. Hinter der deutschen Chinastrategie vermutete man in Peking vor allem die Grünen. „Eine Fehlwahrnehmung“, meint Tarnowski. Umso überraschter war man wohl, als Außenminister Wadephul China kritisierte. „Chinesische Analysten hatten vor der Bundestagswahl auf Merz als Wirtschaftskanzler gehofft, der deutlich mildere Töne gegenüber China anschlagen würde. Das ist nicht eingetreten.“ Tarnowski sieht ein Jahr nach dem Bruch der Ampel keinen klar erkennbaren Bruch in der deutschen Chinapolitik. Zumindest für die Germanistik-Studierenden in der Pekinger Uni ist Deutschland nach wie vor das Land der Dichter, Denker und Ingenieure.
Er studiere Germanistik, sagt ein junger Mann auf Englisch, weil er die deutschen Philosophen liebe. „Hegel. Und natürlich“ – er strahlt – „Karl Marx.“ Sie liebe Thomas Mann und habe den „Zauberberg“ gelesen, sagt eine junge Frau. „Auf Chinesisch.“ Lien, Doktorand der Wirtschaftswissenschaft, ist kritischer. Er wünsche sich mehr Selbstbewusstsein von Deutschland. „Merkel – sie war meine Lieblingspolitikerin.“ Deutschland müsse in Europa wieder Führung zeigen – bei der derzeitigen deutschen Regierung vermisse er das. Auch bei diesem – er schaut zum Banner hinter der leeren Bühne „Klingbeil.“ Der zieht zum Abschluss seiner Chinareise das Fazit: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, resilienter werden und gucken, dass das wirtschaftliche Wachstum nach Deutschland zurückkommt.“ Dann könne man auch wieder stärker gegenüber China auftreten.
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