Sipri-Bericht über den Rüstungsboom: Neues Wettrüsten, neue Gefahren
Es werden so viele Rüstungsgüter produziert wie schon lange nicht mehr. Das gab es schon einmal, gelernt wurde daraus offenbar nicht.
E s gibt noch Wachstumsbranchen in Europa. 30 Prozent Einnahmeplus aus Waffenverkäufen bei Dassault, 47 Prozent bei Rheinmetall, 53 Prozent bei Diehl – die Spitzen der französischen und deutschen Rüstungsindustrie blühen, wie ein neuer Sipri-Bericht für 2024 feststellt. Die ganz großen westlichen Rüstungsschmieden in den USA und Großbritannien wachsen langsamer, sie sind ja schon ganz groß. Es boomen aber auch die Waffenhersteller in Russland, das seine Volkswirtschaft komplett auf Kriegsökonomie umgestellt hat: 8 Prozent des russischen BIP fließen im kommenden Jahr ins Militär.
Ein neues Wettrüsten zwischen Russland und Europa ist angebrochen. Die überall kräftig steigenden Militärbudgets sind in der Wirklichkeit und in den Auftragsbüchern angekommen. Das ist nur konsequent angesichts der sehr realen Bedrohung, die von Putins Kriegsmaschine ausgeht und die in der Ukraine seit fast vier Jahren ganz unmittelbar zu spüren ist. Um diese Bedrohung einzudämmen, müsste sich Europa eigentlich schon lange viel stärker und direkter engagieren.
Denn Wettrüsten heißt: Jede Seite macht sich so stark, dass die andere keinen Angriff wagt. Frieden durch Abschreckung nannte man das in den 1970er und 1980er Jahren, und die viel gerühmte damalige Entspannungspolitik war dazu kein Gegensatz, sondern beruhte sogar darauf: Diplomatische Annäherung setzt voraus, dass man sich militärisch auf Augenhöhe und damit in Schach hält.
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Die Schattenseite des Wettrüstens war und ist der „militärisch-industrielle Komplex“, in dem korrupte Klüngel aus Politik und Unternehmen immer mehr Geld in immer neue Projekte stecken und das mit der Gefahr von außen rechtfertigen. Großprojekte im Rüstungsbereich gehen erfahrungsgemäß oft mit Korruption einher, werden nie fertig und sind immer viel teurer als angesetzt. Das kann böse enden: mit dem Zusammenbruch von Regierungen, die ihre imperialen Ambitionen nicht finanzieren können oder die fälligen Umschichtungen vom Sozialstaat in die Verteidigung politisch nicht überleben.
Das nukleare Wettrüsten des Kalten Krieges endete bekanntlich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die ihre Rüstungslast nicht mehr tragen konnte, während im Westen der Neoliberalismus mit der Umverteilung von unten nach oben obsiegte. Das konventionelle Wettrüsten der Gegenwart könnte ähnlich drastisch enden: mit dem Kollaps – diesmal ohne Sieger. Denn nirgends ist eine Strategie in Sicht, wie man Aufrüstung nicht auf Kosten der eigenen Bevölkerung betreibt. Die prächtigen Einnahmezuwächse der globalen Rüstungsindustrie, während überall sonst Krise herrscht, sind ein frühes Warnsignal.
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