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Aktivistin zu Irak nach den Wahlen„Iran hat noch immer politischen Einfluss“

Iraks Premier Sudani bemüht sich um Beziehungen mit Teheran und Washington. Der Druck aus den USA könnte steigen, sagt die Aktivistin Rend al-Rahim.

Wie frei sind Wahlen, wenn andere Staaten sie beeinflussen? Foto: Ameer Al-Mohammedawi/dpa
Julia Neumann

Interview von

Julia Neumann

taz: Frau al-Rahim, in der Region ist in den vergangenen beiden Jahren viel passiert: Genozid in Gaza, Krieg zwischen Iran und Israel, der Sturz von Syriens Ex-Diktator Baschar al-Assad und eine deutliche Schwächung der Iran-unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon. Wie prägt das die irakische Politik?

Rend al-Rahim: Iran ist militärisch und politisch stark geschwächt. Die Beziehungen zwischen den irakischen schiitischen Parteien und der Hisbollah waren einst sehr eng, was Ausbildung, Austausch von Informationen, Geld- und Waffentransfers betraf. Das ist praktisch zum Erliegen gekommen. Eine große Rolle spielen auch die Veränderungen in Syrien. Die irakischen schiitischen Parteien können nicht mehr auf Syrien zählen, das ihnen Zugang zu Waffen und Geld verschafft hat. Die schiitischen Eliten in Irak fühlen sich verwundbar. Iran schützt sie nicht mehr ausreichend.

taz: Wovor fürchten sich die schiitischen Parteien?

Rend al-Rahim: Vor den neu erstarkten sunnitischen und kurdischen Parteien. Sie fürchten den Verlust der Vormachtstellung, die sie seit dem Sturz von Ex-Diktator Saddam Hussein im Jahr 2003 innehatten. Sie sind zwar in der Bevölkerung zahlenmäßig überlegen, aber das bedeutet nicht zwangsläufig politische Vormachtstellung.

Im Interview: Rend al-Rahim

Rend al-Rahim ist eine irakische Politische Aktivistin. Nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein war sie von 2003 bis 2005 die erste irakische Botschafterin in den USA. Sie ist Non-Resident Fellow des Atlantic Council und Co-Autorin des Buchs „The Arab Shi'a: The Forgotten Muslims.“ (2020).

taz: Wie einflussreich sind schiitische Gruppen in Irak als Partner eines geschwächten Iran?

Rend al-Rahim: Sie sind immer noch sehr mächtig. Doch die schiitischen Parteien bilden ein breites Spektrum. Sie vertreten keine einheitliche Ideologie, Strategie oder Politik. Die Mitglieder der Volksmobilisierungskräfte (PMF) stehen am extremen Ende des Spektrums: Sie unterstehen offiziell der irakischen Regierung, aber ihre Milizen hören auf Befehle aus Teheran. Leider haben wir sehr viele dieser Milizen, einige von ihnen sitzen sogar im Parlament, wie Asaib Ahl al-Haqq und Kataib Hisbollah.

Dann gibt es eine Reihe politischer Gruppen mit militärischen Flügeln, mit sehr guten Beziehungen zu Iran, die aber nicht unbedingt jede Anweisung aus Teheran befolgen.

Und einige schiitische Gruppen wünschen zwar gute Beziehungen, wollen aber nicht, dass Iran den innen- oder außenpolitischen Kurs diktiert. Aber selbst die betrachten Iran als großen Bruder.

taz: Weshalb?

Sudani ist pragmatisch. Er bemüht sich um gute Beziehungen zu Iran, ohne die Beziehungen zu den USA zu gefährden.

Rend al-Rahim

Rend al-Rahim: Es bestehen lange, tief verwurzelte Verbindungen – kulturell, religiös und ideologisch. Iran hat zudem starke wirtschaftliche Interessen in Irak, vor allem Ölschmuggel. Die PMF-Kräfte haben enge Verbindungen mit iranischen Ölinteressen. Sie haben auch große Landstriche von der Regierung übernommen, die sie zusammen mit iranischen Partnern durch Infrastrukturprojekte ausbeuten. Es gibt regen legalen und illegalen Handel und Iran ist an aufstrebenden Industrien Iraks beteiligt.

taz: Der eher gegen Iran gerichtete schiitische Anführer Muqtada al-Sadr hat die Wahlen boykottiert. Im März rief er seine Milizionäre zur Entwaffnung auf. Schwindet sein Einfluss?

Rend al-Rahim: Ich glaube nicht, dass Sadrs Miliz die Waffen tatsächlich niedergelegt hat. Al-Sadr hat sich keinen Gefallen getan. Er behauptet, seine Anhänger hätten die Wahlen boykottiert. Die Wahlbeteiligung war trotzdem höher als 2021, als er die Mehrheit bekam. Das versetzt Sadr und seinen Anhängern einen schweren Schlag.

taz: Wie sieht es mit dem Einfluss der USA aus?

Rend al-Rahim: Die Beziehungen unter US-Präsident Donald Trump sind nicht die besten. Washington übt enormen Druck auf die Zentralregierung aus: wieder Öl in die kurdischen Gebiete zu exportieren, die Milizen der PMF aufzulösen und die Milizen einflussreicher schiitischer Geistlicher zu entwaffnen. Und die US-Beziehungen mit den Kurden sind deutlich enger als zuvor.

taz: Welchen Kurs fährt Irak nach den Wahlen?

Rend al-Rahim: Regierungschef Mohammed al-Sudani, der dem gemäßigten Flügel der Schiiten zugeordnet wird, hat seine Position gestärkt. Sudani ist pragmatisch. Er bemüht sich um gute Beziehungen zu Iran, ohne die Beziehungen zu den USA zu gefährden. Sollte Sudani eine zweite Amtszeit gewinnen, wird er versuchen, die Beziehungen zu Iran aufrechtzuerhalten und gleichzeitig gute Beziehungen zu Amerika anzustreben.

Als Zeichen des guten Willens hat er große US-Ölkonzerne wie Exxon und Chevron ermutigt, in den irakischen Markt einzusteigen. Wer auch immer die neue irakische Regierung führen wird, steht vor schwierigen Entscheidungen. Der Druck der USA, Israels und der Golfstaaten wird es Irak nicht erlauben, in dieser ambivalenten Position zu verharren.

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