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Digitale SouveränitätDie digitale Abhängigkeit jetzt durchbrechen

Barbara Junge

Kommentar von

Barbara Junge

Irgendwer muss irgendwo mal anfangen. Mit einer internationalen Allianz, Open Source und klaren Regeln für US-Konzerne könnte sich Europa von BigTech lösen.

Bundeskanzler Friedrich Merz (l, CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron auf dem Gipfel zur europäischen digitalen Souveränität, 18.11.2025 Foto: Ebrahim Noroozi/Pool AP/dpa

D eutschland hat seine digitale Souveränität in die Hände von Donald Trump und seiner Freunde der großen Tech-Unternehmen gelegt. In US-amerikanischen Clouds liegen gigantische 70 Prozent unserer Daten; bei der künstlichen Intelligenz sind US-Chat-Agenten hier ohne Konkurrenz; die sozialen Medien werden von US-Konzernen dominiert und vergiftet; die meisten Rechner laufen mit amerikanischer Software. Sollte Big Tech irgendwann keine Updates mehr liefern, aus politischen oder ökonomischen Gründen, weil der Präsident es so will, wäre das, als schaltete man Deutschland oder Europa mit der Fernbedienung ab. Man nennt das einen Kill Switch. Risiko: Totalausfall.

So fahrlässig es ist, sich in der neuen transatlantischen Realität wie ehedem auf die Waffen des übermächtigen Nato-Partners USA zu verlassen, so unverantwortlich ist das naiv blinde Fortschreiben der digitalen Abhängigkeit von Big Tech, hinter denen mitunter lupenreine Faschisten wie Elon Musk oder Peter Thiel stehen. Allein: Der Mut, schmerzhafte Schnitte zu ziehen, ist in Europa immer noch nicht ausreichend vorhanden. Dabei kann der Zyklus der digitalen Abhängigkeit durchbrochen werden. Dafür braucht es neben Mut natürlich Geld. Das hat die Bundesregierung, jedenfalls für Sicherheitsausgaben. Fehlt nur der Mut.

Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz diese Woche beim Gipfel zur digitalen Souveränität davon sprach, man dürfe eine Digitalabgabe für große Tech-Konzerne nicht zu stürmisch vorantreiben, dann ist das vor allem eins: verzagt. Man müsse aufpassen, so Merz, „ob das nicht Reaktionen auslöst in den USA“. Eine Politik, die Reaktionen auslösen könnte! Was für ein Maßstab! Man spürt die politische Mutlosigkeit, wenn die deutsche Regierung gerade die Milliardeninvestition von Google in ein Rechenzentrum in Hessen feiert. Wenn deutsche Behörden die Sicherheitssoftware Palantir von Peter Thiel einkaufen. Oder wenn deutsche Behörden Jahr für Jahr Milliarden an Microsoft überweisen, wo es inzwischen eine Open-Source-Entwicklung beim bundeseigenen Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) gibt, die nicht nur sicherer, sondern auch billiger wäre.

Zumindest eines haben Friedrich Merz und der französische Präsident Emmanuel Macron diese Woche mit ihrer gemeinsamen Gipfel-Einladung erreicht: Sie haben das Thema auf die Ebene der europäischen Spitzenpolitik gehoben. Dass diese sehr reale digitale Bedrohung jetzt für eine große Öffentlichkeit sichtbar geworden ist, ist ein Erfolg des Gipfels. Und mit jeder neuen Unverfrorenheit aus dem Weißen Haus, jeder Chipkrise und angesichts der rasanten Durchsetzung künstlicher Intelligenz in allen Bereichen steigt der Druck. Es bestünde die Chance, dass jetzt wirklich etwas passiert. Die gesellschaftliche Bereitschaft zum Einstieg in den Ausstieg war noch nie so groß wie heute.

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Es geht ja

Andere wie der Internationale Strafgerichtshof zeigen, wie es geht: Nachdem Microsoft das E-Mail-Konto des Chefanklägers gesperrt hatte (ein Schelm, wer an eine politische Vergeltung für den israelkritischen Kurs des Gerichts denkt), will der Gerichtshof von Microsoft zu Open Desk von ZenDiS wechseln. Schleswig-Holstein skizziert in seiner Open-Source-Strategie den Umstieg auf das Linux-Betriebssystem. Selbst beim Spitzentreffen der deutschen Sicherheit, der BKA-Tagung in Wiesbaden, war die digitale Souveränität diese Woche großes Thema. Die Sicherheitsbehörden prüfen jetzt immerhin, wie abhängig sie sich von Palantir machen wollen. Wenn sich Europa ernsthaft digital lösen wollte, müsste es deshalb vor allem genau dieses: wirklich wollen.

Und wenn Europa schon dabei ist, sich zu entfesseln, dann sollte es auch darauf verzichten, kommerzielle Software einzusetzen, bei der niemand außer den Tech-Firmen selbst weiß, was in ihrem Inneren, dem Quellcode, eigentlich geschieht. Längst gibt es internationale Open-Source-Lösungen, also Programme mit offenem Code, die gemeinsam entwickelt und verbessert werden können. Hier sollten die europäischen Staaten massiv investieren, auch dann, wenn es ein paar Jahre dauert, bis gläserne Software die gleiche Qualität erreicht wie die aus dem Silicon Valley.

Um sich ernsthaft von den Vereinigten Staaten frei zu machen, braucht Europa eine wuchtig finanzierte Open-Source-Entwicklung, eine kluge, nachhaltige Energieversorgung für Rechenzentren, eine internationale Allianz und die Entschlossenheit, den US-Konzernen klare Regeln aufzuerlegen, wenn sie weiterhin in Europa Geschäfte machen wollen. Irgendwer wird irgendwann den Zyklus der digitalen Abhängigkeit durchbrechen müssen. Der Moment dafür ist jetzt.

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Barbara Junge
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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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