piwik no script img

Traumatisierte GeflüchteteCDU und SPD wollen noch weniger psychotherapeutische Hilfe

Nur ein Bruchteil der 990.000 Geflüchteten mit Traumafolgestörungen wird in Deutschland behandelt. Jetzt wird die Förderung noch einmal halbiert.

Mit Figuren können geflüchtete Kinder bei Refugio München ihre Erfahrungen auf der Flucht nachstellen und verarbeiten (Archiv) Foto: Alexander Heinl / dpa
Eiken Bruhn

Von

Eiken Bruhn aus Bremen

Nach dem Motto „Wer wenig hat, dem kann viel genommen werden“ verfahren aktuell CDU und SPD im Deutschen Bundestag. Es geht um die psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten. Etwa 30 Prozent von ihnen litten an einer Traumafolgestörung, teilt die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (Baff) mit. Das seien 990.000 Menschen, die Vergewaltigung, Folter und den Tod von Angehörigen überlebt haben. Ein bis vier Prozent würden Hilfe im Gesundheitssystem finden, die psychosozialen Zentren – 51 sind in der Baff organisiert – könnten etwa 3,1 versorgen.

Ab 2026 werden es noch weniger. Denn anders als in den Vorjahren werden die Regierungsfraktionen die jährlich im Haushalt eingeplanten 7,1 Millionen Euro nicht aufstocken. Das befürchtet Lukas Welz, Geschäftsführer der Baff. „Wir haben sonst in den Haushaltsberatungen immer Signale bekommen, dass die Koalition mehr Geld zur Verfügung stellen wird.“ 13 Millionen Euro seien es 2025 gewesen, 2023 sogar 18 Millionen.

In diesem Jahr hingegen seien die Signale ausgeblieben, sagt Lukas Welz, es habe ihn nur ein einzelner SPD-Abgeordneter kontaktiert. Öffentlich äußert der sich nicht – es fehlt an Rückhalt in der eigenen Fraktion. Denn die weiß, dass die CDU in Zeiten des Spardrucks nicht ausgerechnet für Geflüchtete mehr Geld ausgeben wird.

Getroffen werden die Zentren sehr unterschiedlich von der Halbierung der Bundesmittel. Denn in den Bundesländern wird das Geld aus unterschiedlichen Töpfen zusammengekratzt. In Niedersachsen etwa werden die sechs Zentren überwiegend vom Land finanziert. Dennoch müssen auch sie Angebote einstellen, wenn alles so kommt wie es aussieht, sagt Armin Wühle vom Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen.

Sparen bei Kindern und Jugendlichen

Und zwar ausgerechnet für die verletzlichsten und jene, bei denen die Chancen am höchsten sind, eine Chronifizierung ihrer Erkrankung zu verhindern: Kinder und Jugendliche. An jedem Standort sei eine halbe Therapeutenstelle für Kinder und Jugendliche vorgesehen, bezahlt aus Bundesmitteln. 465 Kinder und Jugendliche hätten so im vergangenen Jahr Hilfe gefunden. „Das deckt nicht annähernd den Bedarf“, sagt Wühle. Ab 2026 blieben dann fast alle unversorgt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Noch härter kommt es in Thüringen. Dort werden ab Januar von 43 Mit­ar­bei­te­r:in­nen nur noch die Hälfte für Therapie und Beratung zur Verfügung stehen – mit weniger Stunden, rechnet die Geschäftsführerin von Refugio Thüringen, Carolin Kremer-Ebenau, vor. Wenn es gut läuft und das Geld rechtzeitig zur Verfügung steht. Der Grund: Refugio Thüringen bekommt vom Land nur 480.000 Euro, vom Bund 210.000 Euro.

Dafür gab es bisher von der EU sechs Millionen Euro über drei Jahre. Ab 2026 sind es nur noch 1,5 Millionen Euro. Im August wurde bekannt, dass diese EU-Mittel den Bundesländern nicht mehr nach Bedarf zugewiesen werden, sondern nach Steuereinnahmen und Einwohnerzahl. „Wir werden in vielen Fällen Therapien abbrechen müssen“, sagt Kremer-Ebenau, „das Rückfallrisiko ist sehr hoch“.

Dabei wäre das Geld an dieser Stelle gut investiert, sagt sie. „Nur wer psychisch gesund ist, kann die Sprache lernen und arbeiten.“ Zudem sei die stationäre Behandlung von psychisch Kranken viel teurer – die oft notwendig wird, wenn Menschen nicht ambulant behandelt werden. Und wenn es darum gehen soll, im Wahn begangene tödliche Attacken wie im Januar in Aschaffenburg zu verhindern: Dann wäre eine gute psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten womöglich zielführender als der Versuch, diese seltenen Extremfälle vorherzusagen.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare