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EZB führt Klimafaktor einWie Zentralbanker die Natur retten wollen

Klima- und Naturkrise gefährden die Wirtschaft massiv. Die Europäische Zentralbank will gegensteuern. Kann sie das – und darf sie es überhaupt?

Nicht nur schlecht für Fische: Bei zu wenig Wasser werden Lieferketten unterbrochen, fehlt Kraftwerken die Kühlung, Rhein bei Leverkusen Foto: Jochen Tack/imago

Schon im Frühjahr war der Rhein dieses Jahr oft flach, weil der Regen ausgeblieben war. Für die Wirtschaft ist solches Niedrigwasser ein Problem. Schiffe können dann weniger Ladung über den Fluss transportieren – weniger Rohstoffe wie Getreide, Chemikalien oder Kohle. Im Extremfall bedeutet das: Unternehmen schränken ihre Produktion ein.

Die Wirtschaft ist auf die Natur angewiesen, zum Beispiel eben auf Wasser im Rhein. Das beschäftigt auch die Europäische Zentralbank (EZB). Sie hat dieses Jahr ihre geldpolitische Strategie überarbeitet: Schon länger möchte sie die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Arbeit berücksichtigen, jetzt will sie zusätzlich die Naturzerstörung im Allgemeinen in den Blick nehmen. Kann die EZB dazu beitragen, die Natur zu schützen? Und ist das überhaupt ihre Aufgabe?

Ein Interesse daran hat sie auf jeden Fall. Sie beaufsichtigt die Banken im Euroraum und versucht, für ein stabiles Finanzsystem zu sorgen. Banken wiederum verleihen Geld an Unternehmen. Wenn die ökologischen Krisen des Planeten deren Geschäftsmodell bedrohen, ist das auch ein Risiko für die Banken – und deshalb wichtig für die Arbeit der EZB. Und das Risiko ist eindeutig vorhanden.

Im Jahr 2023 hat die Zentralbank eine Studie veröffentlicht, die zeigt: 72 Prozent der Unternehmen im Euroraum sind stark abhängig von mindestens einer Ökosystemdienstleistung, ziehen also einen konkreten Nutzen aus der Natur. 75 Prozent der Bankkredite gehen an genau diese Unternehmen.

EZB führt sogenannten Klimafaktor ein

Wenn Banken sich Geld bei der Zentralbank leihen, müssen sie Sicherheiten hinterlegen. Das können etwa Wertpapiere sein oder Kreditforderungen. In diesem Zusammenhang hat die EZB für 2026 einen Klimafaktor angekündigt. Das bedeutet: Für Sicherheiten aus besonders klimaschädlichen Geschäften könnten die Banken weniger Geld bekommen.

Wie hoch der Faktor ausfallen wird, weiß man noch nicht. Entsprechend ist fraglich, ob er einen großen Einfluss haben wird. Er ist aber ein Instrument, das die Zentralbank Schritt für Schritt verschärfen könnte. Und sie könnte ihn auch auf bestimmte Naturrisiken ausweiten. „Prinzipiell könnte die EZB auch wirtschaftliche Aktivitäten einbeziehen, die besonders zur Entwaldung beitragen oder zu Wasserstress“, sagt Yannis Dafermos, der den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Soas-Universität London leitet.

Noch weiter gehend könnte die EZB besonders klima- und umweltschädliche Unternehmensanleihen komplett als Sicherheiten verbieten. Und auch in ihrem eigenen Portfolio könnte die Zentralbank solche Anleihen durch die von umweltfreundlicheren Unternehmen ersetzen.

Naturzerstörung schwer bezifferbar

Doch der Umgang mit Naturzerstörung ist noch komplizierter als der mit Klimarisiken. Das hängt auch damit zusammen, dass sie schwieriger zu berechnen ist. „Für CO2 gibt es ganz klare Metriken, wie das Erwärmungspotenzial oder das CO2-Budget“, sagt Jens van ’t Klooster, der an der Universität Amsterdam unter anderem zu Zentralbanken forscht. „Andere Formen von Umweltschäden sind viel schwieriger in die Finanz- und Geldpolitik aufzunehmen.“

Deshalb untersucht die Zentralbank vor allem erst einmal: Welche Unternehmen hängen von welchen Beiträgen der Natur ab? Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Beiträge ganz oder teilweise ausfallen? Und was würde das für das Wirtschafts- und Finanzsystem bedeuten?

Eine erste Veröffentlichung zu einer neuen Analyse der EZB zeigt: Zu wenig Oberflächenwasser, also Wasser in Flüssen, Seen oder der Erdoberfläche, ist das größte Naturrisiko für die Wirtschaft im Euroraum.

„Wasser ist eine Ressource, ohne die kein industrieller Prozess auskommen kann“, sagt auch Frauke Fischer. Sie ist Biologin und hat eine Unternehmensberatung mit Schwerpunkt Biodiversität gegründet. „Und wie auf diesem Planeten Wasser vorhanden ist – in welcher Menge, an welchem Ort und in welcher Reinheit –, das entscheiden eben nicht Wasserwerke, sondern das entscheidet die Natur.“

So weit ist jetzt also auch die EZB. „Im nächsten Schritt müssen wir die wissenschaftliche Forschung in ökonomische Modelle übersetzen“, sagt Andrej Ceglar, Klimawissenschaftler an der EZB. „Modelle, die uns dabei helfen, die ökonomischen Auswirkungen von Naturzerstörung zu verstehen, zum Beispiel auf das BIP, die Inflation oder die Arbeitsproduktivität.“

Darf die EZB überhaupt zur Naturschützerin werden?

Man kann sich fragen, wieso die EZB weiter herumrechnet, während wir doch überhaupt keine Zeit mehr haben. Schon länger fordern viele NGOs und Forschende ein Vorsorgeprinzip: Auch wenn wir nicht im Detail verstehen, wie welches Unternehmen von den Leistungen der Natur abhängt, ist klar: Wenn Unternehmen weiter Kohle und Öl fördern oder intakten Regenwald abholzen, heizt das die Klima- und Naturkrise an. Und es gefährdet das Finanzsystem.

Klar ist deshalb, dass die Mandate der EZB durchaus auch mit Klima- und Naturschutz zu tun haben. Das Erste ist die Preisstabilität. Wenn Ernten ausfallen, wie es etwa Klimawandel oder Insektensterben wahrscheinlicher machen, steigen die Preise für Lebensmittel. Wer gerade Kaffee im Supermarkt kauft, zahlt zum Beispiel deutlich mehr als im letzten Jahr.

Außerdem eine wichtige Aufgabe der EZB: das Finanzsystem stabil zu halten. Und das wird durch die Folgen der Klima- und Naturkrise bedroht: Brechen Ökosysteme zusammen, kommen Unternehmen ins Straucheln, fallen Kredite aus, sind die Banken in Gefahr.

Die EZB hat auch noch ein sekundäres Mandat: Sie soll die Wirtschaftspolitik der EU unterstützen, wenn sie damit nicht der Preisstabilität schadet. Klimaschutz ist klar in der EU-Politik verankert, und die Klima- und Naturkrise hängen miteinander zusammen. Man kann also argumentieren, dass die EZB sich auch unter dem sekundären Mandat mit Naturrisiken beschäftigen sollte.

Genau diese Argumente nutzt die Zentralbank bereits, um ihre bisherigen Maßnahmen in dem Feld zu begründen. Fragt man Menschen, die sich schon lange mit der EZB beschäftigen, warum die Zentralbank angesichts der verheerenden Prognosen zu Extremwettern, Naturverlust oder Kipppunkten nicht noch viel mehr tut, bekommt man oft gleichlautende Antworten: Zen­tral­bän­ke­r:in­nen sehen das nicht als ihre Aufgabe. Obwohl es zwischen ihren Mandaten und Klima- und Naturschutz klare Verbindungen gibt, haben sie Angst, zu viel zu machen. Um einzelne Unternehmen oder Banken einzuschränken, brauchen sie eine sehr gute Datengrundlage.

Was könnte die EZB noch tun, um dabei zu helfen, die planetaren Krisen in den Griff zu bekommen? Eine andere Gruppe Forschender hat sich – gefördert unter anderem durch die Umweltorganisation WWF – mit Kipppunkten in Ökosystemen und den Gefahren für das Finanzsystem beschäftigt. Sie schlagen als weitere Maßnahme vor: Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sollten höhere Kapitalpuffer fordern, wenn Banken Geld an Unternehmen verleihen, die besonders zur Naturzerstörung beitragen. Das bedeutet, dass Banken mehr Eigenkapital vorhalten müssten – solche Kredite würden dann unattraktiver.

Obwohl er die Ansicht vertritt, Zen­tral­bän­ke­r:in­nen sollten mehr tun, sieht van ’t Klooster von der Universität Amsterdam vor allem gewählte Parteien stärker in der Pflicht. „Ich bin Demokrat und ich denke, es ist nicht gut, wenn Zentralbanken mit ihrer beschränkten Aufgabe zu weit weggehen von dem, was unsere Regierungen entscheiden“, sagt er. „Da machen wir jetzt katastrophal dumme Entscheidungen, aber daran ist die EZB nicht schuld.“ Und auch eine Sprecherin der EZB sagt: „Wir sind einer von vielen Mitwirkenden.“

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