Merz will Abschiebungen fürs Stadtbild: Mit Verlaub, Herr Bundeskanzler
Der Bundeskanzler nennt Migrant:innen ein Problem fürs Stadtbild. Was ist das? Apartheid? Rassismus? Nazi-Sprech? Es ist Grund für einen Aufschrei.
E s gibt Tage, da möchte man Joschka Fischer zitieren. Also den jungen Joschka, der „mit Verlaub“ den damaligen Bundestagspräsidenten als … bezeichnete. Aber das macht man ja nicht, man hält sich im Zaume. Auch, wenn einem das eine berühmte Zitat des Götz von Berlichingen, der schwäbische Gruß, auf der Zunge liegt.
Diese Woche war es mal wieder so weit. Und damit wären wir beim Bundeskanzler.
Doch Moment. Vorher noch was anderes. Kennen Sie dieses Gefühl, wenn ihnen die Fr…, das Antlitz eines Menschen nicht passt? Zum Beispiel, wenn einen in der Fußgängerzone ein nahezu haarloser Brillenträger auf Wahlplakaten angrient, weil er Kanzler werden möchte? Und Sie den Impuls verspüren, das Plakat herunterzureißen, nicht weil Ihnen die Brille nicht passt oder weil Sie die Frisur irritiert, sondern weil die Ideologie dieser Person Sie wütend macht?
Kennen Sie? Machen es dann aber doch nicht? Weil Sie ein wohlerzogener Humanist sind, der die Würde des Menschen achtet, selbst wenn es nur um dessen Abbild aus Pappe am Straßenrand geht? Weil das einfach nicht geht? Nicht mal als Gedanke?
Und damit wären wir wirklich beim Bundeskanzler. Denn dem ist solche dem Menschen zugewandte Zurückhaltung offenbar vollkommen fremd. „Bei der Migration sind wir sehr weit“, verkündete Friedrich Merz am Dienstag bei einer Pressekonferenz. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen“.
Mit anderen Worten. Er möchte nicht irgendein Abbild eines Menschen in die Tonne treten. Er bezeichnet Menschen mit anderer Hautfarbe als „Problem im Stadtbild“. Und nennt dies als Begründung für massive Abschiebungen.
Apartheid? Rassismus? Nazikopie?
Das ist …, das ist …, ja was ist das eigentlich? Apartheidpolitik? Will Merz die Fußgängerzonen nur noch für weiße Kartoffeln auf dem Weg zur Arbeit öffnen, am besten mit Taufschein einer christlichen Gemeinde oder Kreuz am Halskettchen? Ist das lupenreiner Rassismus? Weil Merz einen Teil unserer Mitbürger:innen wegen ihres Aussehens als ein durch Abschiebung zu lösendes Problem brandmarkt?
„Jetzt sollten sie selbst, ihre leibliche Erscheinung, aus dem Stadtbild verschwinden“, erinnerte sich der Holocaust-Überlebende Oskar Rosenfeld in seinem Tagebuch aus dem Ghetto Litzmannstadt. Eine solche, zutiefst rassistische „Stadtbildpflege“ erklärt der Bundeskanzler ganz beiläufig zum Maß seiner Politik.
Was folgt? Ein Aufschrei der Anständigen? Nein. Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, steht bei der Pressekonferenz direkt neben Merz. Er zuckt nicht mit der Wimper. Im Gegenteil. Wenn man genau hinschaut, sieht man ihn sanft nicken.
Ist Merz ein Nazi? Nein, natürlich nicht. Aber er bedient sich leichtfertig einer Sprache, die jede angeblich so stabile Brandmauer nicht nur weiter nach rechts außen verschiebt, sondern sie gleich zum Einsturz bringt.
Wem der Vergleich mit der NS-Zeit zu hoch gegriffen erscheint, dem sei gesagt: Der Nationalsozialismus war nicht erst seit dem Holocaust, der industriellen Vernichtung von Menschen verachtenswert. Er war in seiner Gänze und von Anfang an inakzeptabel, lange bevor „nur“ Menschen aus dem Stadtbild vertrieben wurden.
Das ist …, das ist zum …. „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte“, soll der Maler Max Liebermann gesagt haben, als die Nazis 1933 mit Fackeln durch das Brandenburger Tor marschierten.
Oder zitieren wir doch noch Götz von Berlichingen. Dem legte der gute Goethe als letztes Worte in den Mund: „Es kommen die Zeiten des Betrugs. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen.“ Mit anderen Worten: Die Zivilgesellschaft ist im Arsch.
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