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Bob Dylan KonzertDie Kunst der Totalverweigerung

Bob Dylan kommt für drei Konzerte nach Deutschland. Vielleicht ist es seine letzte Tour. Was ist vom Song & Dance Man zu erwarten?

Bob Dylan verschanzt sich bei Konzerten gern hinten auf der spärlich beleuchteten Bühne, hier 2011 in Shanghai Foto: Sky/Imaginechina/laif

Nächste Woche kommt Bob Dylan für drei Konzerte nach Deutschland. An sich keine große Sache, denn er bereist unser Land seit mindestens 40 Jahren sehr regelmäßig und gibt Konzerte. Und anders als bei seiner allerersten Deutschlandtour 1978 ist auch nicht mit einem Beitrag darüber in der „Tagesschau“ zur Primetime zu rechnen. Dylan ist unterwegs und die Hallen sind voll.

Für ein Konzert 2023 in Berlin hatte ich einen schönen Platz in der zweiten Reihe ergattert. Wie immer bei Dylan waren keine Handys zugelassen. Er möchte nicht fotografiert werde. Eine Frau mittleren Alters hatte den Platz vor mir und outete sich als Fanatikerin, die über die ganze Welt verteilt so viele Dylan-Konzerte wie nur möglich besuchte.

Sie war in Begleitung von zwei Männern. Auf der einen Seite ihr erwachsener Sohn, auch ein Liebhaber von Dylans Songkunst, und auf der anderen Seite ihr Ehemann, der nach ihren Worten „keine Ahnung von Dylan“ habe und nur dabei sei, weil er einfach gern verreist.

Dylan-Fans sind speziell

Wir studierten gemeinsam den Bühnenaufbau. Interpretierten, was sich seit dem letzten Konzert verändert hatte, und waren uns einig, welcher Gitarrist wo stehen würde. Dylans Piano war frontal zum Zuschauerraum positioniert. Und plötzlich traf uns die Erkenntnis, dass wir von unseren Plätzen aus Dylan womöglich überhaupt nicht sehen könnten.

Nach dem ersten Schock meinte ich: „Okay. Vielleicht sehen wir ihn heute wirklich nicht, aber wir werden seine Anwesenheit trotzdem spüren.“ Da drehte sich ihr Mann mit unendlicher Resignation zu mir um und sagte: „Ja, genauso seid ihr Dylan-Fans!“

2016 hat Bob Dylan als erster und bisher einziger Singer-Songwriter den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen. Angenommen hat er ihn, abgeholt hat er ihn nicht. Warum? Man weiß es nicht. Der damals 75-Jährige hat Patti Smith nach Stockholm geschickt, und die hat dann vor dem schwedischen König eine turbulente Version von Dylans „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ gesungen.

Nobelpreis und Oskar

Zusammen mit dem britischen Schriftsteller George Bernard Shaw ist Dylan der einzige Mensch, dem sowohl ein Nobelpreis als auch ein Oscar verliehen wurde. Bei der Oscarverleihung im Frühjahr 2001 war er zwar auch nicht vor Ort. Immerhin ließ er sich live aus Australien zuschalten (wo er auf Tour war) und spielte seinen oscarprämierten Song „Things Have Changed“ dann live per Satellitenschalte nach Hollywood und hielt im Anschluss sogar eine kurze lakonische Dankesrede.

Den Oscar holte er sich später ab und stellte ihn dann 20 Jahre lang jeden Abend neben sich mit auf die Bühne, wo ihn alle Welt gut sehen konnte.

Warum der Unterschied? Man weiß es nicht. Man weiß nur eins mit Sicherheit: Dylan wird sich nicht erklären. Der Refrain von „Things Have Changed“ (2000) geht so: „People are crazy and times are strange / I’m locked in tight, I’m out of range / I used to care / But things have changed“.

Seit Bob Dylans kometenhaftem Aufstieg Anfang der 1960er mit Songs wie „Blowin’ in the Wind“ oder „The Times, They Are a-Changin'“, seiner Unterstützung für die US-Bürgerrechtsbewegung und den Konzerten an der Seite von Joan Baez schießen Spekulationen und Gerüchte über ihn ins Kraut. Stets von ihm selbst oder seinem Manager befeuert. Niemals dementiert oder korrigiert.

„Like a Rolling Stone“

James Mangolds Biopic „A Complete Unknown“ (2024) mit Timothée Chalamet als jungem Dylan beschreibt diese Ära seines Schaffens sehr gut. Von „Song to Woody“ bis „Like a Rolling Stone“. Der Film hat gleich drei alte Dylan-Alben wieder in die Charts befördert und eine neue Generation von Hö­re­r*in­nen neugierig auf den Künstler und sein Werk gemacht.

Viele Dylan-Experten haben kritisiert, dass in „A Complete Unknown“ nicht viel den historischen Tatsachen entspricht. Das mag richtig sein, aber die Kunst ist frei. Dylans Kunst sowieso. Die erzählte Geschichte ist stimmig und sehr unterhaltsam und besonders das Casting ist erstaunlich. Edward Norton hätte als Pete Seeger auf jeden Fall einen Oscar verdient gehabt. Bob Dylan liebt den Film ganz sicher, falls er ihn gesehen hat. Erfahren werden wir das nicht.

Schon 1971 erschien die erste große Dylan-Biografie. Da war er 30 Jahre jung. Vorher waren ihm und seiner Familie Fans – auf der Suche nach „Antworten“ – buchstäblich aufs Dach seines Hauses in der Nähe von Woodstock gestiegen. Sie waren nicht davon abzubringen, dass es bei Dylan darum ging, ein universelles Rätsel zu lösen, seine Lyrics zu decodieren und ihn damit zu konfrontieren.

Flucht in die Anonymität

Daraufhin verließ er mit seiner Frau Sara und den Kindern die Künstlerenklave und flüchtete in die Anonymität, mitten nach Manhattan. Bis seine Anhänger ihn dort ausfindig machten, seinen Müll durchwühlten, ihn am Telefon belagerten und seine Kinder auf ihrem Schulweg belästigten. Da war dann Schluss mit lustig, er zog an die Westküste nach Malibu in eine Gated Community zu den anderen Stars des Showgeschäfts. Rückzug in ein riesiges Haus mit Zwiebelturm und bewachter Zufahrt.

In den letzten 62 Jahren gab es viele abrupte Karriere-Moves. Kommerzielle Abstürze und erstaunliche Comebacks. Meisterhafte Songs wie „Blind Willie McTell“ und „Red River Shore“, die aus unerfindlichen Gründen lange unveröffentlicht geblieben sind. Unerwartete Kollaborationen mit Leuten wie zum Beispiel dem Rapper Kurtis Blow, Gene Simmons, Sänger der Glamrockband Kiss oder aktuell mit Barbra Streisand.

Was bleibt, ist, dass Bob Dylan sich nie für Erwartungen interessierte

Dylans intensive Hinwendung zum Christentum Mitte der 1970er, bei der ihm auch viele der Die-Hard-Hippiefans nicht mehr folgen wollten, wird inzwischen wegen der kraftvollen und intensiven Musik, die in jener Zeit entstand, positiv bewertet, anders als es Anfang der 1980er passierte. Da waren sich die meisten der eifrig Studierenden sicher: „Jetzt ist er komplett verrückt geworden.“

Erwartungen interessieren Dylan nicht

Was bleibt, ist, dass Bob Dylan sich nie für Erwartungen interessierte. Was ihn bis heute erkennbar wirklich interessiert, ist es, seine künstlerische Kraft wieder und wieder mit größtmöglicher Disziplin auszuleben.

Das 2023 in Tulsa, Oklahoma, eröffnete Bob Dylan Center ist deshalb nicht zuallererst wegen der ausgestellten Memorabilia, wie zum Beispiel den putzigen Weihnachtskarten von John, Paul, George und Ringo an Dylan und Sara oder wegen der Briefe von Johnny Cash oder wegen der Lederjacke, die Dylan 1965 beim einschneidenden Auftritt beim Folk-Festival in Newport getragen hat (als er die Folkies mit der E-Gitarre provozierte), bemerkenswert, sondern weil das Center Dylans Kunst und den kreativen Prozess in den Mittelpunkt stellt.

Die Konzerte

Bob Dylan 2025 live: 22. 10., Hamburg, 24. 10., Lingen, 3. 11., Köln

Die seitenlangen Entwürfe zu einem Song wie „Dignity“ oder die in Miniaturhandschrift vollgeschriebenen Notizbücher zum Album „Blood on the Tracks“ sind Highlights der Dauerausstellung und großartige Zeugen des kreativen Arbeitsprozesses. Auf Deutsch ist beim Verlag Droemer Knaur „Bob Dylan – Mixing Up the Medicine“ erschienen. Das Buch zeigt auf 600 Seiten die Sammlung des Bob Dylan Centers in Tulsa.

Im vergangenen Sommer war Bob Dylan in den USA mit Willie Nelson auf gemeinsamer „Outlaw“-Tour. Dylan mit flotten 84 machte den Opener für Willie, der im April seinen 92. Geburtstag feierte. Anders als viele Kol­le­g*in­nen äußerten sich die beiden nicht direkt zu Trumps Präsidentschaft. Sie verließen sich auf die Kraft ihrer Lieder. Nelson ließ seinen Song „Living in the Promised Land“, eine Hymne auf die Menschen, die es über die Grenze von Mexiko nach Texas schaffen, vor seinem Konzert als Video einspielen und performte dann vor einer riesigen US-Flagge.

„Masters of War“

Dylan spielte als Auftaktsong jeden Abend „Masters of War“. Einen Song, den er jahrelang nicht mehr im Programm gehabt hatte und der eine, für Dylans gesamtes Werk, ungewöhnlich eindeutige Botschaft an die Masters of War bereithält: „I hope that you die and that your death will come soon.“ Ob das jetzt direkt an Trump gerichtet ist? Dylan wird sich nicht erklären.

Ansonsten gab es öfters einige genuschelte „Thank Yous“. Eine fantastische Backingband, die sich eng um Dylan versammelte, der wiederum sehr gut performte. Inklusive seines sehr schönen, kubistischen Klavierspiels. Aber viel zu sehen gab es nicht von ihm.

Verschanzt hinter seinem Klavier im hinteren Teil der spärlich beleuchteten Bühne, war es auch für die Leute auf den teuren Plätzen ratsam, die Operngläser dabei zu haben, wenn man die Gesichtszüge studieren wollte. Bei den letzten Konzerten dieser Tour wurde die Verweigerung dann noch gesteigert: Dylan erschien jeden Abend mit einer über den Kopf gezogenen Kapuze.

Ah ja, in Berlin 2023 hat er den ganzen Abend hinter dem Piano gestanden und ich konnte ihn gut sehen und es war ein sehr schönes Konzert. Für drei anstehenden Auftritte in Deutschland gibt es momentan noch Restkarten. Opernglas nicht vergessen!

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