Grünen-Parteitag in Großbritannien: „Mutige Politik“ statt Starmer und Farage
Die englischen Grünen sind im Aufwind, so wie einmal die Linken unter Corbyn. Jetzt tagen sie unter ihrem neuen jüdischen Parteichef Zack Polanski.

Bei den Wahlen 2024 holten die Grünen 6,4 Prozent und vier Direktmandate, in den vergangenen Monaten stieg die MItgliederzahl um 22.000 auf über 80.000 – mehr als die Liberaldemokraten, wie auf dem Parteitag zu großem Jubel verkündet wird. Diese Art von Aufbruchsstimmung sah man zuletzt bei Labour unter Jeremy Corbyn, und viele der Neuen waren früher in dessen Lager.
Gleich zu Beginn feuert der frischgewählte neue Parteichef Zack Polanski die Mitglieder an. Der gelernte Schauspieler kann sein Publikum mitreißen. Mit legerem Jackett und Dreitagebart spricht der 42-Jährige von Obdachlosigkeit und Wohnbedingungen, vom Schutz des Gesundheitswesens, er fordert die Wiederverstaatlichung der Wasserversorgung, bessere Busverbindungen auf dem Land, eine Reichensteuer.
Polanski wettert sowohl gegen die Labour-Regierung als auch gegen die Hauptoppositionskraft Reform UK. „Alle Flüchtlinge sind hier willkommen“, ruft er und erntet langen Applaus. Er stehe nun als Jude gemeinsam mit dem Sohn eines aus Bangladesch stammenden Stahlarbeiters und einem Kind der Kirche Englands an der Spitze der Grünen.
„Eine Parteiführung mit drei verschiedenen Familienhintergründen, in einem Land, das von Menschen aus aller Welt bereichert worden ist“, sagt er. Labour-Premierminister Keir Starmer laufe bloß dem Rechtspopulisten Nigel Farage nach, „ein Trump liebender, Steuer hinterziehender, Wissenschaft ignorierender, das Gesundheitssystem auseinandernehmender Strohkopf“.
Zack Polanksi
Es ist reiner Zufall, dass Polanskis großer Auftritt einen Tag nach dem Terrorangriff auf eine Synagoge in Manchester stattfindet – ausgerechnet auf Polanskis eigene ehemalige Gemeinde. Im Gespräch mit der taz sagt er: „Ich bin am Boden zerstört. Es ist entsetzlich, eine schreckliche Attacke gegen unsere jüdische Gemeinschaft und die Gemeinschaft in Manchester insgesamt, sowie die britische Gemeinschaft.“ Er will das trennen vom „Genozid in Gaza,“ sagt er weiter: „Momentan geht es darum, sowohl Terrorismus als auch die Aktionen der israelischen Regierung zu verurteilen.“
Polanski fordert ein Waffenembargo gegen Israel, das Ende des „Völkermordes“ und ein Ende der Kriminalisierung der von der Regierung als terroristisch verbotenen Gruppe „Palestine Action“. Auf die Frage der taz, ob Israel ein Existenzrecht hat, kommt keine direkte Antwort. Polanski verweist auf eine Vielfalt von Meinungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, weswegen die Grünen in ihrer eigenen Antisemitismusstrategie zwei verschiedene Definitionsversuche zusammenführen, die IHRA-Definition und die Jerusalem-Deklaration. „Diese Komplexität ist genau der Punkt“, sagt er. „In der jüdischen Gemeinschaft gibt es nicht nur eine einzelne Ansicht oder die einer einzelnen Organisation, die ein Monopol darüber hat, was jüdische Menschen fühlen sollen“.
Es gibt gerade Kritik an den Grünen bei diesem Thema. Sie fokussiert sich auf den neuen stellvertretenden Parteichef Mothin Ali. Er tritt beim Parteitag im langen muslimischen Gewand mit einem palästinensischen Schal über der Schulter auf. Unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 hatte er das Ende des „weißen Siedlerkolonialismus“ gefordert und 2024, als er grüner Gemeinderat in Leeds, stellte er seinen Wahlerfolg als Sieg für Gaza dar. Polanski betont gegenüber der taz, dass Ali damals noch nicht stellvertretender Parteiführer war und sich inzwischen entschuldigt habe.
Aber wieso nur Gaza? „Ja, wir müssen absolut mehr über Solidarität mit Kongo, Sudan, Afghanistan und Libyen sprechen“, antwortet Polanski. Gerade im Fall der letzten beiden Länder hätte britische Intervention die Sachen verschlechtert, sagt er und erklärt: „Ich spreche mehr über Palästina, weil es eine Verbindung mit Waffen gibt, die wir an die israelische Regierung verkaufen, die bei anderen Konflikten nicht so klar ist.“ Das mag Polanskis persönlicher Grund sein, doch viele neue Mitglieder sagen, wenn man sie nach ihren Motivationen für den Parteieintritt fragt, dass Israel Völkermord betreibt.
Die meisten Nebenveranstaltungen drehen sich um das klassische grüne Thema Umwelt- und Klimapolitik. Da geht es um die Liebe zu Flüssen, Elektroautos und grüne Stadtplanung. Darüber spricht Polanski in seiner Rede aber weniger, er betont mehr die soziale Frage. Warum? „Es macht nicht viel Sinn, in einer Rede über die Dinge zu sprechen, von denen die Leute bereits wissen, dass du sehr gut darin bist“, sagt er.
Tom Daly, Kommunalrat aus Suffolk, mit dem die taz einst über den Bau des Atomkraftwerks Sizewell C sprach, findet Polanskis Richtung hilfreich. „Das ist genau, was wir brauchen, um dem Wachstum des rechten Populismus von Farage zu entgegen. Statt Verzweiflung ist unsere Antwort Hoffnung.“ Dorothy Nakugeba, eine ehemalige Mitarbeiterin der Ecological Party of Uganda, die heute in London lebt, findet es großartig, dass Polanski positiv über Einwanderung, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte spricht. Wenn es nach ihr ginge, sollte die Zerstörung tropischer Regenwälder mehr thematisiert werden. Aber sie sei so begeistert von den Grünen, dass sie Freund:innen zum Eintritt überredet hätte.
Verglichen mit vor zehn Jahren sind die Grünen heute keine Liga ergrauter weißer Hippies oder Umweltaktivisten aus der Mittelschicht mehr. Eine Veranstaltung der „Young Greens“ ist völlig überfüllt, drinnen erzählen Neumitglieder von ihrem Beitritt und zuweilen sehr schnelle Beförderung zur Kandidatur auf kommunaler Ebene. Viele grüne Kommunalpolitiker haben konservative Wahlkreise erobert, sie sprechen von Attributen wie Glaubwürdigkeit, Betonung lokaler Probleme und Zusammenarbeit mit anderen Kräften.
„Die Leute brauchen eine Alternative“, sagt Laura Manston, Gemeinderätin aus dem konservativen Sevenoaks in Südengland. „Was Zack bringt, ist mutige Politik.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert