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Literaturbranche auf SparkursDie Frankfurter Buchmesse ist in Kriegslaune

Eine Rakete im Hof und magere Kartoffelsuppe statt Schnitzel. Auf der Frankfurter Buchmesse dominieren Kriegsmotive.

Im Zentrum der Frankfurter Buchmesse 2025: eine riesge Rakete Foto: Marc Schueler/imago

I m Zentrum der Buchmesse herrscht Krieg. Das Zentrum ist der kess „Agora“ genannte Hof, auf dem bis vergangenes Jahr der spektakuläre Frankfurt-Pavillon stand und das Herz der Messe war: auf der größten Veranstaltungsbühne diskutierten prominente Autor*innen, Musiker*innen, Künstler*innen, Verleger*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Pater Anselm Grün vor tausenden Zu­hö­re­r*in­nen über Literatur, Politik und Gesellschaft.

In diesem Jahr nun steht dort ein Laster, auf dessen Anhänger eine riesige Rakete liegt. Sucht die Bundeswehr Nachwuchskräfte in einer Branche, die mehr Fachkräfte als Nachfrage hat? Sollen wir uns selber auf den Mond schießen, bevor es andere tun? Diskutieren war gestern, heute wird geschossen? Das Rätsel ist so groß wie die Rakete. Jedenfalls unter den Leuten, die auf den Terrassen im ersten Stock der Hallen stehen und auf den Hof schauen.

Aber nicht nur im Zentrum, sondern auch an den Rändern ist Krieg. In den Regalen eines kleinen Verlages wurde zwar keine Riesenrakete aufgestellt, aber immerhin ein kleines Torpedo-Modell. Es ist ein „maiale“, mit dem die italienische Marine im Zweiten Weltkrieg feindliche Schiffe angriff. Der Verleger erläutert, dass es dazu auch einen passenden Roman gibt, der von einem Faschisten handelt, der von so einem Torpedo fällt und in den Armen einer spanischen Buchhändlerin landet. Morgens landet dann im Hotel in Sachsenhausen eine Flotte von Raumschiffen und anderes schweres Gerät aus dem Krieg-der Sterne-Universum im Frühstücksraum. Sie sind aus Lego, aber Anzahl, Größe und Auswahl übertrifft das schmale Angebot an Wurst, Käse, Gurke um ein Vielfaches.

Essen muss man ja auch abends. Und da geht man gern zu den Österreicher*innen, weil die haben immer Schnitzel. In diesem Jahr jedoch haben sich aber offenkundig selbst diese charmantesten aller Gast­ge­be­r*in­nen gedacht: Schützengrabenfeeling ist Trend, da machen wir mit. Das Schnitzel wurde gestrichen, stattdessen wurde Kartoffelsuppe ausgegeben. Kartoffelsuppe. Tiefer stapeln geht nicht. Nicht mal ein bisschen steirisches Kürbiskernöl wurde gereicht. Zu viel Luxus, das hätte die ganze Stimmung kaputt gemacht.

Bombenstimmung auf der Messe

Die Stimmung unter den Be­su­che­r*in­nen ist aber gar nicht kriegerisch, sondern erstaunlich gut. Es ist zwar stellenweise traurig wenig Gewusel, und auch die Gespräche streifen immer wieder mal Fronten, Drohnen und hybride Kriegsführung, aber eigentlich geht es allen gut, wenn auch nicht finanziell.

In einem dieser angenehmen Terrassengespräche vor Halle 3.1 kommt man von rechts auf links, von Arbeitgeber zu Arbeitnehmer, von Compliance auf Korruption. Das Wort „charakterschwach“ fällt. „Charakterschwach ist ein sehr deutsches Wort“, sagt eine Frau, deren Elternsprache aus einem anderen Land stammt. Gibt es das Wort tatsächlich nicht in anderen Sprachen? Jedenfalls nicht in denen, die wir da Rumstehenden sprechen.

Und dann wird über die Bedeutung des Wortes diskutiert. Ist, wer korrupt ist, charakterschwach? Ist charakterschwach, wer in die Tüte mit den Chips und nicht in die mit den Chiasamen greift?

Was ist überhaupt Charakter, wer hat ihn und warum wird der Mensch, aber nicht der Wein als charakterschwach bezeichnet? Sind Populisten wie Markus Söder charakterschwach, weil sie aus Prinzip heute dies und morgen das erzählen?

Doch keine Kriegsmaschine?

Nun wird auch in diesem Terrassengespräch die Frage gestellt, warum sich die Buchmesse eigentlich eine Rakete auf den Hof gestellt hat. Es handele sich um ein Space-Shuttle, weiß einer. Da sollen die Kinder reingehen und sich übers Weltall informieren. Na gut, Weltall kann man als Buchmesse schon machen, muss dann aber damit rechnen, dass von einem schwächelnden Charakter dieser Veranstaltung gesprochen wird.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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