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Bröckelnde BaseballmachtDas Trauma wirkt nach

Erneut droht dem Rekordmeister, den New York Yankees, zum Saisonende eine große Enttäuschung. Die Zeiten der Dominanz sind endgültig vorbei.

Enttäuscht: Aaron Judge wirft sein Arbeitsgerät weg Foto: John E. Sokolowski/imago

E s ist wieder Oktober in New York, für viele der schönste Monat des Jahres. Die Blätter im Central Park werden bunt, die Luft ist mild und klar und die Menschen genießen in Straßencafés die letzten schönen Tage des Jahres. Doch besonders die Baseballfans haben nicht nur die glücklichen Zeilen des Jazz-Klassikers „Autumn in New York“ im Ohr, sondern auch die traurigen. Man summt nicht nur „why does it seem so inviting“ – warum fühlt es sich so einladend an? Es gehen auch die trüberen Worte durch den Kopf wie: „Autumn in New York is often mingled with pain. Dreamers with empty hands.“

Träumer mit leeren Händen, das waren im vergangenen Oktober die New York Yankees nach dem fünften Spiel der World Series gegen die Los Angeles Dodgers. Nach einem kompletten, unerklärlichen Zusammenbruch der Mannschaft um Superstar Aaron Judge im fünften Inning war der Traum der Yankees, endlich den ersten heiß ersehnten Titel nach 2009 wieder in die Bronx zu holen, ausgeträumt.

Es hat lange gedauert, bis die erfolgreichste Mannschaft in der Geschichte des Baseballs diesen Tag verdaut hat. Manche glauben, das Trauma sei noch nicht verarbeitet. Denn die Yankees sind kurz davor, das letztjährige Debakel zu wiederholen. Nach zwei vernichtenden Niederlagen gegen die Toronto Blue Jays stehen die Yankees nur noch ein Spiel vor dem Aus im Finale der American League. Die Yankee–Titelträume scheinen diesmal zu zerplatzen, bevor die World Series überhaupt erst angefangen hat.

Um zu ermessen, was diese 16 Jahre währende Dürre für die Yankees bedeutet, muss man sich vorstellen, der FC Bayern würde 16 Jahre lang keinen Titel gewinnen. 1921 gewannen die Yankees zum ersten Mal mit dem legendären Babe Ruth die Meisterschaft. Seither haben die Yankees 27 Mal den Pokal nach Hause gebracht. 40 Mal hat man an der World Series teilgenommen.

Erfolg lässt sich schwerer kaufen

Insbesondere unter dem langjährigen Besitzer George Steinbrenner wurde das Gewinnen zum Pflichtprogramm. Steinbrenner war kein Dollar zu viel, um Stars zu kaufen. 2001 bezahlte er die damalige Rekordsumme von 189 Millionen für Derek Jeter. Und er scheute sich nicht, erfolglose Trainer umgehend wieder zu feuern. 23 Mal wechselten die Yankees zwischen 1973 und 2010 den Manager, bis man mit Joe Torre endlich einen Gewinner gefunden hatte. Zwischen 1996 und 2001 gewannen die Yankees vier Mal die World Series.

Unter Steinbrenners Sohn Hal scheint die Erfolgsserie zu Ende zu sein. Mehr als 3 Milliarden Dollar hat man seitdem an Spielergehältern ausgegeben – vergeblich. Die Yankees spielen zwar konstant an der Spitze mit, doch zum großen Wurf reicht es nicht. Experten glauben, dass es schwerer geworden ist, Erfolg zu kaufen. Vielmehr regieren heute die Daten und deren Analytik. So ist man beispielsweise dazu übergegangen, bestimmte Gesten und eine bestimmte Mimik eines Pitchers zu analysieren, um vorauszusagen, wie er den Ball wirft.

Trotz allem geben viele New Yorker Fans Aaron Judge, dem derzeitigen Superstar des Teams, die Schuld an der derzeitigen Erfolglosigkeit. Er ist unbestritten einer der besten Schläger der Liga, doch im vergangenen Jahr wie in diesem Jahr scheint er in den wichtigen Spielen von seiner Bestform weit entfernt zu sein. In der World Series 2024 passierten ihm ebenso entscheidende Patzer, wie in der jetzigen Serie gegen Seattle.

Judge sagt: „Ich habe immer das Gefühl, dass es meine Schuld ist, wenn wir keinen Titel holen.“ Vielleicht trägt dieser Druck in Verbindung mit seinem Vertrag über 360 Millionen Dollar dazu bei, dass er unter seinen Möglichkeiten bleibt. Wenn es dieses Jahr nicht klappt, wird man sich in New York sicher fragen, ob man nicht zu lange auf Judge gesetzt hat. Anzuerkennen, dass vielleicht die Zeiten der totalen Dominanz nicht nur in New York, sondern im Baseball überhaupt vorbei sind – so weit sind die Yankees-Fans noch nicht.

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Sebastian Moll
USA Korrespondent
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1 Kommentar

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  • Baseball ist zum kommentieren frei gegeben.



    Na denn.



    Sport ist manchmal schneller als die Berichte. Heute Nacht hat Judge abgeliefert und die Wende im Spiel 3 eingeleitet. Yankees haben gewonnen, sind aber immer noch unter Druck.



    Aber interessiert das?



    Tatsächlich sind auch die Stadien oft recht leer. Keine Ahnung, wo im Baseball die Milliarden generiert werden.



    Dieser Sport lebt aber sehr von Zahlen. Und die sind heute genauer und in größerer Anzahl denn je zu bekommen. Früher war ein Spiel ein gemütlicher Familienausflug, gucken, essen, trinken und zuhause dann im Scoreboard zu schauen und erstaunt festzustellen, dass es ja ein gutes Spiel war.