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Anti-ESC in MoskauAngriff mit Schlager

Der Vietnamese Duc Phuc gewinnt den Intervision-Song-Contest. Dort grenzt man sich ausdrücklich von „Queerfreundlichkeit“ ab.

Peppige Nibelungensage: Der Gewinner Duc Phuc Foto: Mikhail Tereshchenko/imago

Für Vietnams Staatsmedien ist Duc Phuc ein Held: Er hat am Wochenende in Moskau den Intervision-Song-Contest gewonnen. Der 28-jährige, in Vietnam populäre Sänger gewann mit dem Titel „Der himmlische König“, einer musikalischen Interpretation eines Stoffes aus der vietnamesischen Mythologie, das mit vielen Lichteffekten aufgeführt wurde. Platz zwei ging an Kirgistan, Platz drei an Katar. Weitere Teilnehmerländer waren frühere Sowjetrepubliken wie Belarus, Kasachstan oder Usbekistan, aber auch Länder der Staatengruppe Brics.

Duc Phucs Show entspricht etwa einer peppig interpretierten Nibelungensage. Nur, dass das Format in Vietnam nicht so ungewöhnlich ist: Traditionelle nationale Stoffe erfreuen sich in dem südostasiatischen Land auch in der Popkultur einiger Beliebtheit. Zudem haben Vietnams Musiker die Erfahrung gemacht, dass gerade bei einem Publikum im Ausland traditionelle Stücke besonders gut ankommen. Und für Vietnams Staatsmedien ist der Sieg mit einem in der vietnamesischen Tradition tief verankerten Thema dann auch ein gutes Stück Nationalstolz.

Der Wettbewerb mit Teilnehmern aus 23 Staaten wurde erstmals abgehalten und gilt praktisch als Gegenveranstaltung zum Eurovision Song Contest, an dem Russland seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 nicht mehr teilnehmen darf. Russland selbst schickte den ultranationalistischen Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman ins Rennen.

Der Putin-Anhänger und Unterstützer des Krieges in der Ukraine ist in Russland durch sein nationalistische Lied „Ja Russki“ („Ich bin Russe“) bekannt geworden. Diese Worte brüllte er nach seinem Auftritt mit dem Wettbewerbstitel „Direkt ins Herz“ auch laut ins Mikrofon. Er zog allerdings seinen Beitrag im Nachhinein aus dem Wettbewerb zurück, offiziell weil er das Gastgeberland vertrete.

Das weckte dann in den sozialen Netzwerken in Vietnam den Verdacht, der Sieg des eigenen Sängers gegen den russischen Favoriten sei politisch gewollt und nicht etwa zustande gekommen, weil der musikalisch so überzeugt habe. Das erinnerte viele Vietnamesen an den Sieg der vietnamesischen Sängerin Ai Van Ha Thi beim Internationalen Schlagerfestival sozialistischer Länder in Dresden 1981. Die musikalisch mittelmäßige Frau gewann, obwohl andere Interpreten mehr überzeugen konnten, wohl weil man dem Land sechs Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges einen Sieg auch in der Kultur gönnen wollte. Auch zu Duc Phuc gehen in Vietnam die Meinungen auseinander.

Vorbild: Ein Liederwettbewerb aus dem Kalten Krieg

Doch Vorbild für den neuen Wettbewerb war nicht das Dresdner Festival, sondern der Intervision-Liederwettbewerb, der von 1977 bis 1980 als Gegenstück zum westeuropäischen Grand Prix Eurovision de la Chanson von den sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas und einigen weiteren Staaten im polnischen Sopot ausgetragen wurde. Intervision hieß der Programmaustausch der Fernsehanstalten der sozialistischen Staaten. 2008 gab es einen ersten Versuch in Russland, wieder unter dem Namen Intervision einen Liederwettbewerb zu etablieren. Daran nahmen Staaten teil, die einst zur Sowjetunion gehörten. Es blieb allerdings ein einmaliges Ereignis.

Es werde bei dem Intervision-Wettbewerb „keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur“ geben, hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz gesagt. Er spielte damit auf queerfreundliche Beiträge beim Eurovision Song Contest an.

Dazu passt dann auch, dass der nächste Intervisions-Wettbewerb in Saudi-Arabien ausgetragen werden soll.

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