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Palästinensische Reporterin„Nach dem Krieg will ich Journalismus studieren“

Malak Tantesh berichtet für mehrere Zeitungen aus dem Gazastreifen. Die Arbeit macht ihr Spaß – trotz der großen Angst, selber umgebracht zu werden.

„Ich habe das Gefühl, dass ich etwas für die Menschen im Gazastreifen tue“: Malak Tantesh Foto: Enas Tantesh
Lisa Schneider
Interview von Lisa Schneider

taz: Frau Tantesh, wie sind Sie zum Journalismus gekommen?

Malak Tantesh: Mein Vater arbeitet seit über 20 Jahren als Fixer und Produzent für ausländische Medien. Mit Beginn dieses Krieges und des Einreiseverbots für ausländische Journalisten nach Gaza fragten viele Medien meinen Vater an, ob er für sie berichten könnte. Doch mein Vater ist schon älter, nicht mehr so fit wie früher, es war ihm schnell zu anstrengend.

Vor dem Krieg hatte ich mich an der Universität eingeschrieben, um Physiotherapeutin zu werden – aber nach Kriegsbeginn konnte ich mein Studium nicht fortsetzen. Im April 2024 habe ich dann zum ersten Mal journalistisch gearbeitet. Die niederländische Zeitung de Volkskrant hatte damals meinen Vater um einen Bericht mit dem Arbeitstitel „24 Stunden im Leben einer vertriebenen Familie in Gaza“ gebeten. Er fand eine Familie und begann mit der Arbeit – doch seine Protagonistin fühlte sich unwohl mit einem Mann. Mein Vater schlug den Journalisten bei de Volkskrant dann vor, meine Schwester Enas und mich hinzuschicken. Wir gingen zu der Familie, sie fühlten sich viel wohler mit uns. Ich machte Notizen und führte Interviews, Enas machte Fotos.

Internationaler Aktionstag für Pressefreiheit in Gaza

Teilnehmer: Über 150 Medienunternehmen aus mehr als 50 Ländern nehmen am 1. September an einem groß angelegten Aktionstag teil, der von Reporter ohne Grenzen (RSF) und der globalen Online-Kampagnenbewegung Avaaz koordiniert wird.

Kritik: Die teilnehmenden Redaktionen kritisieren die Verbrechen der israelischen Armee an palästinensischen Jour­na­lis­t:in­nen und Re­por­te­r:in­nen in Gaza.

Forderung: Die Beteiligten fordern besseren Schutz für alle Medienschaffenden dort und verlangen, dass Israel anderen Journalisten endlich unabhängigen Zugang in den Gazastreifen gewährt.

➝ Mehr Informationen zum Aktionstag

Danach begann mein Vater, uns journalistisches Arbeiten beizubringen: Wie man Interviews führt, seine fotografischen Fähigkeiten verbessert. Dabei half uns auch Youtube.

Nach dem Krieg möchte ich Journalismus studieren. Aber ich habe Angst, dass der Krieg mich bis dahin das Leben kostet – und ich dann nichts von dem tun kann, wovon ich träume.

taz: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?

Tantesh: Ich habe das Gefühl, dass ich etwas für die Menschen im Gazastreifen tue. Ich mag sogar die Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen wir als Journalistinnen und Journalisten begegnen. Und ich freue mich, wenn mir Menschen nette Nachrichten oder Gebete schicken: Das gibt mir Kraft und motiviert mich, weiterzumachen.

taz: Sie haben eben Herausforderungen und Schwierigkeiten erwähnt. Was genau meinen Sie?

Tantesh: Es ist eine Herausforderung, die richtigen Leute für Interviews zu finden. Dazu kommen die Probleme mit dem immer wieder ausfallenden Internetzugang und der Stromversorgung. Bis vor kurzem kam der Hunger dazu – er führte bei mir zu Konzentrationsschwäche und Schwindel. Nun, da die Märkte wieder mehr mit Lebensmitteln gefüllt sind, ist das immerhin vorbei.

Manchmal kommt es bei der Recherche zu Konflikten: Die Menschen werfen Steine oder schießen sogar. Manche denken, wir würden sie für Geld ausnutzen wollen.

Und die mangelnde Sicherheit ist eine große Schwierigkeit: Weil die öffentliche Sicherheit zusammengebrochen ist, haben wir Angst, bei unserer Arbeit bestohlen zu werden. Und die Gebiete, in denen wir arbeiten, könnten jederzeit bombardiert werden.

taz: Laut dem Committee to Protect Journalists wurden bislang mindestens 197 Journalistinnen und Journalisten in Gaza vom israelischen Militär getötet.

Tantesh: Als Journalistin in Gaza zu arbeiten, ist extrem gefährlich, insbesondere angesichts der gezielten und wiederholten Angriffe auf Medienschaffende und ihre Familien. Das setzt mich unter großen Druck – ich denke ständig darüber nach. Oft stelle ich mir schreckliche Szenarien vor: Als ich zum Beispiel in einem Zelt lebte, stellte ich mir vor, wie ich von der Arbeit zurückkomme und es verbrannt vorfinde und meine Familie in Fetzen. Ich bin sicher, dass viele andere Journalisten dieselben Ängste haben.

Wenn ich Nachrichten sehe, dass Journalisten angegriffen und getötet wurden, bekomme ich Panik. Ich fürchte, dass ich genauso enden könnte wie sie. Ich sage mir: Dieses Mal haben sie diesen Journalisten getötet, davor viele andere – und niemand hat etwas unternommen, um die israelische Armee für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Warum hält niemand sie auf?

Im Interview: Malak Tantesh

Malak Tantesh arbeitet unter anderem für die taz, den „Guardian“, den „Spiegel“ und die „NZZ“ als Reporterin. Sie ist 20 Jahre alt, stammt aus Beit Lahia im Norden des Gazastreifens und wurde mehrfach durch den ganzen Küstenstreifen vertrieben.

Ich frage mich: Wenn ich getötet würde, würde sich die Welt für mich einsetzen? Würde sie Israel unter Druck setzen, mit dem Töten aufzuhören? Ich glaube nicht.

taz: Haben Sie Angst, dass das israelische Militär Sie im Blick hat?

Tantesh: Ich meine, das israelische Militär ist befähigt, jede einzelne Person im Gazastreifen zu verfolgen. Sie haben also nicht nur mich im Blick, sondern jeden hier. Sie haben mich aber noch nie direkt kontaktiert oder attackiert – und ich hoffe, dass es dazu niemals kommen wird.

taz: Stehen Sie im Austausch mit anderen Medienschaffenden in Gaza?

Tantesh: Ich kenne nur wenige andere Journalisten – vielleicht wegen unserer unterschiedlichen Arbeitsweise: Die meisten von ihnen arbeiten für Fernsehsender und verbringen ihre Zeit in der Nähe von Krankenhäusern, wo es Strom und Internet gibt. Ich aber arbeite für Zeitungen und verbringe die meiste Zeit mit meinem Vater, meiner Schwester Enas und meiner Cousine Seham, die für die taz Gaza-Tagebücher schreibt. Wir bilden ein Team. Nur selten bitten wir andere Journalisten um Hilfe – wenn wir etwa Protagonisten für ein bestimmtes Thema nicht finden können.

Wenn ich dann einmal andere Journalisten treffe, kennen sie mich oft beim Namen – und sind überrascht, wie jung ich bin, 20 Jahre alt.

taz: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ausländischen Medien im Zuge dieses Krieges erlebt?

taz: Alle Zeitungen, mit denen ich zusammenarbeite, sind großartig – wirklich. Ich habe bislang nichts Negatives oder Kritikwürdiges erlebt, ganz im Gegenteil. Die Redaktionen schicken mir ihre Themenidee, ein paar Details und Fragen an die Protagonistinnen und Protagonisten. Dann arbeite ich daran, und das erschienene Ergebnis ist immer großartig!

taz: Was wünschen Sie sich von den Menschen in Deutschland, in Europa, der Welt?

Tantesh: Steht uns bei. Rettet Gaza oder das, was davon übrig ist. Wir sind Menschen, genau wie ihr. Solidarisiert euch mit uns, gegen den Krieg und den Hunger. Protestiert, auf dass das Töten, das Blutvergießen, die wiederholten Vertreibungen endlich enden.

Macht euch bewusst: Wir hungern nicht, wir werden ausgehungert. Wir sterben nicht, wir werden getötet. Wir sind nicht einfach obdachlos, unsere Häuser wurden zerstört.

Meine Arbeit ist wichtig, um die Wahrheit unverfälscht zu zeigen – die schmerzhafte Realität und die Ungerechtigkeit, mit der mein ganzes Volk konfrontiert ist.

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