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Fotograf Wolfgang TillmansVom Olymp aus steigt er in die Maschinenhalle

Der Fotograf Wolfgang Tillmans wird weltweit gefeiert. Mit einer Ausstellung in Remscheid begibt er sich auf eine Reise zurück in seine Heimatstadt.

Wolfgang Tillmans: „driving Remscheid (day)“, 1993, Video­standbild Foto: Wolfgang Tillmans

Derzeit hat er eine riesige Ausstellung im Pariser Centre Pompidou, kürzlich noch im Albertinum Dresden, vor wenigen Jahren im MoMA New York: Der Fotograf Wolfgang Tillmans bewegt sich auf dem Olymp der Kunst – und von dort aus ist er jetzt nach Remscheid abgestiegen.

In der Stadt südlich von Wuppertal mit ihren 113.000 Ein­woh­ne­r*in­nen ist Wolfgang Tillmans nämlich „opjewassen“, wie es auf Bergisch Platt heißt. So begibt es sich also, dass man gerade sowohl in den technoiden, postmodernen Hallen von Renzo Piano und Richard Rogers in Paris als auch in den bergisch-barocken Zimmern eines Patrizierhauses in Remscheid seine Fotografien sehen kann.

Der Ausstellungsort, das Haus Cleff, ist Remscheider Zeitgeschichte. In den 1790er Jahren ließ das Bruderpaar Hilger es zur Repräsentation ihres Wohlstands errichten. Diesen Reichtum hatten sie mit der Produktion von Werkzeugen erlangt, die macht noch immer einen bedeutenden Industriezweig in Remscheid aus. Bürgermeister ließen sich hier nieder, später diente das Haus Cleff als Stadtarchiv, bis es schließlich Teil des Deutschen Werkzeugmuseums wurde.

Die Ausstellung

„Wolfgang Tillmans. Ausstellung in Remscheid“. Haus Cleff, Remscheid, bis 4. Januar 2026

Die Reste einer Küche, die man heute noch sieht, haben in den knapp 240 Jahren alles mögliche erlebt: Bankette, Völlerei, jüngst eine substanzzerstörende Käferplage, für deren Bekämpfung die Stadt Remscheid 8 Millionen Euro aufbringen musste – weshalb das Haus die letzten zehn Jahre geschlossen blieb.

Fließen der Chemikalien

Jetzt, mit der Wiedereröffnung des Hauses Cleff, schmiegen sich in der alten Küche meterüberspannend Schlieren in Magenta und Blau aus Tillmans bekannter „Freischwimmer“-Serie ineinander. Bei der experimentellen Fotografie dieser Serie gibt es kein eigentliches Motiv. Zu sehen sind Abbilder behände gesetzter Entwicklerflüssigkeit, die vergängliche Wolken aufs Papier malt.

Wolfgang Tillmans, „domestic scene Remscheid“, 1991 Foto: Wolfgang Tillmans

Die „Freischwimmer“-Serie, die auch Tillmans Weltruhm begründete, oder seine unzähligen dokumentarischen Aufnahmen, die einen schmalen Raum zwischen Authentizität und Inszenierung abtasten: Die Fotografie des 1968 geborenen Tillmans oszilliert in den pastellfarbenen Kammern, Zimmern und Fluren des Hauses Cleff zwischen Abstraktem und Konkretem.

Zuweilen wirken seine Bilder wie kommerzielle Werbung, aber mit spielerisch-absurdem Twist. Wie das Porträt der jungen Kate Moss, die, mit transparentem Top gerade aufgerichtet vor einer Ansammlung von Kartoffeln, Tomaten und Erdbeeren sitzend, distanziert in die Kamera lächelt. Dann taucht plötzlich ganz Privates auf. Ein Bild von 1991 zeigt die Mutter des Künstlers im Unterhemd und mit einer Trockenhaube auf dem Kopf, von hinten eingefangen vor einem chaotischen Schreibtisch.

Geschichte der Bergischen Industriestadt

Die Sonderschau ist keine Tillmans-Retrospektive; sie ist eher fragmentarisch und persönlich. Zwar lässt sich nachvollziehen, wie der in London und Berlin lebende Fotograf, der in den letzten Jahren als Europa-Aktivist in Erscheinung getreten ist, seit Ende der 80er Jahre seinen Weg in die Pop-Magazine, in renommierte Kunstsammlungen weltweit, in Technoclubs wie das Berliner Berghain und im Jahr 2000 zum Turner-Prize gefunden hat.

Seine berühmten Bilder einer queeren Subkultur, die Darstellungen homosexueller Fantasien und auch der manchmal despektierlich als „Freaks“ bezeichneten gesellschaftlichen Randfiguren, denen Tillmans in ihrer verspielten Nonkonformität fotografische Denkmäler gesetzt hat, finden jedoch kaum Platz im Haus Cleff. Im Mittelpunkt der Schau steht vielmehr sein „freiwilliges Zurückkehren“ nach Remscheid, wie Tillmans es beschreibt.

Mit „Wolfgang Tillmans. Ausstellung in Remscheid“, so der lakonische Titel der Schau, zeichnet der Fotograf eine und auch seine eigene Geschichte der bergischen Großstadt nach. Er zeigt ihre Industrie, ihre Maschinen, ihre Arbeiter. Sinnlich und stofflich inszeniert er Schutzkleidungen, glühende Metalle, meterhohe Sägeblätter der ortsansässigen Firma Lennartz.

Nah, aber nicht menschelnd, geradezu beiläufig wirken seine farbsatten Aufnahmen aus einer Produktionshalle der Montanfabrik Dirostahl. Ein Arbeiter schaut mit zusammengekniffenden Lippen und müden Augen in die Kamera, hat sich scheinbar gerade erst zu ihr hingewandt, sein Gesichtsschutz ist nach hinten geklappt, sitzt wie die goldene Mitra eines Bischofs über seinem Kopf.

Tillmans’ Dokumentarismen werden beständig durch seine Werbeästhetik hopsgenommen, manchmal meint man, die Fotografien entstammten einer Image-Kampagne des Bundeswirtschaftsministeriums für die Industrienation Deutschland, hätten die Bilder nicht auch ihre Ambivalenz. Ein diffus stolzes „Made in Remscheid“ kommt hier eher zum Ausdruck, vielleicht ein „Wolfgang Made in Remscheid“. In einer Vitrine im Haus Cleff liegen Fundstücke aus seinem Leben, lose Dinge, Sternbücher, Kopfhörer. Es entsteht ein nostalgischer Blick auf seine Jugend in der Provinz. Hier erinnert sich auch einer, warum er weg musste, damit er wiederkommen konnte.

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