Trendwort „Vibe Shift“: Der Hype um den Vibe
Ein neuer englischer Trendbegriff macht die Runde. Neuerdings sprechen alle von „Vibe Shift“. Hört sich heiß an, aber was steckt eigentlich dahinter?
A usgerechnet Olaf Scholz oder besser sein Redenschreiber waren Trendsetter. Mit „Zeitenwende“ hatten sie einen Begriff ins politische Debattengeschäft gepflanzt, der eine – wenn auch sehr kurze – Ära prägen sollte.
Ein Wumms ging durch die Republik, der Apostel-Paulus-Vibes verströmte. Auf Paulus’ Initiative hin begann eine neue Zeitrechnung, für die vergangenen 2025 Jahre benutzen wir sie: „v. Chr.“ und „n. Chr.“.
Olaf Scholz hat nichts mit dem paulinischen Jahr 0 Vergleichbares geschafft. Nicht ausgeschlossen, dass er sich trotzdem mit der Ideologie des messianischen Revolutionärs tröstet: Seit der Zeitenwende ist Gott völlig egal, was du getan hast, Hauptsache, du hast an ihn geglaubt.
Bisher kannten deutsche Unterhaltungen nur „bad Vibes“
Ob grad noch Zeitenwende ist oder nicht, dafür braucht man inzwischen einen Link zur Sendungsverfolgung, mit dem sich der aktuelle Lieferstatus der Taurus-Debatte checken lässt.
Aber Scholz ist jetzt raus und Zeitenwende heißt jetzt „Vibe Shift“. Dieser Begriff schießt grade wie Unkraut aus der Glasfabrik Windischeschenbach.
Bisher kannten deutsche Unterhaltungen nur „schlechte Vibes“ oder gute, und seit der Serie „True Blood“ – in der es um Emanzipation von Vampiren geht – kroch dem ein oder anderen auch mal ein „Shapeshifter“ über die Lippen.
Dass sich aber ein Vibe auch vershiften lässt, war hierzulande bis vor Kurzem jedenfalls nicht grade talk of the town.
Während der Coronapandemie machte der amerikanische Publizist und Trendprophet Sean Monahan eine Stimmungsverschiebung von progressiver zu konservativer Haltung aus, die er als „Vibe Shift“ bezeichnete. Der Begriff machte damals durch Social Media enorme Karriere und wurde sogar T-Shirt-Aufdruck: „You had me at vibe shift“.
Hierzulande ist Vibe Shift erst in aller Munde, seit der schottische Politikberater und Historiker Niall Ferguson den Begriff in den politischen Diskurs einspeiste, um dem Phänomen einen Namen zu geben, das so viele begriffsstutzig machte: die Wiederwahl von Donald Trump.
The English Word for Stimmungsschwankung
Dadurch, dass das englische Wort in der deutschen Übersetzung von Fergusons Text und im Interview mit der Zeit nicht ins Deutsche übersetzt wurde, konnte es sich mit großer Bedeutung aufblasen. Vibe Shift klingt nicht so biblisch verstaubt wie Zeitenwende, sondern safe nach Internet, klingt cool und nach was Neuem. Ins Deutsche übersetzt schrumpft der erwartete Erkenntnisgewinn allerdings gegen null. Vibe Shift meint schlicht und ergreifend das, was wir auf Deutsch seit Jahren so formulieren: die Stimmung kippt.
Ferguson glaubt, dass der Stimmungswechsel eine globale Reaktion auf die Woke-Kultur ist. Da ist sicher was dran. Aber ist Stimmung wirklich das Tool, mit dem der Rechtsruck erklärt werden kann?
Muss für Stimmung nicht auch gesorgt werden? Macht Stimmung machen nicht ziemlich viel Arbeit? Führt die Stimmung ein autonomes Eigenleben oder lässt sie sich ziemlich einfach beeindrucken und durch die Gegend schubsen? Stehen hinter jeder Stimmung nicht auch umfassende politische, mediale und wirtschaftliche Interventionen, Strategien und Interessen? Ist inzwischen nicht jedem klar, dass Umfragen zur politischen Stimmungslage selber Stimmung machen? Wäre „The Vibeshifters“ nicht ein besserer Name für die „Forschungsgruppe Wahlen“?
Im kommenden Sommer wird das Stimmungsbarometer wieder pausenlos auf Hochtouren laufen. In fünf Bundesländern wird gewählt werden. In Sachsen-Anhalt heißt es, könnte der Vibe Shift sogar dafür sorgen, dass die AfD ihren ersten Ministerpräsidenten stellen kann.
Aber keine Sorge, der Hype um den Vibe ist auch nur ein Trend. Und welcher Trend hält schon länger als einen Sommer?
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