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Brosius-Gersdorf wehrt sich„Diffamierend und realitätsfern“

Die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf äußert sich zu den Vorwürfen gegen ihre Person. Die Koalitionskrise ist derweil ungelöst.

Auf diesem Mann liegt kein Segen: CSU-Chef Markus Söder demontiert die Verfassungsgericht-Kandidatin Brosius-Gersdorf weiter Foto: Nadja Wohlleben/reuters

Tagelang wurde öffentlich über Frauke Brosius-Gersdorf geredet und geschrieben – und das mitunter ausgesprochen diffamierend und mies. Am Dienstagmorgen meldete sich die 54-jährige Potsdamer Staatsrecht-Professorin, die weiterhin Kandidatin für einen Posten am Bundesverfassungsgericht ist, mit einer schriftlichen Erklärung selbst zu Wort. Darin weist sie die Kritik an ihrer Person scharf zurück. Die Berichterstattung in Teilen der Medien sei „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ und von dem Ziel geleitet gewesen, ihre Wahl an das höchste deutsche Gericht im Bundestag zu verhindern.

„Die Bezeichnung meiner Person als ‚ultralinks‘ oder ‚linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, schreibt Brosius-Gersdorf. Hätte man sich mit ihrer inhaltlichen Arbeit in der Breite befasst, hätte sich „ein Bild der demokratischen Mitte“ ergeben. Auch die Berichterstattung über ihre Position zur Reform des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, die im Zentrum der Kritik stand, entbehre „der Tatsachengrundlage“.

Der Vorwurf, sie spreche dem ungeborenen Leben die Menschenwürde ab und wolle einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt legalisieren, sei „falsch“. Richtig sei, dass sie auf verfassungsrechtliche Dilemmata hingewiesen habe. Hintergrund ist die von der Ampel eingesetzte Kommission zu reproduktiven Selbstbestimmung, in der Brosius-Gersdorf mitgearbeitet hat. Die Kommission empfahl die Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Woche, die Union lehnt das ab.

Brosius-Gersdorf hätte am Freitag eigentlich vom Bundestag gemeinsam mit zwei anderen Kan­di­da­t*in­nen zu neuen Rich­te­r*in­nen für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden sollen. Obwohl die Unionsführung das Personalpaket mit der SPD fest vereinbart hatte und alle drei Kan­di­da­t*in­nen vom Richterwahlausschuss des Bundestags bereits mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit nominiert worden waren, wurde die Abstimmung in letzter Minute abgesagt.

Verfahrene Situation

Der Grund: Nach einer massiven Kampagne von rechts verweigerten Unionsabgeordnete ihre Stimmen. Fraktionschef Jens Spahn hat inzwischen in einem Brief an die Abgeordneten von CDU und CSU eine Mitverantwortung an dem Debakel eingeräumt, das er so natürlich nicht nennt. Fest aber steht: Zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause steckt die schwarz-rote Bundesregierung in einer tiefen Krise – und bislang ist unklar, wie sie da wieder rauskommen will.

In ihrer Stellungnahme schreibt Brosius-Gersdorf nicht, ob sie weiterhin als Kandidatin zur Verfügung steht. Aus der SPD aber heißt es, dass die Staatsrechtlerin bei ihrer Kandidatur bleiben will, auch die SPD will den Vorschlag nicht zurückziehen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte sich zuletzt festgelegt: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ Ob ausreichend Unionsabgeordnete sich aber bereit finden werden, für Brosius-Gersdorf zu stimmen, ist bislang nicht absehbar.

Die Grünen forderten in einem Brief an Spahn und Miersch nun erneut, noch in dieser Woche eine Sondersitzung des Bundestags zur Wahl der drei Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen zu ermöglichen. Doch danach sieht es nicht aus. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betonte am Dienstag noch einmal, er wolle gemeinsam mit der SPD das Problem in Ruhe lösen.

Segensreiche Solidarität

Er dringt aber darauf, dass der Bundestag das Recht zur Wahl der neuen Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen nicht an den Bundesrat abtritt. „Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zu Lösungen kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen“, sagte Merz am Dienstag nach einem Treffen mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf der Zugspitze. Über alles andere spreche man in Ruhe in der Koalition mit der SPD. Söder hatte dieser zuvor einen Austausch nahegelegt und gesagt, auf der Kandidatur von Brosius-Gersdorf liege „kein Segen“.

Solidarität mit ihr kommt nun aus einer anderen Ecke. In einer öffentlichen Stellungnahme kritisierten mehr als 300 Rechtswis­sen­schaft­le­r*in­nen den Umgang mit Brosius-Gersdorf. Dieser sei „geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig über den Verfall der angemessenen Umgangskultur die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen“, heißt es in der Erklärung. Zu betonen sei, dass Brosius-Gersdorf eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin sei: „Das ist in Fachkreisen völlig unstreitig.“

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16 Kommentare

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  • Unliebsame KandidatInnen für hohe Richterämter gab es aus Sicht einzelner Parteien bekanntermaßen schon öfter. Nur wurden sie dann i.d.R. eher geräuschlos zurückgezogen. Das ist dieses Mal anders. Das Unvermögen von Jens Spahn hat ein beispielloses Chaos verursacht, bei dem es nun überwiegend Verlierer gibt. Ob SPD und Frau Brosius-Gersdorf standhaft bleiben oder die CDU sich durchsetzt, der öffentliche Schaden für das oberste deutsche Gericht und die Politik im Allgemeinen ist so oder so beträchtlich. Dass zahlreiche Medien mit ihren vorschnellen Vorverurteilungen aufgrund vager unrecherchierter Plagiatsanschuldigen maßgeblich an dieser Kampagne beteiligt waren, macht das Ganze noch unappetittlicher. Am besten wäre die geräuschlose Wahl aller drei KandidatInnen in der nächsten Plenarsitzung und als Lehre daraus es beim nächsten Mal besser zu machen.

  • Der ursprünglich von der Union vorgeschlagene Bundesrichter wurde von den Grünen als "stockkonservativ" abgelehnt und seine Dominierung nicht von CSU/CDU weiterverfolgt.



    Vielleicht gelangt Frau Brosius-Gersdorf ja noch von sich aus zu der Einsicht, dass es dem Ansehen des BVerfG und ihrer selbst gut tun würde, wenn sie von sich aus verzichtet,



    Oder will sie HeideSimonis2.0 werden?

    • @Käptn Olgi:

      Und damit würde sie dem Mob, der medialen Gewalt, dem Prinzip Verleumdung einen Dienst tun. Dafür jedoch ist diese Frau viel zu intelligent, integer und sachlich.

  • Halbwegs ot, aber: haben die Abgeordneten des BT keine Tools, um Massen- oder Spammails auszusortieren? AFAIK wurden die Mails zu signifikanten Teilen durch eine Spam-Engine radikaler Lebensschützer generiert. Tools zum Schutz vor solchen Mails gibt's wie Sand am Meer und jeder erfahrene Programmierer schreibt sie in ein paar Tagen.

  • Wenn die Dame jetzt einknickt und ihre Kandidatur zurückzieht oder die SPD die Nominierung löscht, dann geht die Justiz vor der Politik in die Knie und DAS DARF NIEMALS SEIN!

    Dass Söder und solche Typen ihren Machtrausch über die Justiz ausüben wollen, MUSS GESTOPPT WERDEN!

  • Man muss sich zutiefst für Menschen wie Söder schämen.

  • Ist es wirklich eine tiefe Krise?

    • @Chris McZott:

      Wenn an Ihrer Person die Regierung zerbricht, war diese von Beginn an nicht zum regieren bestimmt.

      Das ist ein medial aufgebauschtes Thema, das außerhalb dieser Interessensphäre niemanden bewegt.

      Dem Leser kann aber wieder massig Käse verkauft werden, und deshalb schießen die Käsehändler mit ihren Käse seit Tagen aus den Boden.

  • Die besten KandidatInnen für Politik und öffentliche Ämter stehen nicht mehr zur Verfügung. Sie ziehen sich zurück und/oder werden diffamiert und verhindert. Übrig bleibt wie bereits in der Politik jetzt auch im Rechtswesen bala bala und unterer Durschschnitt.

  • Frustrierend, wie engstirnig die Debatte verläuft.

    Rechte Schmutzkampagne hin oder her: ALLE SEITEN MÜSSEN ABRÜSTEN.

    Alle spielen gerade der AFD in die Hand. Sie will das Parlament als dysfunktionale Quatschbude darstehen lassen. Und per Se: Man muss den Koalitionspartner auch wieder rauslassen, wenn der seine Entscheidung noch ändern will.

    Und es sind nicht nur AFDnahe Leute, die Brosius-Gersdorf ablehnen. Und das dürfen die per , ebenso wie neulich die Grünen. Sie hätten es halt früher sagen müssen.

  • "Dieser sei „geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig über den Verfall der angemessenen Umgangskultur die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen“,..."



    Kurz zusammengefasst: die Union betreibt das Geschäft der AfD, Jens Spahn wird vielleicht den Titel Steigbügelhalter einheimsen können.



    Quo vadis?

  • Die taz-Aussage suggeriert, dass Brosius-Gersdorf den Vorwurf, die Menschenwürde des Fötus abzulehnen, als „falsch“ bezeichnet, obwohl sie diese Position in ihrem Aufsatz und der Anhörung klar vertritt. Das ist ein Widerspruch in ihrer Argumentation, der ihre Position inkonsequent macht.

    • @Ulrich Haussmann:

      "Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar.

      Richtig ist, dass ich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen habe, das besteht, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkennt wie dem Mensch nach Geburt.

      Unter der herrschenden rechtsdogmatischen Prämisse der Nichtabwägungsfähigkeit der Menschenwürde mit Grundrechten Dritter wie der Schwangeren wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig. Auch ein Abbruch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau schiede dann aus."

      Selbst für nicht Juristen ist das nachvollziehbar und einleuchtend.

  • mir gefriert das blut in den adern - diese frau hat fertig. als mitglied von amnesty internstional bin ich gespannt auf die reaktionen von dort.

  • Frauke Brosius-Gersdorf kritisiert die Medien so wie es die AFD tut.



    Scheinbar ist sie weit weg von den Linken.

    • @Wilhelm Krass:

      Abgesehen vom äußersten rechten Rand hat niemand behauptet, Frau Brosius-Gersdorf sei links