Militärdienst in Israel: Ein unorthodoxer Lösungsweg
Israels Premier Netanjahu steckt wegen der Ultraorthodoxen in einer Regierungskrise. Die wollen verhindern, dass sie Wehrdienst leisten müssen.

Nach einem Richterspruch des Obersten Gerichtshofs im vergangenen Jahr müssen sie eigentlich eingezogen werden. Die Regierung, so das Gericht, müsse dazu eine langfristige Lösung finden. Doch das scheitert seit mittlerweile einem Jahr.
Im Streit um diese Frage hat nun das Parteienbündnis United Torah Judaism (UTJ) seinen Rücktritt aus der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verkündet. Das hatte am späten Montagabend zunächst eine der beiden Fraktionen, aus denen das Bündnis besteht – Degel Hatorah – verlauten lassen; später schloss sich ihr die zweite Fraktion – Agudat Yisrael – an.
Entzündet hatte sich der Streit an einem Gesetzesentwurf, der derzeit in Arbeit ist. Er soll regeln, ob und wie die Angehörigen der ultraorthodoxen Gemeinschaft in den Wehrdienst eingezogen werden.
Netanjahus Mehrheit schwindet
Ausgearbeitet wird er unter der Ägide von Juli Edelstein, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung. Edelstein ist Mitglied des Likud, der Partei von Premier Netanjahu. Der genaue Text liegt bislang nicht öffentlich vor. Nach Medienberichten vom Februar könnten aber etwa Individuen, die dem Aufruf zur Musterung nicht nachkommen, mit Sanktionen belegt werden.
UTJ hatte Edelstein eine Frist gesetzt, innerhalb derer die Partei den Gesetzesentwurf einsehen wollte. Nachdem die Partei diesen Entwurf am Montag dann lesen konnte, entschloss sie sich nach Angaben israelischer Medien zum Rücktritt. Es gäbe Abweichungen zu dem, worauf man sich zuvor bereits geeinigt habe. Edelstein gilt als Vertreter der Überzeugung, dass auch die Ultraorthodoxen ihren Beitrag im Militär leisten müssen.
Nach Berichten der israelischen Zeitung Haaretz tat Netanjahu einiges dafür, den Austritt der UTJ noch zu verhindern. So soll der Premier selbst Änderungen an dem Gesetzesentwurf vorgenommen haben, schreibt Haaretz und stützt sich auf eine Quelle aus der UTJ. In stundenlangen Verhandlungen mit Edelstein habe Netanjahu diesem sogar gedroht, ihn zu feuern, wenn er nicht den Gesetzestext vorlege, den er am Vorabend des Angriffs auf Iran versprochen hatte.
Solange nur die UTJ austritt, ist Netanjahus Regierung nicht in Gefahr: Sie kommt auf 68 von 120 Sitzen in der Knesset, 7 Mandate davon entfallen auf die UTJ. Nach deren Austritt stellt sie also noch immer die – wenn auch hauchdünne – Mehrheit.
Austritt gefährdet Geisel-Deal
Doch es gibt noch eine zweite ultraorthodoxe Partei in der Regierungskoalition, die Shas. Sollte die sich mit ihren 11 Sitzen der UTJ anschließen, wäre die Regierung in der Minderheit. Berichten israelischer Medien zufolge bahnt sich dieser Austritt an: Demnach warte die Partei derzeit noch auf ein Urteil ihrer religiösen Berater; diese sollen in den kommenden Tagen zusammenkommen. Laut der öffentlichen Rundfunkanstalt Kan könnte der Austritt am Donnerstag erfolgen.
Netanjahu könnte in diesem Fall zunächst mit einer Minderheitsregierung weitermachen. Da die Knesset in zwei Wochen in die Sommerpause geht, gilt das – im Falle Israel eines tatsächlichen Austritts der Shas – als wahrscheinlich. Während der Sommerpause könnte Netanjahu dann weiter an einer Lösung für das quasi unlösbare Problem arbeiten.
Der Austritt der UTJ und möglicherweise der Shas könnte aber ein schlechtes Zeichen für einen Waffenruhe-Geisel-Deal im Gazastreifen sein. Um den wird derzeit, wenn auch stockend, verhandelt. Netanjahus rechtsextremer Koalitionspartner Itamar Ben Gvir hatte jüngst gedroht: Wenn Israel einen solchen Deal unterzeichne, ziehe er sich mit seiner Partei Otzma Yehudit aus der Regierung zurück. Sechs Sitze hat sie insgesamt. Von der Regierungskoalition wäre dann kaum noch etwas übrig.
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