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Tibetischer Premier Penpa Tsering„Will China lebenslang Kopfschmerzen haben?“

Der Premierminister der tibetischen Exilregierung, Penpa Tsering, warnt davor, dass es bald zwei konkurrierende Dalai Lamas geben könnte.

Tibets geistiges Oberhaupt, der Dalai Lama, spricht bei einer Veranstaltung zu seinem 90. Geburtstags (6. Juli) in Dharamsala Foto: Ashwini Bhatia/ap/dpa
Natalie Mayroth
Interview von Natalie Mayroth

taz: Herr Tsering, der 90. Geburtstag des religiösen Oberhaupts des tibetischen Buddhismus, des Dalai Lamas (am 6. Juli) lenkt Aufmerksamkeit auf die Exiltibeter. Wurden Ihre Anliegen angesichts globaler Krisen übersehen?

Penpa Tsering: Der Fokus liegt derzeit zu sehr auf gewaltsamen Konflikten. Gewaltfreie Bewegungen erhalten kaum Beachtung. Doch wir müssen beharrlich bleiben. Unsere Stärke ist unsere Beständigkeit. Die Welt muss begreifen, dass Probleme durch Gewaltlosigkeit gelöst werden, nicht durch das Gegenteil. Die aktuelle Weltlage ist nur eine Phase, die nicht ewig dauern wird.

taz: Vieles dreht sich um die Nachfolge des derzeitigen 14. Dalai Lamas. Ist die Exilgemeinschaft darauf vorbereitet?

Penpa Tsering: Seine Heiligkeit bereitet uns schon seit Jahren darauf vor. Er hat die Direktwahl der Spitze der Exilregierung angeregt und 2011 seine politische Macht an diese gewählte Führung übergeben. Ich bin als zweiter Sikyong (Regierungchef) das Ergebnis dieses Wandels. Der Dalai Lama ist ein wahrer Demokrat und Visionär, der weiß, dass der tibetische Kampf auch ohne ihn weitergehen muss und die Tibeter selbst Verantwortung tragen müssen.

Bild: Lukas Coch/imago
Im Interview: Penpa Tsering

Jahrgang 1967, ist seit 2021 Premierminister der tibetischen Exilregierung im indischen Dharamsala. 2008–2016 war er Sprecher des Exilparlaments.

taz: Sie unterstützen wie der Dalai Lama den „mittleren Weg“. Was bedeutet das?

Penpa Tsering: Wir streben echte Autonomie durch gewaltfreie Mittel an. Der mittlere Weg liegt zwischen zwei Extremen: dem historischen Status Tibets als unabhängigem Staat und der aktuellen Unterdrückung durch China. Peking nennt Tibet „autonom“, doch das ist es nicht.

taz: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Penpa Tsering: Es gibt auf der Welt viele Autonomievereinbarungen, die wir studiert haben. Modelle wie in Südtirol und Italien oder Schottland und Großbritannien könnten auch für den sino-tibetischen-Konflikt eine geeignete Lösung sein.

Dalai Lama will „in freier Welt“ wiedergeboren werden

Mit zunehmendem Alter des tibetisch-buddhistischen Oberhaupts drängt sich die Frage nach der Nachfolge des Dalai Lamas auf. Vier Tage vor seinem 90. Geburtstag bestätigte Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, dass die Tradition fortgesetzt und die Institution des Dalai Lama erhalten werde.

In seiner kürzlich erschienenen Biografie („Voice for the Voiceless“) hatte er bereits angedeutet, dass der oder die nächste Dalai Lama in der „freien Welt“ geboren werde. Am Mittwoch erklärte er in seinem nordindischen Exilort Dharamsala, dass allein seiner Stiftung Ganden Phodrang Trust die Aufgabe übertragen wird, seine Reinkarnation anzuerkennen. Nach seinem Tod soll die Suche nach dem Nachfolger „in Übereinstimmung mit der Tradition“ erfolgen. „Niemand sonst hat die Befugnis, sich einzumischen.“

Die Regierung Peking protestierte umgehend. Die Auswahl des Dalai Lama müsse in China erfolgen, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums. Nur Peking habe das Recht, über die Reinkarnation zu entscheiden.

Chinas Regierung betrachtet den seit 1959 im indischen Exil lebenden Dalai Lama als Separatisten. Der Premierminister der tibetischen Exilregierung, Penpa Tsering, warf China vor, die Nachfolge zu politisieren. „Wir verurteilen daher nicht nur aufs Schärfste, dass die Volksrepublik China das Thema Reinkarnation für ihre politischen Zwecke missbraucht, wir werden dies auch niemals akzeptieren.“ Natalie Mayroth, Delhi

taz: Der Dalai Lama hat den Wunsch geäußert, noch einmal seinen Geburtsort zu sehen. Wie realistisch ist das?

Penpa Tsering: Für einen Besuch Seiner Heiligkeit in China oder Tibet stellt China die Bedingung, dass er dort bleiben soll. Seine Heiligkeit hat immer gesagt: Wenn ich die Möglichkeit habe, nach China oder Tibet zu gehen, werde ich gehen, aber ich werde dort nicht leben, da es dort keine Freiheit gibt. Es liegt damit an Chinas Regierung.

taz: Die Regelung seiner Nachfolge sorgt für Spannungen. Sehen Sie die Gefahr, dass Peking wie schon beim zweithöchsten religiösen Führer, dem Panchen Lama, einen eigenen, von Peking kontrollierten Nachfolger stellen könnte?

Penpa Tsering: Seine Heiligkeit hat klargestellt, dass sein Nachfolger in einer freien Welt wiedergeboren wird, sollte Tibet zu dem Zeitpunkt, an dem er diese Welt verlässt, nicht frei sein. Peking wird sicher einen eigenen Dalai Lama als politisches Instrument ernennen, um Tibet zu kontrollieren. Aber ich frage Chinas Regierung: Wollt ihr lebenslange Kopfschmerzen haben? Zwei Dalai Lamas würden enorme Probleme schaffen. Xi Jinping wird nicht mehr leben, um sie zu lösen. Schon bei der Identifizierung der Reinkarnation des Panchen Lama hat Peking einen Fehler gemacht. Ihr Vertreter wird von den Tibetern nicht anerkannt, nur der damals vom Dali Lama anerkannte Junge (Gedhun Choekyi Nyima), der seit 30 Jahren verschwunden ist. Peking hat nicht bewiesen, dass er noch lebt.

taz: Wie ist die Lage in Tibet derzeit?

Penpa Tsering: Sie verschlechtert sich, auch wenn aus Tibet nicht viele Nachrichten kommen, da China dafür sorgt. Es gibt keinen politischen Freiraum. Junge Menschen erleben dort Unterdrückung. Sie sind so verzweifelt, dass sich 157 Personen, die meisten von ihnen zwischen 17 und 35 Jahren, selbst verbrannt haben, um auf ihr Leid aufmerksam zu machen. Gleichzeitig laufen staatliche Assimilationsprogramme. Kinder werden in Internaten im Kolonialstil auf Chinesisch unterrichtet und müssen der Kommunistischen Partei und ihrer Ideologie Treue schwören. Die tibetische Identität soll ausgelöscht werden.

taz: Ist da ein Dialog mit China überhaupt möglich?

Penpa Tsering: Es kann keine Lösung geben, wenn wir nicht auf Chinas Regierung zugehen. Aber wenn man sich die Politik unter Xi Jinping anschaut, sieht es momentan nicht so aus, als ob es Raum für Verhandlungen gäbe. Aber wir halten uns einen Kommunikationskanal offen.

taz: Die tibetische Diaspora verlässt zunehmend Indien und Nepal in Richtung Westen. Ist das eine Stärke oder eine Herausforderung?

Penpa Tsering: Beides. Es ist eine Herausforderung, die Kultur in Indien und Nepal zu bewahren. Aber es ist auch eine Chance: Tibeter leben in über 27 Ländern, sprechen die Sprachen dort und setzen sich für unsere Sache ein. Wir versuchen, trotz physischer Distanz emotional eng verbunden zu bleiben.

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1 Kommentar

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  • Es wäre wunderbar würde der Dalai Lama hier inkarnieren.

    Was für ein Segen! Welche Ehre!

    Natürlich gönne ich es den Tibetern, dass ihr Dalai Lama bei ihnen inkarniert. Doch Tibet ist kaputt. Weit mehr Chinesen als Tibeter. Tausende von Klöstern zerstört, dafür zigtausende von Trink- und Spielhallen.

    Niemand möchte, dass es dem künftigen Dalai Lama so geht wie dem Panchen Lama, den die Chinesen einkassiert haben. Jahrelange Folter, verschwunden, niemand weiß ob er noch lebt.

    Die tibetische Kultur verschwindet. China hat nach der Usurpation Tibets einen 1,2-Millionen-Genozid hingelegt. Millionen gefolterte und geflüchtete Tibeter. Kein Mitleid, keine Gnade. Und es geht weiter. Das friedlichste Volk der Welt.



    www.welt.de/print-...n-den-Genozid.html

    Aktuell zerstören die Chinesen das Land und den Himalaya. Riesige Staudämme werden dort gebaut, mit denen sie halb Asien das Wasser abdrehen können. Asien zittert.

    Wirtschaftswoche: "Hier kann China halb Asien das Wasser abdrehen"



    www.wiwo.de/techno...hen-/29824876.html