Clubnacht mit Kyjiwer Club K41 und CTM: Die zerstörte Erde schreit
Die Zusammenarbeit „Disturbed Ground“ des Kyjiwer Clubs K41 („∄“) mit dem Berliner CTM Festival übersetzt den Ukrainie-Krieg in quälende Frequenzen.

Der Saal ist in Nebel gehüllt, die Lichtanlage taucht alles in Rot, dann in ein gleißendes Weiß. Anhaltende, tiefe Frequenzen durchdringen den Raum, die Körper. Basswellen rollen an, überschütten dich mit Sound, drücken dich weg. Du hörst ein Donnern, dann Detonationen, ein Grollen, dann Geratter. Und wenn du denkst, es ist vorbei, rückt die nächste Welle an.
Der US-amerikanische Sound Artist Mark Bain und die ukrainische Künstlerin Khrystyna Kirik stellen am Samstagabend in der Kantine am Berghain dieses Soundstück vor, beide stehen sich an einem Tisch voller Synthesizer und Gerätschaften gegenüber, die im Kunstnebel allerdings kaum zu erkennen sind. Die Künstler:innen übersetzen Krieg – oder speziell den Krieg in der Ukraine – in Klang und Vibrationen, wollen nachbilden, wie Bomben die Biosphäre, die Erde, das Leben zerstören.
Mark Bain ist ein dafür prädestinierter Künstler, denn er nutzt Sounds außerhalb des hörbaren Frequenzspektrums, der vor allem körperlich erfahrbar ist. Ihre Performance ist eine von vier Arbeiten, die im Rahmen der Veranstaltung „Zone of Alienation X Disturbed Ground“ zu erleben und zu hören sind. „Disturbed Ground“ nennt sich eine Zusammenarbeit des Kyjiwer Clubs K41 mit dem Berliner CTM Festival; Ende Juni waren unter anderem der CTM-Kurator Jan Rohlf, Mark Bain und die Berliner Künstlerin Zeynep Schilling im Produktionsstudio u2203 des K41 in Kyjiw zu Gast, um die Stücke zu entwickeln. Beim CTM Festival Anfang kommenden Jahres sollen weitere Arbeiten dieser Künstler*innen aufgeführt werden.
Das dunkle dominiert den Abend
Dark-Ambient- und Industrialmusik dominiert dem Thema entsprechend den Abend, sie wird zum Teil von Visuals und (Tanz-)Performances ergänzt. Inhaltlich stehen die ökologischen Zerstörungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Fokus. So sieht man in der ersten audivisuellen Arbeit von Khrystyna Kirik und myk rudik (vom Produktionsstudio u2203) ein animiertes Video mit zerfurchter Erde und Skeletten, die sich darüberzuschlängeln scheinen; dazu ertönen wabernde, unheimliche Geräusche, brummende Frequenzen im Loop.
Auch die viel zu wenig beachtete Ölpest im Schwarzen Meer, unter anderem infolge der Sprengung der Wasserkraftwerke von Kachowka 2023 und der Havarie russischer Öltanker Ende 2024 entstanden, wird an diesem Abend beleuchtet. noorj und sevilâ nariman-qızı, zwei Künstlerinnen von der Krim, zeigen Videosequenzen mit wogendem Wasser, über das sich Schlieren ziehen. Delfine und Wale sind zu sehen, dazu hört man es dunkel rauschen und wummern.
Den Krieg körperlich erfahrbar machen wollen auch die Künstlerin undo despot aus Odessa und Zeynep Schilling in ihrer Performance. Während Stroboskopgewitter, eine Art Infrarotlicht und weitere grelle Lichteffekte sich abwechseln, während ein doomiger Dauerschall durch den Raum dringt, tanzt und taumelt eine einsame Figur vorne auf der Bühne, in weißen Stoff gehüllt, scheint ihre Flügel auszubreiten, auf der Hose der Tanzenden steht „In god’s arms“ geschrieben.
Die Klangübersetzung ist eindrücklich
Das Ambiente des Kriegs und der Zustand permanenter Bedrohung wird in diesen vier Arbeiten eindrücklich in Klang und Bild übersetzt. Wenn die Literatur mit Romanen von der Front auf den Krieg reagieren kann, so erreicht die experimentelle audiovisuelle Kunst dies hier mit ihren Mitteln.
Insbesondere bei der Performance von Mark Bain und Khrystyna Kirik wird das deutlich. Sie erscheint lang und länger, du kannst ihr nicht entkommen, die Frequenzen bohren sich ins Fleisch. Du bekommst eine Ahnung davon, wie der Krieg die Sinne angreift, wie er zerstört. Dazu lässt sich vielleicht nicht gut tanzen, aber ganz sicher perzeptives Wissen vermitteln.
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