Srebrenica, Contergan, Richter:innen: Die Zerstörung der Seelen
Diese Woche perfektionierte die AfD ihre Würdelosigkeit, erzählte Trump Zollmärchen, suchte Merz Richter und hofften Conterganopfer auf Gerechtigkeit.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Tiefpunkt der Würdelosigkeit: der AfD-Redner in der Gedenkstunde des Bundestags zu Srebrenica.
taz: Und was wird besser in dieser?
Küppersbusch: Die Hoffnung, dass es so offensichtlich ist, wie es offensichtlich ist.
taz: 30 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica. Was haben wir gelernt? Sind historische Analogien sinnvoll?
Küppersbusch: Auch heute bestreiten Serben und Bosniaken einander historische Wahrheiten, beide Seiten hassen stumm längs ihrer jeweiligen Opfererzählung aufeinander ein. Wenn überhaupt Analogien zu ziehen sind und zum Beispiel für heutige monströse Grausamkeiten etwas zu lernen ist, dann die bittere Gewissheit, dass man gebannt vom Furor gegenwärtiger Kriege gar nicht dazu kommt, die Zerstörung der Seelen bis in die dritte und vierte Generation vorauszusehen. Etwa in Gaza, in der Ukraine, überall.
taz: Können Sie das Wort Zoll noch hören?
Küppersbusch: „Trunkenheit an Steuern“ wäre der trefflichere Befund. Ähnlich wie bei seinen vor sich hin scheiternden Friedensverheißungen unterhält Trump sein Publikum mit einem Hagel von Ankündigungen, die man jeweils ernst nehmen und zugleich schon wieder knicken kann. Das eigentliche Faszinosum daran ist sein Rang als Godfather of Unfallflucht. Er ist genial, oder die anderen sind schuld – tendenziell beides. Es beruhigt nicht, zu ahnen, dass er sein Land in eine Vollkatastrophe führen muss, um den Leuten die Augen zu öffnen.
taz: Wie gefährlich ist die „Verfassungsrichter:innenkrise“ für die Regierungskoalition?
Küppersbusch: Dazu ist alles gesagt, nur noch nicht von mir – ein zutiefst beklagenswerter Mangel. Neue Version: Kanzler Merz’ Personalpaket und damit seine Führungsqualität sind demoliert. Schwarz-Rot riecht nun verdächtig nach Ampelhampel. Und der Bundestag nach einer beschlussunfähig zersplitterten Palaverbude. Mit dem Verfassungsgericht ist erstmals auch die höchste und vertrauenswürdigste Instanz des Landes Personalgezerre und übelsten Verdächtigungen ausgesetzt. Angenommen, das sei nicht durch Dilettantentum, Selbstüberschätzung und Profilierungssucht passiert, sondern ein Politiker hätte das angerührt, der die AfD „als ganz normale Partei behandeln“ will und seine Chance darin sieht, nach Merz mit einer schwarz-braunen Koalition Kanzler zu werden –dann könnte man den aktuell etwas sonderlich wirkenden Satz schreiben: Jens Spahn hat alles richtig gemacht.
taz: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat ein Urteil zugunsten eines Contergangeschädigten gefällt. Späte oder zu späte Genugtuung?
Küppersbusch: Es tut weh, Conterganopfer um ein paar Euro kämpfen zu sehen bis vor die höchsten Gerichte, um wenigstens noch eine kleine Hilfe am Lebensabend zu bekommen, während der Täter, Pharmakonzern Grünenthal, mit 1,8 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr glänzend dasteht und gern zum Ausdruck bringt, dass ihm das furchtbar leidtut. Finanziell ist Grünenthal raus, seine Zahlungen sind aufgezehrt, und seit 1997 kommt im Wesentlichen der Bund für Renten, Hilfsmittel, Entschädigungen auf. Darüber entscheidet eine „Conterganstiftung“, und der hat das Bundesverwaltungsgericht nun Verfahrensfehler bescheinigt. Damit können abgelehnte Fälle neu aufgerollt werden. Also – wenn wir Steuerzahler für das verbrecherische Handeln eines Pharmakonzerns aufkommen müssen, dürfen wir uns eine faire, großzügige Hilfe für die Opfer wünschen.
taz: Muss uns der Prozess gegen Christina Block und Gerhard Delling wegen Kindesentführung interessieren?
Küppersbusch: Ich werde die Tage die KI füttern mit den Brocken „stinkreich“, „Sorgerecht“, „TV-Promi“, „Mossad“ und „Entführung“. Und dazu prompten, dass ich gern einen Plot bekäme, bei dem am Ende 100 Journalist:innen vor Gericht den Prozessauftakt in alle Welt trommeln. Bin gespannt, ob sie das schon hinkriegt oder wenigstens menschlicher Irrsinn noch eine Chance gegen sie hat.
taz: Wie läuft die Fußball-EM der Frauen – sind Sie Fan?
Küppersbusch: Ja, und gerade die Klatsche gegen die Schwedinnen gibt dem Auftritt der deutschen Elf jetzt ein bisschen Heldinnenreise-Aroma: Vordringen in die tiefste Hölle, dann das Zauberelexier, und dann aber. Wenn nicht, war’s rollender Ball und spannend, und ich muss nicht so viel von der Apothekenrundfahrt in Frankreich gucken.
taz: Und was macht der RWE?
Küppersbusch: Geht mit 2:3 beim schottischen Erstligisten Hibernian nicht unter und schlägt anschließend Regionalligist Fortuna Köln 5:0. Ich bin jetzt in der richtigen Euphorie, von einem bevorstehenden vergeigten Saisonauftakt völlig zerschmettert zu werden.
Fragen: waam
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